Gerüstet für die Zukunft

03.08.2023 In der Nacht nicht stündlich aufstehen und im Stall das Abferkeln kontrollieren müssen. Oder auf dem Smartphone mit einem Klick sehen, ob der Elektrozaun noch immer leitet. Was für Landwirtinnen und Landwirte wie ein Traum klingt, haben Studierende der BFH-HAFL im Rahmen des Minors «Neue Technologien» entwickelt.  

Smarter Weidezaun: LoRa-Fence im Einsatz.
Smarter Weidezaun: LoRa-Fence im Einsatz.


Chloé, Hans und Alvaro sind zukünftige Agronominnen und Agronomen, die später an der Schnittstelle von Natur, Gesellschaft und Wirtschaft arbeiten werden. Eine komplexe Aufgabe, die dank neuen Technologien erleichtert werden könnte. «Genau da wollen wir mit unserem Minorprogramm ansetzen», sagt Roger Robyr, Dozent für Mathematik und Statistik und Leiter des Minors «Neue Technologien». «Wir bilden keine IT-Fachleute aus, aber wir wollen unseren Studierenden einen Einblick in verschiedene Technologien geben.»

Mit technischen Änderungen Schritt halten

Vor ein paar Jahren waren Melkroboter oder Solarpanels die einzigen technologischen Elemente auf einem Hof, sagt Robyr. Heute seien diese Technologien überall: Roboter, die bei der Feldarbeit unterstützen; Drohnen, die vor dem Mähen Rehkitze retten; Blockchain, um die Wertschöpfungskette sichtbar zu machen; und schliesslich Twint oder ein Verkaufsautomat, um die hofeigenen Produkte zu verkaufen.

«Ich sage immer provokativ zu meinen Studierenden: In 10 Jahren können viele Landwirtin oder Landwirt sein, da muss man ja nur noch Maschinen bedienen können und einen Hof wie eine Unternehmerin oder ein Unternehmer leiten», so Robyr. «Die Arbeit auf einem Hof geht mehr und mehr in Richtung Planung, Entrepreneurship und Technologie Management.»
 

Die von Chloé Fellay und Alexandre Meyer entworfene «Piglet’Spy» Kamera, die auf Schienen im Schweinestall montiert werden kann.
Die von Chloé Fellay und Alexandre Meyer entworfene «Piglet’Spy» Kamera, die auf Schienen im Schweinestall montiert werden kann. (zvg)

Nicht nur Kühe im Kopf

Alvaro Forni will nach seinem Abschluss im Herbst auf dem elterlichen Hof im Tessiner Villa Bedretto einsteigen. «Die Digitalisierung in der Landwirtschaft wird sicher zunehmen. Wenn ich ein wenig Ahnung davon habe, ist es für mich einfacher, meinen Hof optimal führen zu können», sagt der junge Tessiner.

Auch Hans Fässler aus dem Appenzell hat ein grosses Interesse an Technologie und sich daher für diesen Minor entschieden. «Ich wollte schon als kleines Kind verstehen, was in einem Laptop drinsteckt oder wie ein Handy funktioniert», so der gelernte Zimmermann und Landwirt, der auch auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufgewachsen ist.

Am Anfang: Durchbeissen

Zu Beginn des Minors lernen die Studierenden Grundlagen der Programmiersprachen Python und R. «Das war nicht immer einfach», erinnert sich Fässler. «Aber danach ist vieles projektorientiert, beispielsweise bekamen wir 1.5 Stunden Fach-Inputs, und nachher konnten wir mit Unterstützung an einer Meteostation bauen.»

Bei Fachinputs von ExpertInnen und bei Exkursionen können sich die Studierenden ein Bild von praktischen Anwendungsbeispielen machen. Ihr gesammeltes Wissen aus den Bereichen Robotik (beispielsweise Bildaufnahmen von Drohnen, Feldroboter, oder 3-D-Druck) oder IT-Algorithmik (beispielsweise Bildverarbeitung, Steuern von Bewässerung, Lüfter, oder Analyse von Daten) können sie dann in ihrer Minorarbeit anwenden.
 

