- Story
«Es war unglaublich!»
14.10.2024 2022 flüchtete Nataliia Terehova in die Schweiz. Das CAS Wiederaufbau Ukraine gab ihr ein Stück Hoffnung zurück. «Ich lernte viel, ich kann die Weiterbildung wirklich sehr empfehlen», sagt die 40-Jährige.
Nataliia, was mögen Sie an der Schweiz am meisten?
Ich und meine Familie fühlen uns hier sicher, das ist das Allerwichtigste. Natürlich ist die Natur ein Paradies, ich liebe das Wandern. Und mich fasziniert die Bautechnik in der Schweiz, die nachhaltige Herangehensweise. Das ist für mich sehr lehrreich und inspirierend.
Und was vermissen Sie aus Ihrer Heimat Ukraine am meisten?
Meine Freund*innen und Verwandten, Spaziergänge in meiner Heimatstadt Kiew, mein altes Leben. Ich kam 2022 mit meinem Mann, meinen beiden Kindern, meiner Schwiegermutter und zwei Neffen meines Mannes in die Schweiz. Man nahm uns als Flüchtlinge auf. Ich mag dieses Wort nicht, aber es ist leider die Realität. Hier in der Schweiz sorgte man für uns, dafür sind wir sehr dankbar! Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin studierte Metallurgie-Ingenieurin, habe einen Master of Business Administration und arbeitete zuletzt als Projektmanagerin im Bauwesen. Natürlich vermisse ich mein altes Leben, in dem ich eine kompetente Berufsfrau war. Und ich vermisse die Sprache, in der ich mich sicher ausdrücken kann. Mit Hoch- und Schweizerdeutsch gibt es hier ja eigentlich zwei verschiedene Sprachen (lacht).
Haben Sie regelmässig Kontakt mit Freund*innen und Verwandten in der Heimat?
Ja, mein Bruder, mein Vater und viele Freund*innen sind dortgeblieben. Aber jeder Ukrainer und jede Ukrainerin kennt jemanden, der im Krieg ums Leben gekommen ist: Mein bester Freund ist tot. Die beiden Göttis unseres Sohnes und unserer Tochter sind jetzt im Krieg. Diese Realität müssen wir akzeptieren.
Wie wurden Sie auf das CAS «Wiederaufbau Ukraine» aufmerksam?
Nach ein paar Monaten in der Schweiz wurde mir klar, dass ich etwas für mein Heimatland tun muss. Dann lernte ich im Juli 2022 an der Ukraine-Wiederaufbau-Konferenz in Lugano Thomas Rohner, den Initiator des CAS, kennen. Ich erkannte sofort, dass das meine Chance ist, neue Fähigkeiten für den Wiederaufbau zu erlernen. Also nahm ich an der ersten Durchführung des CAS teil. Und es war unglaublich!
Was genau hat Sie beeindruckt?
Ich traf viele nette und gut ausgebildete Menschen aus der Schweiz und der Ukraine. Das allein ist schon ein sehr wichtiger Punkt: Denn um Wiederaufbauprojekte zwischen der Schweiz und der Ukraine realisieren zu können, braucht es sehr viel Vernetzungsarbeit. Ich habe auch viel Neues gelernt, insbesondere was Bautechnologien betrifft. Ich kann das CAS wirklich sehr empfehlen, er war für mich ein wichtiger Start hier in der Schweiz.
Inwiefern?
Ich wollte nicht mehr den ganzen Tag rumsitzen und über die grossen Probleme meines Landes nachdenken. Das macht einen auf die Dauer verrückt. Ich wollte helfen, etwas Konkretes tun für die Zukunft meines Landes. Während des CAS haben wir in unserem Team ein Schulprojekt entwickelt: 2022 wurde in Bohdanivka in der Region Kiew eine Schule für 350 Kinder zerstört. Nun geht es darum, mit realistischem Aufwand neue Schulräumlichkeiten zu bauen. So entwickelten wir modulare Holzbauten als neue Schulorte, die mit einem Minimum an Ressourcen und nachhaltigen Technologien aus der Schweiz erstellt werden können. Sie könnten auch an anderen Orten in der Ukraine gebaut werden. Die Umsetzung ist inzwischen leider ein bisschen ins Stocken geraten, weil solche Schulbauten neuerdings nur noch in der Nähe von Luftschutzkellern gebaut werden dürfen. Am ursprünglichen Ort gibt es keine Luftschutzkeller, weil wir vor 50 Jahren noch nicht gewusst haben, wie verrückt unsere Nachbarn sind und dass sie uns angreifen werden.
