Vernetztes Denken für Städte im Klimawandel

03.09.2024 Hitze und Starkniederschläge werden für Städte zunehmend zur Herausforderung. Die BFH bildet Fachleute aus, die der Komplexität der Aufgaben gewachsen sind und gemeinsam nachhaltige Lösungen entwickeln.

Die subjektive Wahrnehmung bestätigt die Klimaszenarien von Meteo Schweiz: Die Sommer werden trockener, Hitzetage häufiger, Schnee sieht man im Unterland kaum noch. Dafür mehren sich heftige Gewitter, die Keller volllaufen und Kanalisationen überschwappen lassen. Diese Entwicklung wird sich gemäss den Modellen noch verstärken, wenn der Klimawandel nicht rasch gebremst wird. Das stellt Städte vor grosse Herausforderungen. Die zunehmende Hitzebelastung wirkt sich statistisch bereits in einer gewissen Übersterblichkeit aus. «Auch das soziale Leben leidet, wenn wir etwa Aktivitäten im Freien wegen der Hitze einschränken», sagt Michele Steiner, Leiter des Fachbereichs Wasser und Naturereignisse der Berner Fachhochschule BFH.

Bewährtes System kommt an die Grenzen

Quartiere mit Gärten und Bäumen kommen mit Hitze besser zurecht als dicht bebaute, in denen Beton und Asphalt dominieren und nächtliche Kaltluftströme behindert werden. Sie können auch Starkregenereignisse besser bewältigen. Vegetation, durchlässige Böden und Rückhalteflächen nehmen Wasser auf und lassen es später langsam verdunsten oder versickern. Fehlen diese Elemente, muss das ganze Regenwasser rasch über die Kanalisation abgeleitet werden. Dabei vermischt es sich mit dem Abwasser der Haushalte und der Betriebe. «Die Schweiz ist mit Kanalisationen und Kläranlagen sehr gut ausgerüstet», sagt Michele Steiner. «Aber die vielerorts fehlende Trennung von Schmutzwasser und Regenabwasser ist eine Schwäche des Systems. Ist es bei starkem Regen überlastet, fliesst überschüssiges Mischwasser ungereinigt in die Gewässer.»

«Wir müssen Gewässer schützen und Stoffkreisläufe schliessen.»

Michele Steiner
Michele Steiner Leiter Fachgruppe Wasser und Natruereignisse
Trockenheit, Sommer, Schatten, Bewässerung
Mit Grünanlagen sowohl der Hitze als auch Starkregen trotzen und Begegnungszonen schaffen.

Kaum Platz für Wasserrückhaltung und Versickerung

Wie kann die Siedlungsentwässerung der Zukunft die immer häufigeren Wetterextreme bewältigen? Das Gewässerschutzgesetz von 1991 setzte auf ein Konzept, das heute unter dem Begriff «Schwammstadt» bekannt ist: Regenwasser lokal zurückhalten und versickern lassen. Das entlastet nicht nur die Kanalisation, sondern mildert dank Verdunstungskühlung auch die Hitze und stärkt den natürlichen Wasserkreislauf. Dieses Konzept sei aber nicht immer leicht umzusetzen, sagt Michele Steiner: «Der Rückhalt und die Versickerung von Regenwasser brauchen Platz, der in den Städten oft fehlt. Das Problem, viel Wasser auf wenig Fläche in den Boden zu bringen, ist noch nicht gelöst.»

Kaum Platz für Wasserrückhaltung und Versickerung
Michele Steiner: «Der Rückhalt und die Versickerung von Regenwasser brauchen Platz, der in Städten oft fehlt.»

