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Neustart im VBS: Wer Aufrüstung sagt, muss auch Beschaffung sagen
24.03.2025 Die Schweiz muss ihre Verteidigungsfähigkeit überdenken. Doch mehr Mittel für Rüstung allein reichen nicht. In Zeiten wie diesen muss das VBS auch im Beschaffungswesen über die Bücher.
Seit dem Kalten Krieg wurde wohl selten so intensiv über Rüstungsausgaben debattiert wie in diesen Tagen. Nach Jahrzehnten des Sparens fordert die Armee nun deutlich mehr Ressourcen – eine Forderung, die von links bis rechts kontrovers diskutiert wird. Unbestritten ist, dass steigende Militärausgaben ein Zeichen geopolitischer Spannungen sind – und damit alles andere als eine gute Nachricht. Denn jeder zusätzliche Franken für die Armee fehlt an anderer Stelle, sei es im Sozialstaat oder in der Bildung.
Zweifelhafte Interessenskonflikte in den USA
Die USA gehen das Thema steigender Staatsausgaben auf ihre eigene Art an. Präsident Trumps neuer Minister für «Regierungseffizienz», Elon Musk, setzt auf radikale Massnahmen: Massenentlassungen im Staatsapparat und eine harte Linie gegenüber dem Pentagon. Mitte Februar traf sich Musk mit hochrangigen Vertreter*innen des Verteidigungsministeriums und kündigte an, sämtliche Beschaffungsprojekte genaustens unter die Lupe nehmen zu wollen.1 Sein Ziel: Einsparungen und Effizienzsteigerungen, notfalls mit personellen Konsequenzen.
Brisant dabei: Musk ist nicht nur Minister, sondern als Tech-Milliardär anbieterseitig auch selbst ein wichtiger Geschäftspartner des Pentagons. Seine enge Verflechtung mit der Rüstungsindustrie wirft Fragen auf – insbesondere, nachdem Berichte die Runde machten, dass Staatsausgaben gezielt genutzt werden könnten, um «Freunde zu belohnen und Feinde zu bestrafen».2
Doch es ist nicht nur die amerikanische Innenpolitik, sondern vielmehr die militärische Aussenpolitik, die international für Unruhe sorgt. Das explosive Verhältnis zwischen den USA und der Ukraine führt zu Spannungen in der westlichen Welt: Der Druck auf NATO-Verbündete, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, wird immer grösser.
Der neue VBS Vorsteher Martin Pfister wird nicht nur diese zentralen Führungsposten neu zu besetzen haben. Er wird auch die Beschaffungspraxis des VBS grundlegend reformieren müssen.
Aufrüstung rund um den Globus
In Deutschland sorgen die Rüstungsausgaben für hitzige Debatten. Kurz nach den Wahlen machte Friedrich Merz, Deutschlands voraussichtlicher nächster Kanzler, eines deutlich: Er will die militärische Abhängigkeit von den USA verringern und Deutschland eigenständiger aufrüsten. Wenige Wochen später sprach er sich dann für eine aussergewöhnliche Finanzspritze aus: Eine Schuldenaufnahme in Höhe von 500 Milliarden Euro, die offiziell als «Sondervermögen» bezeichnet wird. Ein erheblicher Teil davon soll in die Modernisierung der Bundeswehr fliessen – idealerweise durch deutsche Rüstungsfirmen.
Japan ist hier bereits einen Schritt weiter. Der seit der Nachkriegszeit eng mit den USA verbundene Staat besitzt zwar eine einzigartige «Friedensklausel» in seiner Verfassung (Artikel 9 untersagt es Japan offiziell, Krieg zu führen und eine reguläre Armee zu unterhalten). Trotzdem verfügt das Land über umfangreiche «Selbstverteidigungsstreitkräfte» und hat den europäischen Ländern damit einiges voraus:
Im letzten Jahrzehnt hat der ehemalige Premierminister Shinzo Abe – übrigens trotz massiver Proteste in der Bevölkerung – die japanische Verteidigungspolitik grundlegend reformiert. Unter seiner Führung wurden die Rüstungsausgaben verdoppelt und erstmals die Marke von 2 Prozent des BIP überschritten. Zudem investierte seine Regierung massiv in die nationale Rüstungsindustrie und legalisierte 2014 den Export von Rüstungsgütern. Japan darf sich seither an internationalen Rüstungsausschreibungen beteiligen.
Der aktuelle Premierminister und langjährige Verteidigungsminister Shigeru Ishiba treibt diesen Kurs weiter voran. Im November letzten Jahres verkündete Japan eine verstärkte militärische Zusammenarbeit mit Europa: Gemeinsam mit Grossbritannien und Italien soll ein neues Kampfflugzeug entwickelt werden.3
Die Schweiz ist anderweitig beschäftigt
Und die Schweiz? Auch in der Schweiz gibt das Bundesamt für Verteidigung zu reden. Das hiesige Departement für Verteidigung VBS wurde in letzter Zeit massiv medialattackiert. Vor einem Jahr hat die Diskussion über die so genannte «Finanzlücke» für Verwirrung, Erstaunen und Empörung gesorgt. Ein Jahr später war es dann nicht mehr die Finanz- sondern vielmehr die Führungslücke, die für Aufsehen sorgte, als auf den Rücktritt von Bundesrätin Viola Amherd Knall auf Fall die Kündigungen von Armeechef Süssli und Nachrichtendienstchef Dussey folgten.
