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Home Treatment – eine erhöhte Lebensqualität durch medizinische Betreuung zuhause

30.08.2024 Home Treatment entspricht einer stationsäquivalenten Behandlung, die zu einer Reduzierung der Verweildauer in der stationären psychiatrischen Versorgung führen oder diese verhindern soll. Dabei werden Menschen und deren Familiensysteme motivierend, hoffnungsspendend, integrativ und recovery-orientiert begleitet.

Das Wichtigste in Kürze

  • Home Treatment ist eine stationsäquivalente Behandlung, die darauf abzielt, die Verweildauer in der psychiatrischen stationären Versorgung zu reduzieren oder gar zu verhindern.
  • Home Treatment gleicht inhaltlich noch einer Blackbox: In der Fachliteratur wird nicht beschrieben, in welcher Form Psychotherapie oder systemischer Familieneinbezug integriert werden sollen. Deshalb entscheiden die Anbieter selbst, was ihr Home-Treatment-Modell beinhaltet.
  • Der CAS Ressourcenorientiertes Home Treatment + Netzwerkarbeit richtet sich an Fachpersonen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen, die Home Treatment bei Kindern und Jugendlichen oder Erwachsenen anbieten möchten.

Ursprünge, Modellprojekte und Angebote

Die Ursprünge des Home Treatments in der psychiatrischen Betreuung lassen sich auf die Deinstitutionalisierungsbewegung in den 1960er Jahren zurückführen. Die Ziele damals wie heute sind Klient*innen in eine weniger restriktive Umgebung zu integrieren und ihre Lebensqualität zu verbessern. In der Schweiz bestehen bisher nur regionale Modellprojekte mit Sonderfinanzierungen, die sich durch ihre Ausrichtung und Zielsetzung leicht unterscheiden:

  • Home Treatment zur Krisenintervention, stationsersetzend oder -verkürzend, durch ein eigenständiges Team
  • Poststationäre Übergangsbehandlungen zur Verkürzung stationärer Aufenthalte und zur Vermeidung von Wiedereintritten
  • Home Treatment im Rahmen eines integrierten Versorgungsangebots: Ein interprofessionelles Team bietet Krisenintervention stationär, aufsuchend, tagesklinisch und ambulant an. Triagiert wird nach Bedarf der Patient*innen. Diese Behandlungsform integriert Familienmitglieder und andere nahestehende Personen in den Behandlungsprozess.
  • Home Treatment im Rahmen der Kinder- und Jugendpsychiatrie
CAS Home Treatment + Netzwerkarbeit
Ein prägendes Merkmal des Home Treatments ist die Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team. Bild: AdobeStock

Für die Kund*innen stehen verschiedene intermediäre Angebote mit verschiedenen, schwer voneinander abgrenzbaren Begrifflichkeiten zur Verfügung. Kund*innen müssen sich zwischen folgenden stationsäquivalenten Angeboten und Dienstleistungen zurechtfinden:

  • Ambulante Dienste: Das sind interprofessionelle Dienste, die keine aufsuchende psychiatrische Behandlung, sondern vor allem Langzeitbehandlungen anbieten.
  • Tageskliniken/Akuttagesklinken: Das ist ein nicht aufsuchendes Angebot für die Akut- oder Langzeitbehandlung, das interprofessionell stattfindet. Die Klient*innen wohnen weiterhin zu Hause, besuchen aber ein Behandlungsangebot, das einer klinischen Behandlung an Intensität sehr ähnelt.
  • Care@home, hospital@home, home based clinical management, hospital in the home: Bei diesem aufsuchenden Versorgungsmodell werden komplexe pflegerische Massnahmen und Behandlungen, die eigentlich eine Spitaleinweisung voraussetzten, zu Hause durchgeführt. Dabei werden zwei strukturelle Dimensionen unterschieden: Behandlungen, die einen Klinikaufenthalt verkürzen und solche, die einen Klinikaufenthalt vermeiden. Das Angebot ist auf die Akutbehandlung begrenzt und in der Regel multiprofessionell. Häufig erfordert dieses Modell einen höheren Bedarf an Medizinaltechnik (Thilo et al. 2024).
  • Kriseninterventionszentren: Sie bieten kurze stationäre Behandlungen in der Regel ausserhalb psychiatrischer Kliniken an, sind auf die Akutphase begrenzt und interprofessionell.
  • Case Management: Hier werden behandelnde Akteure koordiniert. Das Angebot ist in der Regel nicht aufsuchend und auch nicht teambasiert.