BFH erforscht Potenzial von Versickerungsbelägen

Eine Möglichkeit bestehe darin, Verkehrsflächen zu reduzieren: «Der Verkehr beansprucht enorm viel Platz, den wir auch für andere Zwecke dringend brauchen – beispielsweise um Städte resistenter gegen Hitze und Überschwemmungen zu machen. Wo aber Strassen oder Parkplätze einer Grünanlage weichen sollen, ist mit Nutzungskonflikten zu rechnen.» Eine Alternative seien Beläge, die gleichzeitig fest und wasserdurchlässig sind. Sie seien zwar auf Strassen für den motorisierten Verkehr weniger geeignet, könnten aber auf Plätzen, Trottoirs, Velowegen und Parkierungsflächen Regenwasser in den Boden leiten. Im Auftrag des Bundesamts für Strassen (Astra) untersucht die BFH derzeit das Potenzial solcher Beläge.

Hitze und Regen
Michele Steiner: «Erforderlich ist fundiertes Ingenieurwissen aus vielen Disziplinen, damit Städte mit Hitze und Starkregen besser zurechtkommen.»

Ingenieurwissen aus vielen Disziplinen erforderlich

Michele Steiner empfiehlt, Massnahmen zur Kühlung von Städten mit der Siedlungsentwässerung und anderen Fachbereichen abzustimmen. «Sonst laufen wir Gefahr, die Mittel ineffizient einzusetzen. Oft wird auch der Aufwand für den langfristigen Betrieb und den Unterhalt von Infrastrukturen unterschätzt.» Erforderlich sei fundiertes Ingenieurwissen aus vielen Disziplinen, damit Städte mit Hitze und Starkregen besser zurechtkommen. Fachleute aus den Bereichen Stadtplanung, Siedlungsentwicklung, Architektur, Siedlungsentwässerung, Wasserwirtschaft oder Natur- und Umweltwissenschaften müssten fähig sein, eng zusammenzuarbeiten. Die CAS-Weiterbildungsangebote Siedlungsentwässerung sowie Kühlen urbaner Räume der BFH tragen dem Rechnung. Hier profitieren die Teilnehmenden von einer ganzheitlichen Herangehensweise und vom Austausch mit Spezialist*innen anderer Berufsgattungen. Auch in den CAS Wasserressource im Klimawandel und Schutz vor Naturgefahren steht das interdisziplinäre Denken im Vordergrund.

«Die Technologien sind vorhanden, jetzt müssen wir sie noch sinnvoll miteinander kombinieren und situationsgerecht einsetzen.»

Michele Steiner
Michele Steiner Leiter Fachgruppe Wasser und Natruereignisse

Siedlungsentwässerung muss nachhaltiger werden

Ein zentrales Thema ist für Michele Steiner die Nachhaltigkeit: «Die Siedlungsentwässerung soll unsere Gewässer möglichst wenig mit problematischen Stoffen belasten. Wir müssen Gewässer schützen und den natürlichen Wasserkreislauf aufrechterhalten. Und wir müssen Stoffkreisläufe schliessen.» Liegt die Zukunft daher eher bei kleinen, lokalen Anlagen zur Abwasserbehandlung anstatt bei zentralen Grossanlagen, die über kilometerlange Leitungen angeschlossen werden? Werden wir Phosphor und andere wertvolle Rohstoffe aus dem Abwasser zurückgewinnen? Solche Überlegungen dürften immer wichtiger werden, ist Michele Steiner überzeugt: «Die Technologien sind vorhanden, jetzt müssen wir sie noch sinnvoll miteinander kombinieren und situationsgerecht einsetzen.»

Burgdorfer Abwassertag

Das Kühlen urbaner Räume war das Thema des Burgdorfer Abwassertags 2023. Die jährlich stattfindende Veranstaltung für alle, die im Bereich der Siedlungsentwässerung und Abwasserbehandlung tätig sind, dient vor allem als Informationsplattform. Zwischen den Referaten gibt es ausreichend Gelegenheit zum Austausch und zur Vernetzung. Der von der BFH organisierte Burgdorfer Abwassertag wurde von Hans-Ulrich Gränicher ins Leben gerufen und wird von dessen Nachfolger Michele Steiner weitergeführt. Er findet dieses Jahr am 7. November zum Thema «Strassenabwasserbehandlung und Entwässerung» statt.

Weitere Informationen zum Burgdorfer Abwassertag

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