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Wie sich die Verarbeitung von Lebensmitteln auf unsere Gesundheit auswirkt
24.06.2022 Die Verarbeitung von Lebensmitteln verändert deren Eigenschaften stark – nicht nur zu unserem Vorteil. Was sind ultra-verarbeitete Produkte, wie beeinflussen sie unsere Gesundheit und woran erkennen wir sie, damit wir den Konsum kontrollieren können?
Der moderne Mensch bereitet viele Lebensmittel zu, bevor er sie isst. Dies bringt Vorteile: Gebratenes Muskelfleisch ist bekömmlicher und leichter verdaulich als rohes. Das Verarbeiten von Rohprodukten wie Fisch, Fleisch, Getreide und Milch erlaubte es unseren Vorfahren, Esswaren haltbarer zu machen oder deren Energiedichte zu steigern. Es machte sie auch unabhängiger von ihrer Umwelt, von den Jahreszeiten und vom Wetter. Dies half der Entwicklung des Gehirns und schaffte mehr Freiraum für andere Beschäftigungen. Möglicherweise trug die Lebensmittelverarbeitung wesentlich zur Entwicklung der Kultur und zu Fortschritten in der Technik bei.
Lebensmittelverarbeitung bringt Vorteile für Herstellung und Handel
In Ländern wie den USA oder Grossbritannien ist über die Hälfte der eingekauften Lebensmittel stark verarbeitet (Ultra-Verarbeitung, ultra-processed food: UPF, siehe Kasten), in der Schweiz ist es rund ein Viertel (Pestoni et al., 2021). Die Verarbeitung nützt der Herstellungsfirma in vielerlei Hinsicht. Das Produkt ist hoch standardisiert, günstig herstellbar, lange haltbar, schmackhaft und konsumfördernd (Monteiro et al., 2018). Viele moderne Lebensmittel sind aber überhaupt erst durch starke Verarbeitung möglich. Dazu zählen auch Ersatzprodukte für Milch- und Fleischprodukte – entsprechend sind die meisten vegetarischen und veganen Fertigprodukte stark prozessiert. Auch der Detailhandel profitiert von den stark verarbeiteten Produkten, kann dieser doch gleichbleibende Menge und Qualität anbieten und hat weniger Ausschussware. Dies hat zur Folge, dass zum Beispiel in den USA viele Ketten praktisch ausschliesslich UPF anbieten (Baraldi et al, 2018).
Ultra-verarbeiten heisst Vorverdauen
Wir leben heute in einer Umwelt, die uns wenig Kalorien abverlangt, jedoch viele rund um die Uhr bietet. Entsprechend können uns die neuen Eigenschaften, die durch die Verarbeitung entstehen, auch Nachteile einbringen. Aus heutiger Optik sind ein Hauptproblem der UPF die schlechten Sättigungseigenschaften in Kombination mit erhöhter Attraktivität. Die Zusammensetzung der Nährstoffe hat auf diese Eigenschaften keinen Einfluss. Unverarbeitete Lebensmittel wie Hülsenfrüchte sind reich an Nahrungsfasern und haben somit eine verzögerte Blutzuckerantwort zur Folge. Dies entlastet Organe wie Leber und Bauchspeicheldrüse, die an der Blutzuckerregulation beteiligt sind. Die Eigenschaft erklärt auch, warum Linsen, Kichererbsen und Co. im Verhältnis zu den enthaltenen Kalorien gut sättigen.
Im Gegensatz dazu verlangsamt das Beifügen von Fasern zu ultra-verarbeiteten Frühstücksflöckli das Erscheinen von Glukose im Blut kaum (Schenk et al., 2003). Die ultra-verarbeiteten Lebensmittel übernehmen für den Körper also einen Teil der Verdauungsaufgabe, die dem Körper Energie abverlangt und uns satt fühlen lässt. Tatsächlich konnte eine viel beachtete Studie zeigen, dass bei gleicher Nährstoffzusammensetzung Proband*innen, die ultra-verarbeitete Lebensmittel assen, etwa 500 Kalorien pro Tag mehr einnahmen als die Vergleichsgruppe, die ausschliesslich minimal verarbeitete Speisen konsumierte (Hall et al., 2019).
Zusammenhang zwischen Konsum und Gesundheit
Beobachtungsstudien zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Konsum von UPF und chronischen Krankheiten wie Adipositas, Diabetes, Krebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten (Lane et al., 2021). Einen Rückschluss darauf, dass UPF diese Krankheiten auch verursachen, lassen solche Studien nicht zu. Gut möglich, dass andere gesundheitsrelevante Unterschiede zwischen starken und schwachen Konsument*innen von UPF zumindest einen Teil des Risikos erklären. Allerdings liefert eine kürzlich veröffentlichte randomisierte kontrollierte Studie starke Hinweise darauf, dass UPF selbst für Gesundheitsrisiken verantwortlich sind. Im Versuch nahmen übergewichtige Menschen nur aufgrund des Verarbeitungsgrades nach zweiwöchigem Konsum von UPF ein Kilo an Gewicht zu, während die Kontrollgruppe, die minimal verarbeitete Lebensmittel mit identischer Nährstoffzusammensetzung konsumierte, ein Kilo abnahm. Die Studie kam zum Schluss, dass Konsument*innen von UPF mehr Kalorien zu sich nehmen müssen, um satt zu werden (Hall et al., 2019).