Was genau bedeutet Home Treatment?

Inhaltlich gleicht Home Treatment einer Blackbox, in den Leitlinien ist wenig genau beschrieben, was die Behandlung alles umfassen soll. In der Literatur finden sich Hinweise auf den Einsatz von Assessment, Pharmakotherapie, Psychoedukation, Einbezug von Angehörigen und sozialer Unterstützung (Johnson et al. 2011).

Es wird nicht beschrieben, in welcher Form Psychotherapie oder systemischer Familieneinbezug integriert werden sollen. Deshalb entscheiden die Anbieter selbst, was ihr Home-Treatment-Modell beinhaltet. Für die Kund*innen bleibt es dem Zufall überlassen, sich im Dschungel der Angebote in ihrer Nähe zurechtzufinden und sich dann für das individuell Richtige zu entscheiden. Es gibt – ähnlich wie in der stationären Behandlung auch – wenig Kriterien, anhand derer die Behandlungsqualität oder die Best Practice des Modells für die Kund*innen ablesbar ist. Fakt ist, Home Treatment ist keine Behandlungsmethode, sondern ein Behandlungsmodell.

Ein prägendes Merkmal des Home Treatments ist die Zusammenarbeit in einem multiprofessionellen Team. Dieses besteht aus psychiatrischen/psychotherapeutischen Fachpersonen oder ärztlich/psychologischen Fachpersonen und Pflegenden und/oder Sozialarbeitenden. In diesem Setting sind die interprofessionellen und persönlichen Kompetenzen der einzelnen Systemmitglieder ein wichtiges Erfolgskriterium.

Ein Fallbeispiel aus der Home-Treatment-Arbeit

Folgendes Fallbeispiel soll dazu dienen, verschiedene Dimensionen der Home-Treatment-Arbeit zu verdeutlichen und fallbezogen die Kompetenzen Neugier am Menschen, Platz für Kreativität, Begegnen auf Augenhöhe, Klarheit im Handeln, Grenzen setzen und Grenzen respektieren, Beobachten der Systemmitglieder und sich selbst, der Glaube an und das Stärken von Selbstwirksamkeit aufzuzeigen.

Eine Mutter, geschieden, mit 4 Kindern wird vom Berufsbeistand und Psychotherapeuten für ein Home Treatment angemeldet. Zwei der Kinder sind erwachsen, zwei befinden sich im Pubertätsalter. Die Mutter hat eine diagnostizierte Depression und zeigt eine ausgeprägte depressive Symptomatik, eine Persönlichkeitsproblematik ist ebenfalls bekannt.

Es findet ein Indikationsgespräch zwischen der Fachperson für aufsuchende Begleitung, der Mutter und den zwei pubertierenden Kindern (Sohn und Tochter) statt, mitanwesend sind der Berufsbeistand und die Psychotherapeutin. Die Fachperson moderiert das Gespräch und achtet anhand des Prinzips «Polyphonie» darauf (Greve, Keller 2002), dass alle Personen im Raum eine Stimme erhalten, zu Wort kommen dürfen und deren Standpunkt akzeptiert wird. Die Fachperson baut eine Beziehung mit der Mutter und den Kindern auf, dadurch entsteht eine Dialogbereitschaft und es kann ein offenes Gespräch stattfinden und gemeinsame Ziele definiert werden. Durch genaues Beobachten der Familie erkennt die Fachperson, dass die Mutter sehr erschöpft wirkt. Sie stellt diese Wahrnehmung zur Verfügung und wird von der Mutter darin bestätigt. Die Psychotherapeutin und die Berufsbeiständin teilen diese Wahrnehmung. Ein gemeinsames Ziel für die Begleitung im Home Treatment kann definiert werden: Entlastung der Mutter und Stärken ihrer Kraft im Familiensystem.

