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«Bitte einmal digitalisieren, Herr Huber!»

13.01.2025 Eine gut gemachte Beschaffung kann Innovation und Nachhaltigkeit effektiv fördern. Nur fehlt dafür gerade auf kleinen und mittleren Verwaltungen oft das nötige Knowhow. Dabei könnte ein Beschaffungsprozess viel mehr sein als ein notwendiges Übel.

Stellen Sie sich einen gewöhnlichen Mitarbeiter auf einer kommunalen Verwaltung einer mittelgrossen Gemeinde in der Schweiz vor. Herr Huber bearbeitet auf dem Hochbauamt Baugesuche. Eines Tages ruft ihn seine Chefin zu sich und übergibt ihm eine ungewöhnliche Aufgabe: Der Baugesuchsprozess soll digitalisiert werden – und als erfahrenster Mitarbeiter im Team soll er den Prozess leiten.

«Bereiten Sie bitte einen Vorgehensvorschlag für den Stadtrat vor», weist sie ihn an. Herr Huber lächelt gezwungen, verlässt das Büro seiner Chefin und ruft seinen Kollegen in der Nachbargemeinde an, die bereits mit eBaugesuchen arbeitet. Dieser erzählt von einem langwierigen Umstellungsprozess, viel Mühsal und einer Software, die ihn bis heute nicht ganz überzeugt.

Herr Huber schläft schlecht

Nach zwei Nächten, in denen Herr Huber schlecht geschlafen hat, beginnt er zu recherchieren. Er weiss wenig über Digitalisierung und fragt sich, wen er in den Prozess einbeziehen sollte. Und er beginnt sich zu fragen: was muss diese Software überhaupt alles können? Welche Prozesse soll sie abdecken?

Dann realisiert er, dass er es für das Projekt eine offene Ausschreibung brauchen wird. Öffentliches Beschaffungsrecht ist allerdings genauso wenig sein Fachgebiet. Bisher hatte er ein paar einfache Einladungsverfahren durchgeführt, die meisten Aufträge aber freihändig vergeben.

So steht Herr Huber also da, ratlos, überfordert und stellt fest, dass er gerne eine Digitalisierungsexpertin und einen Rechtsdienst im Haus hätte. Nur leider gibt es beides nicht. Also setzt er sich hin und tun, was er in solchen Fällen immer tut: Er beginnt einen Vorschlag für die Mandatierung eines externen Beratungsbüros zu schreiben, das sein Team bei der Umsetzung des Projekts «eBaugesuche» begleiten soll.

Bei den meisten Verwaltungen ausserhalb der grossen Städte gibt es keine Fachexpert*innen im öffentlichen Beschaffungsrecht – und meist auch keine Rechtsdienste, die diese Funktion wahrnehmen könnten.

Stefanie Pfändler
Stefanie Pfändler Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Fehlendes Wissen bei komplexen Beschaffungsprojekten

Solche Szenen können wir in praktisch allen Verwaltungsgebäuden der Schweiz fast täglich beobachten. Herr Huber ist Experte in seinem Fachgebiet. Aber niemand kann von ihm erwarten, das nötige Knowhow für ein grosses Digitalisierungsprojekt mitzubringen.

Und es ist auch nicht weiter verwunderlich, dass er den Beschaffungsprozess als notwendiges Übel ansieht, das er irgendwie hinter sich bringen muss.

Das ist schade. Denn im oben beschriebenen Moment werden wichtige Weichen gestellt. Wenn Herr Huber das Projekt an ein Beratungsbüro externalisiert, ist dieses sehr weit weg von der Alltagsrealität des Hochbauamts. Es versteht interne Prozesse zu wenig, kennt Abläufe und Herausforderungen nicht. Und es wird vermutlich ohne weitere Erwägungen vorschlagen, eine Standardsoftware zu implementieren. Das kann funktionieren – oder sie wird Herrn Huber eines Tages ebenso wenig überzeugen wie seinen Kollegen aus der Nachbargemeinde.

Komplexe Beschaffungsprojekte leiden häufig an einem Ressourcenproblem. Bei den meisten Verwaltungen ausserhalb der grossen Städte gibt es keine Fachexpert*innen im öffentlichen Beschaffungsrecht – und meist auch keine Rechtsdienste, die diese Funktion wahrnehmen könnten. Und so werden Beschaffungen meist von Verwaltungsmitarbeiter:innen durchgeführt, die wenig Erfahrung mit vergleichbaren Projekten mitbringen. Deshalb wird der Beschaffungsprozess als Eisberg wahrgenommen, den es möglichst elegant zu umschiffen gilt.