Die Kamera nutzt Nachtlicht, um die Schweine in der Nacht nicht aufzuwecken. Auf dem Smartphone ist aber alles wichtige ersichtlich.
Die Kamera nutzt Nachtlicht, um die Schweine in der Nacht nicht aufzuwecken. Auf dem Smartphone ist aber alles wichtige ersichtlich. (zVg)

Eigener Hof als Inspiration

Alvaro Forni kam die Idee für seine schriftliche Arbeit auf dem elterlichen Hof: «Die Rinder auf der Alp sind etwa eine halbe Stunde Autofahrt vom Hof entfernt. Wenn wir oben merkten, dass das Weidezaungerät leer war, liessen wir die Tiere entweder in der Nacht ohne Strom oder gingen nach Hause und holten eine neue Batterie. So hatte man entweder ein ungutes Gefühl oder mehr als eine Stunde Zeit versäumt.». Auch Hans Fässler kennt das Problem: «Letzten Sommer sind unsere Rinder ausgebrochen, da ein heruntergefallener Ast den elektrischen Zaun beschädigte», so der Appenzeller.

Bisher gibt es Geräte, die die Zaunspannung manuell, über Mobilgeräte mit SIM-Karte oder mit einem teuren Funk-Messgerät (maximale Reichweite 30km) prüfen. Das reichte den beiden Studenten nicht, sie begannen zu experimentieren. Mit dem Ziel, ein günstiges, einfach zu bedienendes Spannungsmessgerät für Elektrozäune herzustellen, dessen Messwerte sie von überall mit ihrem Smartphone abrufen können.

Dabei machten sie sich das «Long Range Wide Area Network», kurz LoRa WAN zunutze. Das ist vergleichbar mit einem WLAN, jedoch ohne Zugriffscode, frei für alle verfügbar. «Zuerst haben wir zwei Mikrokontroller verbraten, bis der Spannungsteiler korrekt dimensioniert war», sagt Alvaro Forni. Zudem sei es eine Herausforderung gewesen, die sehr kurzen, Millisekunden dauernden Impulse des Zaungerätes korrekt zu erfassen.

Von der HAFL aus den Zaun zuhause überwachen

Mittlerweile ist das Gerät auf dem Hof von Alvaro Forni im Einsatz. «Ich kann nun von der BFH-HAFL aus mit dem Smartphone die Spannung auf dem Zaun zuhause überprüfen und meine Familie benachrichtigen, wenn ich sehe, dass etwas nicht stimmt», schmunzelt der Student. Gerne würden beide das Projekt weitertreiben und ihren «LoRa-Fence» auf den Markt bringen. Bevor das Produkt aber vermarktet werden könnte, müssten noch mehr Prototypen entworfen und getestet werden, das Produkt soll «verhebe».

Auch aus einer eigenen Notwendigkeit heraus entstand die Idee zur Minorarbeit von Chloé Fellay und Alexandre Meyer. Meyer hat sich während seiner Mitarbeit auf einem Schweinebetrieb gewünscht, dass er nicht stündlich aufstehen und das Abferkeln im Stall kontrollieren müsste. Gemeinsam mit seiner Kollegin Chloé Fellay hat er dann eine Kamera entwickelt, die auf einer Schiene durch den Stall fahren und per Smartphone, vom Bett aus, bedient werden kann.

Auch dieses Zweierteam hatte ein paar Schwierigkeiten zu überbrücken wie zum Beispiel das schwache WIFI im Schweinestall. Doch davon liessen sie sich nicht beirren und halten nun einen Prototypen in den Händen, den «Piglet’Spy». Im nächsten Jahr soll ein anderer Studierender die Chance erhalten, eine App dazu aufzubauen, um die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen und das Produkt allenfalls für andere LandwirtInnen attraktiv zu machen.

Entwickeln oder Testen

Roger Robyr, Leiter des BFH-HAFL-Minorprogramms «Neue Technologien», und der wissenschaftliche Mitarbeiter Philippe Aebischer haben das Programm für das kommende Herbstsemester überarbeitet. Sie haben gemerkt, dass einige Studierende grossen Respekt vor dem Entwickeln eines Produktes haben; sie haben darum auch die Option zum Testen explizit ins Programm aufgenommen. Schliesslich zeigt ihre Erfahrung, dass sie den meisten Studierenden ihren vorherigen Respekt vor technologischen Prozessen nehmen konnten, wenn sie einmal mit dem Minor angefangen haben. «Einige haben uns als Feedback gegeben, dass sie auf ihrem Hof oder bei der Arbeit besser einschätzen können, welche technischen Hilfsmittel sie brauchen, weil sie die Funktionsweisen der Geräte besser kennen.»

Autorin: Melina Griffin, lid.ch

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