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«Individuelle Ernährungsberatung ist das A und O»
28.06.2022 Wie steht es um die Diversität in der Profession der Ernährungsberatung? Was wird im Studium an der BFH diesbezüglich vermittelt? Darüber sprechen die BFH-Dozentin Caroline Heuberger und die BFH-Studentin Lara Hostettler im Interview.
Welche Rolle spielt die Diversität in der Ernährungsberatung?
Caroline Heuberger: Unsere Therapie besteht darin, zu kommunizieren, sich auszutauschen und zusammen mit dem Gegenüber ein Problem zu lösen. Das gelingt nur, wenn wir den Menschen als Individuum mit all seinen Facetten und Ressourcen betrachten. Ernährungsberater*innen müssen herausfiltern können, welche Informationen der Patient*innen wichtig für die erfolgreiche Therapie sind. Faktoren wie Wohnort, Alter, Einkommen, religiöse Gebote und Freizeitverhalten spielen eine wichtige Rolle. Beispielsweise kann es eine Auswirkung auf das Essverhalten einer Person haben, wenn sie einen langen Arbeitsweg hat. Dass den Ernährungsberater*innen eine individualisierte Beratung gelingt, ist Kern unseres Studiums.
Wie wird dieses Wissen im Studium vermittelt?
Caroline Heuberger: Zum einen gibt es die Lehre zur Ernährungsberatung für Personen mit Migrationshintergrund, in welcher wir die kulturelle Kompetenz der Studierenden stärken. Zum anderen lernen sie, wie sie Informationen auf unterschiedliche Arten vermitteln können – also nicht nur mündlich, sondern auch visuell oder konkret abgestimmt auf die persönlichen Präferenzen der Patient*innen.
Lara Hostettler: Wir üben des Weiteren, wie eine Mahlzeitplanung mit kleinem Budget gelingt, was uns Studierende mit wenig Einkommen natürlich interessiert. Wir lernen im Studium, dass die individuelle Ernährungsberatung das A und O ist.
Caroline Heuberger: In Beratungsgesprächen üben die Studierenden den Umgang mit Klient*innen. Wir versuchen dabei, die Gesellschaft in all ihrer Diversität abzubilden. Mal handelt es sich um eine ältere Person, mal um jemanden mit wenig Gesundheitskompetenz, mal gibt es eine Patchwork-Familie im Hintergrund, oder es handelt sich um eine Person, die in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt.
Behandelt ihr auch den Umgang mit stereotypischen Mustern?
Caroline Heuberger: Ja, das machen wir. Im Master-Studiengang absolvieren alle Studiere den einen impliziten Assoziationstest von Harvard zum Thema Gewicht. Sie erfahren, ob sie über- oder untergewichtigen Menschen unterbewusst mit Vorurteilen begegnen. Wir geben den Studierenden Werkzeuge an die Hand, wie sie mit ihren Vorurteilen umgehen können. Letztlich haben alle Menschen Vorurteile, auch Gesundheitsfachpersonen. Das ist normal. Es ist aber wichtig, dass man sich dieser bewusst ist und mit ihnen umgehen kann. Die Selbstreflektion wird immer wieder geübt.
Gibt es ein Modul, das Diversität spezifisch behandelt?
Caroline Heuberger: Nein, das gibt es nicht. Die Individualität der Patient*innen ist so wichtig, die Diversität schwingt in allen Modulen mit.
Lara Hostettler: Im Studium wird uns mitgegeben, dass die Einzigartigkeit einer Person und die Diversität der Patient*innen eine Chance ist und dass wir dieser immer wieder bewusst begegnen sollen. Als Ernährungsberaterin muss ich nicht jede Kultur und jede Diät bis ins letzte Detail kennen. Viel wichtiger ist es, immer von Neuem nachzufragen und nicht davon auszugehen, dass sich beispielsweise jede asiatische Person gleich ernährt. Wir werden auch angehalten, nicht der Routine zu verfallen: Eine gleiche Diagnose benötigt nicht zwingend die gleichen therapeutischen Massnahmen.