Der neue VBS Vorsteher Martin Pfister wird nicht nur diese zentralen Führungsposten neu zu besetzen haben. Er wird auch die Beschaffungspraxis des VBS grundlegend reformieren müssen. Denn auch im Bereich der Beschaffungspannen rissen die Schlagzeilen nicht ab: Funkgeräte und Drohnen die zu spät und zu teuer geliefert wurden4, die Beschaffung der Kampfjets, die trotz Abstimmung wegen der neuen Führung in den USA erneut hinterfragt werden5 und eine Vielzahl anderer Digitalisierungsbeschaffungen im Bereich IT und Kommunikation, die allesamt millionenschwer wiegen und wegen Verspätungen und Mehrkosten «aus dem Ruder gelaufen sind».6 Dazu kommt: ein krasser Betrugsfall bei der armeenahen RUAG, der zeigt, dass auch die Schweiz vor Korruption nicht gefeit ist.
Welche Rüstungsgüter und -dienstleistungen muss die Schweiz selber herstellen können? Welche muss sie öffentlich beschaffen? Und in welchen Ländern kaufen wir sie ein?
Die relevanten Fragen bleiben ungeklärt
All diese Skandale lassen die eigentliche sachliche Diskussion in den Hintergrund rücken: Wie positionieren wir uns in der neuen geopolitischen Ausgangslage? Mit welchen militärischen Partner kooperieren wir? Welche Rüstungsgüter und -dienstleistungen muss die Schweiz selber herstellen können? Welche muss sie öffentlich beschaffen? Und in welchen Ländern kaufen wir sie ein?
Von wenigen Tagen hat das Parlament beschlossen, die letzte noch nicht ausgeflogene Tochter der zivilen RUAG international, die Weltraumtechnikfirma mit dem malerischen Namen «Beyond Gravity» nicht zu verkaufen.7
Weltraumtechnik sei, diesbezüglich ist sich der Ständerat einig, nicht nur für die Sicherheit sondern auch für die Innovationskraft unseres Landes von strategischer Bedeutung. Die Entscheidung fällt in eine Zeit, in der einzelne Tech-Milliardäre über den Zugang zu Satellitenkommunikation in Kriegsgebieten bestimmen können. Diese Unabhängigkeit will sich die Schweiz etwas kosten lassen – und wenig ist das nicht: Die Anfangsinvestitionen in den nächsten Jahren belaufen sich auf 600 Mio Franken. Ob das eine notwendige Zukunftsinvestition oder übertriebene Staatsausgabe ist, wird in der Politik weiterhin für hitzige Debatten sorgen.
Nichts ist in Zeiten wie diesen wichtiger, als eine funktionierende, stabile Demokratie sicherzustellen.
Die Armee muss ihre Hausaufgaben machen
Fakt ist, dass das Verteidigungsdepartement unter neuer Führung in Zukunft nicht weniger zu tun haben wird. Das VBS muss «ad Säck». Und das kostet Geld. Wofür es das Geld inhouse investiert, ist eine berechtigte Frage. Fakt ist aber auch, dass das VBS nicht alles alleine machen kann. Vor allem im Digitalisierungsbereich ist das Departement auf private Innovationspartner angewiesen. Es wird also auch eine grössere Anzahl Beschaffungsprojekte zu bewältigen haben.
Umso wichtiger muss die Frage nach der Art und Weise sein, wie das VBS und ganz besonders die Armee diese Beschaffungen durchführen soll. Wie viel Agilität, Transparenz und Wettbewerb braucht es hier – und wie viel verträgt es?
Darauf gibt es keine klare Antwort. Immerhin ein paar Tipps für IT-Beschaffungen finden sich in der Analyse von Reto Vogt.8
Auf die neue Führung des Verteidigungsdepartements und der Armee kommt eine Herkulesaufgabe zu: Nicht nur muss sich die Schweiz in der geopolitisch neu zusammengesetzten Welt orientieren. Sie muss sich auch die grundlegende Frage stellen, wie viele Rüstungsgüter – und wie viel Digitalisierung – für diese Neupositionierung notwendig sind. Und in einem zweiten Schritt muss sie sich fragen, wie diese zu beschaffen sind.
Die Reformierung des Beschaffungswesens im Bereich Verteidigung wird die grosse Herausforderung für Süsslis Nachfolgerin oder Nachfolger sein. Er oder sie wird die Beschaffungsprozesse so gestalten müssen, dass unnötige Kosten vermieden und Mittel gezielt eingesetzt werden. Denn jeder Franken, der durch ineffiziente Prozesse verloren geht, fehlt an anderer Stelle.
Verteidigungspolitik und militärische Handlungsfähigkeit sicherzustellen, ist für einen Staat unverzichtbar. Aber genauso unverzichtbar ist es, seine zivilen Aufgaben weiterhin wahrzunehmen: Nichts ist in Zeiten wie diesen wichtiger, als eine funktionierende, stabile Demokratie sicherzustellen. Deshalb sind die Gelder in essenziellen Bereichen wie der Bildung oder unserem Sozialstaat mindestens so unverzichtbar wie in der Armee.