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Das Bundesgericht, Microsoft und eine Weihnachtsüberraschung
13.12.2024 Kurz vor Weihnachten kam es letztes Jahr zu einem gerichtlichen Tauziehen rund um freihändige Vergaben von IT-Leistungen. Zeit, um auf diese spektakulären Gerichtsfälle zurückzublicken – und den Moment zu rekapitulieren, als ein Fluchwort ein Ausdruck von Freude wurde.
Vor ziemlich genau einem Jahr hat mir ein Bundesgerichtsentscheid einen lauten Fluch entlockt. Damit das passiert, braucht es einiges. Dem Bundesgericht gelang dies mit seinem Entscheid vom 6. November 2023. Es ging darin um die freihändige Vergabe, beziehungsweise die IT-Bedürfnisse des Strassenverkehrsamts des Kantons Waadt.
Im Folgenden soll ein kurzes Appetithäppchen formuliert werden, damit Sie nachvollziehen können, warum ein enthusiastisches Schimpfwort auch in diesem Fall am Platze war.
Dass IT-Dienstleistungen und -Lieferungen im Vergleich etwa zu Bauvergaben deutlich häufiger freihändig erfolgen, ist offensichtlich. Und dass IT-Software ständig weiterentwickelt wird und darum – vielleicht im Unterschied zu einem Auto – fast ewig leben und um weitere Funktionalitäten ergänzt werden kann, führt unweigerlich zur Frage, ob «ewige» Kundenbeziehungen rechtens sind.
Der Fall Microsoft
Damit Sie meinen unflätigen Ausruf in dieser Sache nachvollziehen können, muss ich etwas ausholen. Der Fall des Waadtländischen Strassenverkehrsamts hat nämlich eine relevante Vorgeschichte:
Wir erinnern uns an die als «Fall Microsoft» berühmt gewordene Vergabe des Bundesamts für Bauten und Logistik (BBL) von 2009. Gegen die Vergabe wurde Beschwerde erhoben. Und das Bundesgericht hat bei deren Beurteilung festgehalten, dass es an der Beschwerdeführerin läge, während der Legitimationsprüfung zu beweisen, dass die Voraussetzungen für eine freihändigen Vergabe nicht gegeben seien (BVGE 137 II 313 E. 3.5.2).
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich daraufhin von der «Microsoft-Rechtsprechung» des Bundesgerichts konsequent distanziert. Auch in der Lehre und der kantonalen Rechtsprechung wurde die bundesgerichtliche Rechtsauffassung kritisiert. Die Beweislast – so die herrschende Auffassung – müsste normalerweise im Rahmen der materiellen Prüfung bei der Vergabestelle liegen. Mit umso mehr Spannung wurde ein Fall erwartet, der dem Bundesgericht Gelegenheit geben würde, sich noch einmal mit einer ähnlichen Situation zu befassen.
Der Fall «Waadtländer Strassenverkehrsamt»
Und da kommt das waadtländische Strassenverkehrsamt ins Spiel: Die Auftraggeberin hatte im April 2021 für die neue Version einer bereits verwendeten Applikation der bisherigen Anbieterin freihändig den Zuschlag erteilt. Damit wurde die bisherige Zusammenarbeit im Auftragswert von 46 Millionen Franken für die Jahre 2022-2034 verlängert.
Einen Grund für diese freihändige Vergabe gab die Vergabestelle zunächst nicht an. Als eine Konkurrentin intervenierte, wurden die Gründe für die freihändige Vergabe doch noch beschrieben. Trotzdem focht die Konkurrentin den Zuschlag vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Waadt an. Damit war der ersehnte Fall endlich da.
Aufschlussreich ist es, nun nicht nur den Entscheid des Bundesgerichts vom 6. November 2023 zu lesen, sondern auch den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Waadt vom 14. Dezember 2021.
Das informierte Publikum wird sofort mit Vergnügen feststellen, dass an diesem Entscheid mit Etienne Poltier ein wissenschaftlich ausgewiesener Vergaberechtler mitgewirkt hat. Und als ob das noch nicht genug wäre, wurde die Beschwerdeführerin von Benoît Merkt vertreten – ein in der Szene ebenfalls bekannter wissenschaftlicher Spezialist. Das allein verspricht bereits ein Festmahl mit fünf Gängen.