Nach dem CAS absolvierten Sie ein dreimonatiges Praktikum bei der Bau- und Recycling-Firma Kästli.
Ja, auch das war für mich sehr wertvoll. Ich lernte viel Neues, vor allem auch, wie die Arbeit in der Schweiz organisiert ist. Das Projektmanagement unterscheidet sich ein bisschen von jenem in der Ukraine. Im Moment arbeite ich als Bauleiterin bei der Arnold AG in Wimmis, einem Netzbauunternehmen im Energiebereich. Alle sind sehr nett zu mir, die Sprache ist aber leider immer noch ein Problem. Für mich ist es wichtig, mehr über die digitalen Werkzeuge im Bausektor zu erfahren. Und auch der Energiesektor ist für den Aufbau der Ukraine von grosser Bedeutung.
«Ich erkannte sofort, dass das meine Chance ist, neue Fähigkeiten für den Wiederaufbau zu erlernen.»
CAS Wiederaufbau Ukraine
Das CAS Wiederaufbau Ukraine richtet sich an geflüchtete Personen aus der Ukraine (mit Schutzstatus S). Die Teilnehmenden lernen, Projekte zum Wiederaufbau (z.B. Gebäude, Infrastruktur) zu evaluieren, mitzugestalten und zu leiten. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) unterstützt das Weiterbildungsangebot administrativ und organisatorisch. Verschiedene andere Schweizer Hochschulen sind als Partnerinnen dabei, um den Wissensaustausch für ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz zu fördern.
Diverse Schweizer Unternehmen öffnen ihre Türen und geben den Teilnehmenden in Kursen oder während Exkursionen Einblick in ihr Know-how. Unternehmen und Privatpersonen können mit einer Patenschaft die Kosten für Teilnahmegebühren und Spesen der Studierenden übernehmen.
Dauer: ca. 6 Monate. Sprache: Englisch.
Weitere Informationen
Sie leben mit Ihrer Familie in Thun. Wie geht es Ihrem Mann und Ihren beiden Kindern?
Wir fühlen uns wohl. Mein Mann hat leider keine feste Arbeit, er kann hin und wieder Handwerks- oder Gartenarbeiten erledigen. Sein Deutsch ist leider auch nicht so gut. Meine 8-jährige Tochter und mein 14-jähriger Sohn sind in der Schule sehr gut integriert. Sie lernen die Sprache schnell, Marta spricht sogar Schweizerdeutsch.
Träumen Sie von einer Rückkehr in die Ukraine und vom Wiederaufbau des Landes?
Ich darf nicht zu weit in die Zukunft schauen, im Moment ist eine Rückkehr für uns unmöglich. Ich will mit meiner Familie hier in der Schweiz an einem sicheren Ort bleiben. Ich versuche, finanzielle Mittel für mein Land zu organisieren. Für unser Schulprojekt stehe ich in Kontakt mit dem Fenster-Unternehmer Martin Huber, der in der Ukraine Holzhäuser errichtet. Und ich habe auch Kontakt zu den anderen Teilnehmenden des CAS Wiederaufbau Ukraine. In der zweiten Durchführung gab es ein gutes Projekt zur digitalen BIM-Methodik, mit der während des Wiederaufbaus der Ukraine Planung, Bau und Betrieb von Einrichtungen optimiert werden können. Ich glaube daran, dass wir irgendwann zurückkehren werden.
«Mein bester Freund ist tot. Die beiden Göttis unseres Sohnes und unserer Tochter sind jetzt im Krieg. Diese Realität müssen wir akzeptieren.»