Ins Pflichtenheft muss genügend internes Knowhow einfliessen. Das bedeutet: Die Gemeinde muss bei der Beschaffung bewusst eine aktive Rolle einnehmen.

Stefanie Pfändler
Stefanie Pfändler Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Spielräume schaffen für spätere Korrekturen

Auch wenn die Ausschreibung von einem externen Beratungsbüro begleitet wird, wäre es wichtig, den richtigen Takt vorzugeben. Die Gemeinde kann den Beschaffungsgegenstand nämlich klug und präzis definieren, so dass das ausgeschriebene Produkt für interne Prozesse reale Verbesserungen bringt. Damit das gelingt, muss ins Pflichtenheft jedoch genügend internes Knowhow einfliessen. Das bedeutet: Die Gemeinde muss bewusst eine aktive Rolle einnehmen.

Zudem stellt bereits der Beschaffungsprozess wichtige Weichen für die Zukunft: Betritt man mit einem Projekt Neuland, kann das Pflichtenheft bewusst so formuliert werden, dass Spielräume entstehen, um die eingeschlagene Richtung bei Bedarf korrigieren zu können.

Das gelingt beispielsweise, indem ein Projekt schrittweise entwickelt wird: Entwicklungsschritte können tranchenweise ausgelöst werden, um das Produkt laufend zu optimieren. Wenn ins Vergabevolumen genügend grosse Reserven eingerechnet wurden, steht einem solchen schrittweisen Prozess nichts im Weg. Gehen solche Reserven vergessen, wird das Beschaffungsrecht später als Innovationsbremse wahrgenommen, weil für die Weiterentwicklung eine Neuausschreibung nötig ist.

Beschaffungsprozess als Innovationsinstrument

Erfahrene Beschaffer:innen können in Pflichtenheften ausserdem gut durchdachte Qualitätskriterien definieren, welche potenzielle Auftragehmer:innen anspornen, innovative Produkte zu entwickeln. Sie können spezifisch nachhaltige Lösung einfordern und so ökologische, soziale und wirtschaftliche Lösungen einkaufen.

Dies zeigt: Gemeinden haben die Chance, den Beschaffungsprozess durch sinnvolle Vorgaben und ein sorgfältig erarbeitetes Pflichtenheft zu einem effektiven Innovations- und Nachhaltigkeitsinstrument zu machen.

Allerdings wird dies unserem Herrn Huber wohl kaum gelingen. Ihm fehlt die nötige Erfahrung, um den Beschaffungsprozess richtig aufzugleisen oder ein externes Beratungsbüro entsprechend anzuweisen.

Für den Aufbau internen Knowhows gibt es interessante Lösungen: Herrn Hubers Verwaltung könnte sich beispielsweise mit Nachbargemeinden zusammenschliessen.

Stefanie Pfändler
Stefanie Pfändler Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Gemeinsam Kompetenzen aufbauen

Was also tun? Herrn Hubers Arbeitgeberin kann nicht beliebig Personalressourcen aus dem Boden stampfen. Aber sie kann erkennen, dass Beschaffungsprozesse von strategischer Bedeutung sind. Und sie kann erkennen, dass gewisse interne Kompetenzen unabdingbar sind – auch wenn Ausschreibungen grundsätzlich von externen Partnern durchgeführt werden.

Für den Aufbau internen Knowhows gibt es interessante Lösungen: Herrn Hubers Verwaltung könnte sich beispielsweise mit Nachbargemeinden zusammenschliessen. Dafür gibt es verschiedene Modelle: So können Gemeinden beispielsweise einen Verein oder eine regionale Beschaffungskompetenzstelle gründen und so gemeinsam wertvolles Knowhow aufbauen. Dieses Wissen können sie bei eigenen Projekten abrufen – oder Projekte sogar gemeinsam umsetzen und so von einer gestärkten Marktmacht und besseren Preisen profitieren.

Gemeinsame Beschaffungen sind im öffentlichen Beschaffungsrecht nämlich explizit zugelassen. Eine grenzüberschreitende Kooperation ist aber auch ohne spezifische Organisationsform möglich: Es kann bereits hilfreich sein, sich innerhalb von Fachbereichen systematisch und regelmässig auszutauschen.

Dann nämlich hätte Herr Huber seinen Kollegen in der Nachbargemeinde vielleicht schon einige Jahre früher angerufen – und ihre beiden Gemeinden hätten «eBaugesuche» vielleicht gemeinsam ausgeschrieben.

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Fachgebiet: Public Sector Transformation