Das Verwaltungsgericht stellt klar fest, dass die Beweislast für die Voraussetzungen der freihändigen Vergabe bei der Auftraggeberseite liegt.
Der Entscheid des Verwaltungsgerichts
Zur Frage der Legitimation stellte das Verwaltungsgericht fest, dass die Anbieterin hinreichend glaubhaft gemacht habe, im Stande zu sein, eine vergleichbare Alternativlösung anzubieten. Das Verwaltungsgericht wies dabei in seinen Erwägungen allerdings nicht etwa auf den «Entscheid Microsoft» des Bundesgerichts hin, sondern bezog sich explizit auf ein älteres Urteil: Das Bundesverwaltungsgericht stellt am 7. Oktober 2015 klar fest, dass die Beweislast für die Voraussetzungen der freihändigen Vergabe bei der Auftraggeberseite liegt.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Waadt kommt zum Schluss, dass das freihändige Verfahren weder mit dem Argument, dass nur eine Anbieterin in Frage kommt, noch mit einer Folgebeschaffungen begründet werden kann. Es hebt den Zuschlag auf.
Dem Bundesgericht wird also schon das ganze Menü auf dem Silbertablett serviert. Aber es braucht auch noch jemanden, der dieses Tablett vom Parc de l’Hermitage in Lausanne die gut zwei Kilometer hinunter zum Bundesgericht transportiert. Zwar hat das Waadtländer Strassenverkehrsamt den Entscheid nicht angefochten, dafür aber hat die Zuschlagsempfängerin gleich zweifach Beschwerde erhoben.
Es genügt, wenn die Konkurrentin glaubhaft macht, dass sie als potenzielle Anbieterin in Frage kommt.
Das Bundesgerichtsurteil
Und damit kommen wir endlich zum Filetstück: dem Bundesgerichtsurteil selbst. Würde dieses seine «Microsoft-Rechtsprechung» bestätigen – oder nicht?
Die Beschwerdeführerin macht vor Bundesgericht geltend, dass sich die Vorinstanz eben fälschlicherweise nicht an der «Microsoft-Rechtsprechung» orientiert habe. Demnach hätte das kantonale Verwaltungsgericht verlangen müssen, dass die klagende Konkurrentin hätte beweisen müssen, dass es eine gleichwertige Alternative gibt – und nicht etwa die Vergabestelle das Gegenteil.
Und jetzt kommt der entscheidende Akt: Das Bundesgericht stellt zunächst fest, dass bereits das Bundesverwaltungsgericht mit dem erwähnten Urteil vom 7. Oktober 2015 wie auch die Genfer Cour de Justice mit Urteil vom 18. August 2020 von der «Microsoft-Rechtsprechung» abgewichen waren. Ausserdem sei die Kritik der Lehre an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung berechtigt. Erstens gelte das Ziel des Wettbewerbs, zweitens hätten die Konkurrentinnen keine Kenntnis darüber gehabt, was genau der Bedarf der öffentlichen Hand war.
Auch den Gesetzesmaterialien zur Vergaberechtsreform sei in Bezug auf die Beweislast nichts zu entnehmen, stellt das Bundesgericht weiter fest. Die «Microsoft-Rechtsprechung» stehe zudem in gewissem Widerspruch zum Grundsatz, dass von der freihändigen Vergabe nur restriktiv und ausnahmsweise Gebrauch gemacht werden sollte.
Die «Microsoft-Rechtsprechung» wird teilweise aufgegeben
Das Ergebnis hätte nicht deutlicher sein können: Die «Microsoft-Rechtsprechung» wurde teilweise aufgegeben. Und im Fall des Waadtländer Strassenverkehramts wurde die Beweislast in Bezug auf die Frage, ob es valable Alternativen zum Produkt der Zuschlagsempfängerin gibt, der Vergabestelle auferlegt. Somit genügt es, wenn die Konkurrentin glaubhaft macht, dass sie als potenzielle Anbieterin in Frage kommt.
Damit ist das vorweihnachtliche Festessen magistral zelebriert. Damit ich hier aber kein weiteres Mal ein zwar enthusiastisches, aber gleichwohl unflätiges Schimpfwort nutze, formuliere ich lieber mit den Worten von Alt-Bundesrat Ogi: Freude herrscht!
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