In der Familieninteraktion nimmt die Fachperson wahr, dass der Sohn sehr viel Raum einnimmt und übergriffig gegen die Mutter wird. Sie erkennt, dass auslösende Situationen jeweils «langanhaltende Schimpftiraden» der Mutter auf den Sohn sind – er scheint sich davon bedrängt zu fühlen, wird wütend und greift dann seine Mutter verbal und körperlich an. Solche Ereignisse sind für beide – Sohn und Mutter – sehr energieraubend. Die Fachperson fragt, ob beide interessiert wären daran zu arbeiten, damit sich die Situation verbessern kann. Da beide dialogbereit sind, schaut die Fachperson mit dem Sohn das Thema Wut an – Wut als Phänomen, welches entsteht, wenn ein dahinter liegendes Bedürfnis nicht befriedigt ist – nämlich das Bedürfnis gesehen, wahrgenommen und wertgeschätzt zu werden. Der Sohn lernt mit Hilfe des Wutkurvenregulationsmodells (Otterpohl et al. 2011) seine Wutzustände zu erkennen, genauer zu beschreiben und zu reflektieren.

Mit der Mutter schaut die Fachperson die auslösenden Situationen an – das Verhalten des Beschuldigens und Appelierens sowie Abwerten des Sohnes wird mit Hilfe des Dramadreiecks reflektiert (Steward, Joines 2000). Die Mutter soll in einem ersten Schritt im Alltag üben zu merken, wann Sie ins Drama fällt und den Sohn in eine Täterhaltung sowie sich selbst in eine Opferhaltung bringt. In einem nächsten Schritt wird sie dazu angehalten, immer, wenn Sie mit dem Sohn kommuniziert, in «Ich-Botschaften» zu sprechen. Das neue Verhalten übt die Fachperson mit der Mutter in kleinen Rollenspielen.

Gleichzeitig arbeiten Fachperson und Mutter am Thema Grenzen setzen. Die Grenzen des anderen werden in der Familie nicht gut wahrgenommen und gegenseitig überschritten. Auf ein grosses Blatt Papier zeichnet jedes der drei Familienmitglieder einen Grenzfluss/Grenzzaun. Moderiert von der Fachperson, darf jedes Familienmitglied die eigenen Grenzen beschreiben und den anderen aufzeigen. Die Familienmitglieder finden heraus, dass sie sowohl GEMEINSAMEN als auch ICH-Raum benötigen. Die Fachperson regt an, den ICH-Raum zu verteidigen, indem man ein klares «STOPP» sagt. Der Raum für gemeinsame Zeit darf aus einem gemeinsam erstellten Ideenpool gefüllt werden. Die Behandlung ist bis heute noch nicht abgeschlossen.

Die Behandlung im häuslichen Umfeld birgt viele Ressourcen. Der Alltag kann unter realen Bedingungen in den Behandlungsprozess einbezogen werden und die Klient*innen werden nicht aus ihrem Umfeld herausgerissen. Die häufig herausfordernden Übergänge von der Klinik ins häusliche Umfeld entfallen. Angehörige können in den Prozess integriert werden und sich mit den Krisen, Frühwarnzeichen und herausfordernden Situationen der Betroffenen auseinandersetzen. Sie erhalten die Möglichkeit, als Systemmitglied ihren eigenen begleiteten Entwicklungsprozess zu machen.

Die Fachpersonen bewegen sich respektvoll in diesen Familiensystemen und Netzwerken. Ihre Aufgabe ist es, zu beobachten, zu erkennen, zu verstehen und zu reagieren. Sie lassen sich dabei von dem leiten, was das System braucht und übernehmen als Co-Pilot*in, wenn es nötig ist. Die wichtigsten Schlüsselkompetenzen sind Neugier und Interesse am Menschen, Platz für Kreativität, Begegnung auf Augenhöhe, Klarheit im Handeln, Grenzen setzen und Grenzen respektieren, die Systemmitglieder und sich selbst beobachten, an das Stärken von Selbstwirksamkeit glauben.

Autor*innen: 

Literatur

  • Stewart, I. & Joines, V. (2000). Die Transaktionsanalyse: Eine Einführung.
  • Otterpohl, N., Imort, S., Lohaus, A. & Heinrichs, N. (2011). Kindliche Regulation von Wut. In: Kindheit und Entwicklung 21(1), S. 47–56.
  • Greve, N. & Keller, T. (2010). Systemische Praxis in der Psychiatrie.
  • Johnson, S., Totman, J. & Hobbs, L. (2011). Crisis and emergency services. In: G. Thornicroft, G. Szmukler, K. T. Mueser & R. E. Drake (Hrsg.), Community mental health (S. 118–128).

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