- News
Hangrutsche nach einem Waldbrand – eine Zeitfrage
18.07.2023 Brennt ein Schutzwald in den Bergen, kann der betroffene Hang auch noch Jahrzehnte später ins Rutschen kommen. Im Rahmen eines BFH-HAFL-Projektes in Zusammenarbeit mit dem Kanton Bern und dem BAFU sollen deshalb Ansätze entwickelt werden, die Forstleuten helfen, die richtigen Entscheidungen und Massnahmen zu treffen.
Noch kommen Waldbrände in der Schweiz eher selten und vor allem lokal vor. Dennoch zählen wir auch hierzulande pro Jahr etwa 100 Waldbrände - wie aktuell in Bitsch im Kanton Wallis. Sie sind regional sehr unterschiedlich im Land verteilt und treten hauptsächlich in den trockenen Wintermonaten von Februar bis April sowie in den Sommermonaten Juli und August auf. «Ist ein Schutzwald oberhalb eines Dorfes betroffen, hat das enorme Auswirkungen auf eine ganze Region», sagt Massimiliano Schwarz, Dozent für forstliche Bodenkunde und Ingenieurökologie an der BFH-HAFL.
Das Problem sei nicht nur der Waldbrand an sich, sondern auch das Risiko so genannter flachgründiger Rutschungen, also hangabwärts gerichteter Bewegungen von Erdmaterial von maximal zwei Metern Tiefe. Diese Rutschungen können sogar Jahrzehnte nach dem Brand auftreten. «Die meisten Forstleute rechnen nur in den Folgemonaten nach dem Brand mit der grössten Gefahr. Doch diese kann auch Jahrzehnte später noch sehr hoch sein.» Der Grund: Das Absterben der Bäume durch den Brand verursacht langfristig eine Abnahme der Wurzelverstärkung im Hang, und erhöht damit die Gefahr von Rutschungen. Insbesondere im Fall von Schutzwäldern – die Hälfte der Schweizer Wälder – kann dies verheerende Auswirkungen haben.
Baum ist nicht gleich Baum
Zentral nach einem Brand ist es deshalb, die Erholung der Wurzelverstärkung zu fördern. Das geschieht durch das Pflegen oder Pflanzen der geeigneten Baumarten. «Die Wahl der Baumarten muss die Bedürfnisse von verschiedene Ökosystem-Leistungen erfüllen und an Standort und Klimaszenarien angepasst sein. In unserem Projekt wurden spezifische Grundlagen geschaffen, um nach einem Waldbrand die richtigen Entscheidungen treffen zu können», so Massimiliano Schwarz.
Die Resultate haben gezeigt, dass Bestände aus Pionierbaumarten wie Birke und Pappel, allgemein eine deutliche tiefere Schutzwirkung gegen flachgründige Rutschungen bieten als Buchen oder Fichten. Auch invasive Neophyten wie der Götterbaum wirken ungünstig auf die Erholung der Schutzwirkung des Waldes. Eine weitere Herausforderung ist die Kontrolle des Wilddruckes, welche die Resilienz des Waldes massiv reduzieren kann. Wobei Resilienz die Fähigkeit des Waldes meint, bei Störungen, sein System an die neuen Gegebenheiten anzupassen.
Neben der Aufforstung, die sehr viel Geduld erfordert, gibt es mit den Hydrosaaten auch ein schnelleres ingenieurbiologisches Verfahren. Dabei werden Saatgut, Mulchstoffe, Dünger, Bodenhilfsstoffe und organischer Kleber mit Wasser vermischt und auf die Flächen aufgespritzt, die man möglichst rasch begrünen will. Aufforstung und Hydrosaaten sind biologische Massnahmen, um Waldbrandflächen vor Oberflächen-Bodenerosion zu schützen. Eine weitere Möglichkeit sind technische Massnahmen, wie Netze oder Dämme. Dazu kommen temporäre technische Massnahmen wie Holzkonstruktionen zur Stabilisierung des Hanges, die nach einigen Jahrzehnten wieder verrottet sind.
Risiko als Frage der Zeit
Doch welche Massnahme ist nach einem Brand nötig? «Das ist für die Forstleute oft eine schwierige Entscheidung. Deshalb sind wir daran, eine Webapp zu erweitern (siehe Link unten), die ihnen helfen soll, die Lage nach einem Waldbrand besser einzuschätzen», sagt Massimiliano Schwarz. Daten aus einem ersten Projekt, das gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt BAFU durchgeführt worden ist, liegen bereits vor. Darauf aufbauend werden derzeit weitere Daten gesammelt und gleichzeitig eine Art Entscheidungsschema für Praktikerinnen und Praktiker entwickelt.
«Die Anwendung der App liefert objektive nachvollziehbare Resultate, welche am Schluss die Forstleute bei der Entscheidung der Massnahme unterstützt». Das sei wichtig, sagt Massimiliano Schwarz, da die Schweizer Schutzwälder nicht nur die Hänge stabilisierten, sondern auch viele andere Leistungen mit hohem finanziellem Wert hätten. Der Wald würde sich, gemäss dem BFH-HAFL-Experten, mit der Zeit problemlos von selbst erholen. Doch bedeutet eine zeitliche Verzögerung der Schutzleistungen des Waldes für die Menschen Geldverluste und so bleibt oft kaum Zeit, um auf die Selbstregeneration des Waldes zu warten. «Eine falsche Entscheidung unmittelbar nach einem Waldbrand kann grosse finanzielle Konsequenzen in der Zukunft haben», sagt Massimiliano Schwarz.
Mehr erfahren
Rubrik: Forschungseinheit