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La Chaux-de-Fonds: Sturer Grundriss – grosse Flexibilität
30.08.2024 Nachhaltiger Städtebau zeichnet sich durch eine Bebauungsstruktur aus, die so wandelbar ist, dass sie sich den wandelnden Bedürfnissen laufend anpassen kann. Dies ist der Uhrenstadt im Jura vor fast zweihundert Jahren mit einem sehr rigiden Raster bestens gelungen.
Was zeichnet die Stadt La Chaux-de-Fonds aus baukultureller Sicht aus?
In La Chaux-de-Fonds entstand im 19. Jahrhundert eine Stadt, deren Grundstruktur fast ausschliesslich auf die zahlreichen Uhrenmanufakturen ausgerichtet war. Diese «Stadtlandschaft Uhrenindustrie» (Urbanisme Horloger) ist so überzeugend und einzigartig, dass sie die UNESCO 2009 auf ihre Weltkulturerbe-Liste aufgenommen hat.
Was sind die Besonderheiten des Stadtgrundrisses?
Oft wird beim Stadtgrundriss von la Chaux-de-Fonds von einem «Schachbrettraster» gesprochen, was so nicht ganz richtig ist. Zwar erfolgte der Wiederaufbau nach dem Brand von 1794 schachbrettartig. Daraus wurden dann aber ab 1835 parallellaufende Streifen mit gelegentlichen Querstrassen. Wie in Manhattan die Streets und Avenues, könnte man sagen, aber auch das stimmt nicht, denn La Chaux-de-Fonds liegt an einer Hügelflanke und die Längsgassen laufen entlang der Höhenkurven. Die Wohnhäuser stehen stets an der höchstgelegenen Nordseite des Längsstreifens, so dass ihre ins Tal gerichtete Sonnseite auf einen grosszügigen Vorraum blickt. Erst dahinter kommt die tiefer gelegene Parallelstrasse, an die wiederum die Wohnhäuser unmittelbar anschliessen. Die Strassen erschliessen also immer nur eine Gebäudezeile und nicht wie im flachen Manhattan beide Gassenseiten. Die breiten Strassen verstärken den Eindruck der räumlichen Grosszügigkeit. Ihre Breite hat mit den grossen Schneemassen im Winter zu tun. Die Strassen müssen dann sowohl für die Schneedeponie als auch für einen schmalen Weg Platz bieten.
Stadtansichten
Wie hat die Uhrenindustrie diesen Streifen-Stadtgrundriss für ihre Zwecke genutzt?
Da die Uhrenindustrie weder Lärmprobleme noch andere Umweltbelastungen kennt, kann sie problemlos mit dem Wohnen eng vermischt werden. Die ersten Ateliers waren entweder im Erdgeschoss oder zuoberst unter dem Dach der Mietshäuser angeordnet. Man erkennt sie an den zahlreichen und grossen Fenstern gegen Süden. Die zunächst als sonniger Garten genutzte, leicht geneigte Vorraum der Häuser wurde mehr und mehr mit einstöckigen Werkstätten und Manufakturen überstellt, die das Gefälle ideal ausnutzen. Nachdem ab 1876 (Weltausstellung Philadelphia) die industrielle Massenproduktion auch in der Uhrenindustrie Einzug hielt, konnte man problemlos, statt wie bisher Mietshäuser, auch ganze Fabriken auf den Streifengrundriss setzen.
So kommt es, dass der Kern von La Chaux-de-Fonds im 19. Jahrhundert aus rund zehn Parallelstrassen besteht, die sich im Lauf des 19. Jahrhunderts mehr und mehr gegen Südwesten ausgedehnt haben. Sie sind also gleichzeitig eine Art Zeitstrahl.
Welche Bedeutung hat die Stadtplanungsgeschichte von La Chaux-de-Fonds beim Thema Nachhaltigkeit?
Nachhaltiger Städtebau zeichnet sich dadurch aus, dass eine Stadtstruktur so wandelbar ist, dass sie sich stets den neuen Bedürfnissen anpassen kann, ohne dass die Gebäude abgebrochen und neu erstellt werden müssen. Heute werden viele Bauten abgebrochen, die nicht den Bruchteil ihrer möglichen Lebensdauer hinter sich haben, nur weil ihre Struktur zu wenig wandelbar ist. La Chaux-de-Fonds ist ein eindrückliches Beispiel einer sehr anpassungsfähigen und damit langlebigen Stadtstruktur.
Treppenhäuser
Schweizer Landschaftskongress
Der Landschaftskongress wird von der Akademie der Naturwissenschaften SCNAT alle zwei Jahre an wechselnden Orten veranstaltet, dieses Jahr am 5./6. September 2024 in Tramelan und Bellelay. In diesem Jahr sind die BFH und der Regionalpark Chasseral Gastgeber der Konferenz. Die BFH ist insbesondere mit den Bereichen Agrarwissenschaft und Architektur beteiligt.
Beteiligung des Departements Architektur, Holz und Bau
- Prof. Dr. Marion Sauter, Co-Leiterin Fachgruppe Baukultur
Mitglied des Organisationskomitees - Prof. Dr. Dieter Schnell, Co-Leiter Fachgruppe Baukultur
Exkursion «Der Jura und die Uhr», Stadtspaziergang durch La Chaux-de-Fonds» - Henriette Lutz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Inhaberin Qualifikationsstelle BFH-AHB
Exkursion «Ist Landschaft noch immer schön? Ein experimenteller Wahrnehmungsspazierang» - Prof. Daniel Baur, Dozent für Landschaftsarchitektur
Teilnehmer Podiumsgespräch «Au défi de la transition: Zukunftslandschaften»