Labels geben falsche Sicherheit
Beim Einkauf wird es den Konsument*innen schwer gemacht, scheinbar von wirklich gesunden Produkten zu unterscheiden. Viele UPF lassen sich durch Labels gesünder erscheinen, als sie tatsächlich sind. Dazu gehören Zusätze wie «sugarfree», «ohne Zuckerzusatz», «mit Vitaminen», «ballaststoffreich», «glutenfrei» oder «vegan». Auch der kürzlich in der Schweiz eingeführte Nutri-Score unterscheidet nicht zwischen stark und wenig verarbeiteten Lebensmitteln (BLV, 2022). Tatsächlich handelt es sich bei vielen Produkten, welche die Bestnote A erhalten, um UPF, während unverarbeiteten Produkten wie frischen Früchten und Gemüse diese attraktive Benotung verwehrt bleibt. Umso wichtiger wäre es für Konsument*innen, den Überblick über den Anteil eingekaufter UPF zu behalten. Eine Bachelor-Thesis des Fachbereichs Ernährung und Diätetik der Berner Fachhochschule konnte zeigen, dass dies mit automatisch generierten Einkaufsdaten grundsätzlich möglich ist (siehe Abbildung). Die Arbeit stellt eine Grundlage für Konsument*innen dar, um Schwankungen des Verarbeitungsgrads ihres Einkaufs zu erkennen und den Anteil gezielt zu senken (Schönenberger et al., 2021).
Definition von Ultra-Verarbeitung
Damit Forschende und Konsument*innen unter Ultra-Verarbeitung das gleiche verstehen, wurde eine Klassifizierung vorgeschlagen. In dieser sogenannten NOVA-Einteilung entspricht die höchste Kategorie (4) den UPF (Monteiro et al., 2018). Neben den zahlreichen Verarbeitungsschritten ist der Zusatz bestimmter Stoffe charakteristisch, wie Farbstoffe, Aromen oder Geschmacksverstärker, aber auch von Substanzen, die das Volumen, die Konsistenz, Homogenität oder die Feuchte des Produktes verändern. Die Herstellung dieser Klasse-4-Produkte kann zu Hause nicht nachgeahmt werden. Die NOVA-Definition ist grob und auch nicht universell anwendbar. Es existieren aber bereits darauf aufbauende Alternativen, die Konsument*innen besser darin unterstützen Produkte unterscheiden zu können. Zu den typischen UPF gehören Fastfood und Fertigprodukte, aber auch Back- und Süsswaren, Snacks, Fleischprodukte, Frühstücks-Cerealien, Riegel, manche Milchprodukte und viele Getränke.
Wie verringere ich ultra-verarbeitete Lebensmittel in meiner Ernährung?
Neben dem bewussten Einkauf bietet der Alltag noch weiteres Potenzial, um UPF zu reduzieren. Folgende Tipps bieten Unterstützung:
- Basis der Ernährung: wenig oder unverarbeitete Produkte (z. B. Früchte, Gemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte, Quinoa)
- Die Verarbeitung von Lebensmitteln möglichst selbst in die Hand nehmen
- Lebensmittel kaufen, deren Ursprung und Herstellung ich kenne
- Beim Einkauf auf Produkte setzen, die es schon lange gibt
- Sich nicht von Labels zum Kauf verleiten lassen
- Auf kurze Zutatenliste achten (idealerweise weniger als fünf Zutaten)
- Lange Haltbarkeit weist auf starke Verarbeitung hin
- Bei den verarbeiteten Produkten sind fermentierte zu bevorzugen, da diese Verarbeitung weniger problematisch ist
- Beim Auswärtsessen Küchen wählen, die mit wenig Verarbeitung auskommen, z. B. thailändisch, vietnamesisch, japanisch
Wie gesund sind Vegi-Würste und Co.?
Fleischersatzprodukte sind in aller Munde. Der Verkauf von Fleischersatzprodukten hat sich in fünf Jahren verdoppelt. Ob Vegi-Kebab, -Burger, oder -Wings: Livio liebt Vegi-Fleisch. Das Zeug ist ihm aber auch ein bisschen suspekt: Ist es gesund? Ist es so nachhaltig, wie versprochen wird? Und wo und wie wird das vegetarische Fleisch eigentlich produziert?