Lara, du hast bereits mehrere Praktika hinter dir, u.a. in Spitälern und Kliniken sowie bei einer Ernährungspraxis. Welchen Herausforderungen bist du dabei begegnet?
Lara Hostettler: Ich finde es manchmal schwierig, die geistige Fähigkeit einer Person einzuschätzen. Mir ist es schon passiert, dass ich in einer Beratung einer Person zu viel zugemutet und sie mit Informationen überhäuft habe. Dann gibt es wiederum wissbegierige Personen, die ganz spezifische Detailinformationen erhalten möchten. Wir lernen in den Beratungsübungen, wie wir spontan auf solche Situationen reagieren können.
Welches Wissen möchtest du im Studium in Bezug auf die Diversität noch vertiefen?
Lara Hostettler: In meinen Praktika bin ich Menschen mit Demenz begegnet und habe mehr über ihr Essverhalten und die damit verbundenen Probleme wie Hyperaktivität oder Mangelernährung gelernt. Ich fände es spannend, wenn ich diese Thematik im Studium vertiefen könnte. Die Ernährungsberatung für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung interessiert mich ebenfalls. Die Selbstbestimmung spielt eine wichtige Rolle und kann bei den Betreuenden zu Konflikten führen. Dürfen sie sich z.B. eine zweite Portion schöpfen, obwohl sie schon mehr als genug gegessen haben? Wo setzt man Grenzen, und wo lässt man sie gewähren? Auch die Ernährungsberatung für Transpersonen wäre ein Thema, das mich interessiert.
Caroline, wo wünscht du dir in der Ernährungsberatung mehr Diversität?
Caroline Heuberger: Momentan sind es mehrheitlich Frauen, die sich für eine Ausbildung als
Ernährungsberater*in interessieren. Glücklicherweise beobachten wir bereits einen Trend hin zur Diversifizierung unserer Berufsgruppe, was ich sehr unterstütze. Es wäre wünschenswert, dass weiterhin mehr Männer sowie Menschen mit anderen ethnischen Hintergründen den Beruf ergreifen, um das Angebot für die Patient*innen zu erweitern und unsere Forschung weiterzubringen. Wenn wir divers denken, können wir mehr erreichen.
Diversität im Forschungsprojekt «IntegrEAT»
Kognitiv beeinträchtigte Menschen sind besonders häufig von ernährungsspezifischen Krankheiten wie Diabetes, Über- oder Untergewicht betroffen. Mit Hilfestellungen für ein gesundes Gewichts- und Ernährungsmanagement können Ernährungsberater*innen die Gesundheit und Lebensqualität der Betroffenen steigern. Um bei der Zielgruppe nachhaltige Veränderungen im Essverhalten zu erreichen, braucht es spezielle bildbasierte Hilfsmittel, die für sie verständlich, motivierend und auf ihre Lebenswelt zugeschnitten sind. Im Projekt «IntegrEAT» erforscht das Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule zusammen mit dem Institute of Design Research der Hochschule der Künste Bern, wie solche Tools konzipiert und gestaltet werden müssen. In partizipativen Workshops beteiligen sich erwachsene Betroffene aktiv am Prozess. Zusätzlich finden Interviews mit Betreuungspersonen, Angehörigen und Ernährungsberater*innen statt. Nach der Datenauswertung werden die Ergebnisse in einem weiteren Workshop der Zielgruppe vorgestellt.
«Das Projekt ‹IntegrEAT› legt die Basis, um in einem Folgeprojekt konkrete Hilfsmittel mit der Zielgruppe zu entwickeln», erklärt Projektleiterin Dr. Franziska Pfister. «Es leistet mittelfristig einen Beitrag zur Gesundheitsförderung kognitiv beeinträchtigter Menschen, erhöht ihre gesundheitliche Chancengleichheit und trägt zu ihrem Empowerment bei», führt sie aus. Erste Ergebnisse werden Ende Jahr erwartet.


