Forschen für eine qualitätsvolle Baukultur

02.04.2025 Das Nationale Forschungsprogramm 81 will das Verständnis der Baukultur und dadurch die Qualität der gebauten Umwelt verbessern. Forschende des Departements Architektur, Holz und Bau der BFH sind an drei NFP 81-Projekten beteiligt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit dem Baukultur-Ansatz suchen Forschende neue Wege für eine nachhaltige Weiterentwicklung der gebauten Umwelt.

  • Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 81 beteiligt sich die BFH an drei Projekten zum Thema Baukultur.

  • Die Forschenden verfolgen einen interdisziplinären und partizipativen Ansatz, um den Wert und das Potenzial der gebauten Umwelt ganzheitlich zu erfassen.

«Eine qualitätsvolle Baukultur soll die Gesellschaft voranbringen», sagt Tobias Baitsch, Leiter des Instituts Siedlung, Architektur und Konstruktion (ISAK) der BFH. «Baukultur» hat sich in den letzten Jahren als Begriff etabliert, der die vielfältigen Herausforderungen im Zusammenhang mit der gebauten Umwelt beschreibt. Er beinhaltet weit mehr als eine objektbezogene Bewertung von Bestandsbauten mit Kriterien wie Baustil, Chronologie oder Erhaltungszustand. Vielmehr will der Baukultur-Ansatz die Beziehung der Gesellschaft zur gebauten Umwelt und deren Nutzung ganzheitlich erfassen. «Neu daran ist der interdisziplinäre und transdisziplinäre Zugang», erklärt die Professorin der BFH für Kulturtheorie Marion Sauter. «Wir müssen gesellschaftliche, funktionale und ökologische Aspekte mitdenken, um dem Konzept Baukultur gerecht zu werden.»

Schweizer Initiative für Europa

«Das Nationale Forschungsprogramm 81 des Schweizerischen Nationalfonds soll dazu beitragen, dass wir die kulturelle Bedeutung der gebauten Umwelt besser beurteilen können», ergänzt Joachim Huber, Professor für Architektur der BFH. Das sei wichtig für eine Weiterentwicklung des Bestands, die den künftigen Generationen eine hohe Lebensqualität sichert und die Übernutzung und Zerstörung der Umwelt stoppt. 2018 haben sich die Staaten Europas auf Initiative der Schweiz dazu bekannt, die Baukultur strategisch und politisch zu verankern. Das in der Erklärung von Davos  definierte Konzept der Baukultur und das daraus abgeleitete System der qualitativen Bewertung der gebauten Umwelt bilden die Grundlage des NFP 81 «Baukultur – für einen sozialen und ökologischen Wandel des gebauten Raums».

«Wir möchten ein realistischeres Bild der Landwirtschaft zeichnen»

  • Prof. Dr. Marion Sauter

Landwirtschaft ohne Ballenberg-Romantik

Das NFP 81 umfasst 13 Forschungsprojekte. An drei sind die BFH-Forschenden in interdisziplinären und departementsübergreifenden Teams beteiligt. Marion Sauter hat bisher hauptsächlich Bauernhausforschung im Alpenraum betrieben. Mit dem Projekt «Transformation of rural life in the Mittelland»   rückt nun das Bauernhaus des 20. Jahrhunderts im Mittelland, der Aussiedlerhof, in den Fokus. Diese Gattung entziehe sich bisher jeglicher baukultureller und denkmalpflegerischer Wertung, sagt sie. Die Häuser würden nicht als «schön» empfunden und passten sich ständig neuen Betriebsbedingungen an. Dieser Prozess laufe unbeachtet und undokumentiert – eine Lücke, die das Projekt füllen wolle. Das Departement Architektur, Holz und Bau der BFH widme sich der Bestandsaufnahme und der Einordnung, also der Frage: «Warum sind wir da, wo wir sind?» Die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL)  ihrerseits werde darüber nachdenken, wie der Bestand weiterentwickelt werden kann. «Wir bewegen uns hier ausserhalb der Bauzone auf schwierigem Terrain für die Raumplanung und die Architektur», sagt die Forscherin. Die Transformation der landwirtschaftlichen Strukturen und die Erweiterung des Siedlungsgebiets in den ländlichen Raum hätten Auswirkungen auf die Dorfgemeinschaften, die genauer untersucht werden sollten. «Das Bild der Landwirtschaft ist noch stark von Ballenberg geprägt», sagt Marion Sauter. «Wir möchten ein realistischeres Bild der Landwirtschaft zeichnen und nach ihrer Zukunft fragen.»

Mit Baukultur Inklusion fördern

Auch das Projekt «Transition der Baukultur im Kontext von Flucht» widmet sich einem Thema, das üblicherweise nicht mit Baukultur in Verbindung gebracht wird. Gemeinsam mit Forschenden des Departements Soziale Arbeit der BFH  beschäftigt sich Tobias Baitsch mit der Unterbringung für Geflüchtete. Meistens seien es temporäre oder umgenutzte Bauten, die man rasch wieder aufheben möchte. Die Art der Unterbringung widerspreche der Idee einer offenen und inklusiven Gesellschaft sowie dem Anspruch, Betroffene zu integrieren. «Diese Baukultur ist problematisch für die Geflüchteten, die Nachbarschaft und die Gesellschaft», sagt der Forscher. Mit einer ganzheitlichen Betrachtung unter Einbezug von räumlichen, sozialen und ökologischen Aspekten könne man bessere Verhältnisse schaffen. Dazu werde man mit den verantwortlichen Behörden, mit Betreibern von Unterkünften und auch mit den Geflüchteten selbst zusammenarbeiten. Wichtig ist für Tobias Baitsch ein Element, das alle Projekte des NFP 81 enthalten müssen: «Wir forschen zu prekären Bereichen unserer Baukultur und suchen neue Möglichkeiten und Formen für eine hohe Baukultur im Kontext Flucht.» Der Einbezug von Praxispartnern sei zwingend, um diese Wirkung zu erzielen.

«Wir möchten das Potenzial der Baukultur für eine inklusive Gesellschaft nutzen»

  • Dr. Tobias Baitsch

Mit «bottom up»-Ansätzen zu neuen Erkenntnissen

Einen interdisziplinären und partizipativen Ansatz verfolgt auch das Projekt «Baukultur gestalten – wertebasiert und partizipativ», bei dem das Departement Architektur, Holz und Bau mit der Hochschule der Künste zusammenspannt. Weil Baukultur ein neues Konzept sei, müsse man für die Bewertung der gebauten Umwelt neue Methoden entwickeln, erklärt Joachim Huber: «Denkmalpflegerische Kriterien allein können ihren kulturellen Wert im heutigen Kontext nicht erfassen. Deshalb erproben wir für eine ganzheitliche Beurteilung ‹bottom up›-Ansätze wie Interviews, Fotografie oder die Methoden der Spaziergangswissenschaft.» Die Feldforschung werde man in ausgesuchten Freiburger Gemeinden durchführen. Neben dem Amt für Kulturgüter dieses Kantons ist der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA) Projektpartner.

«Wir entwickeln neue ganzheitliche Methoden für die Bewertung des Bestands»

  • Prof. Dr. Joachim Huber

Kulturelle Werte sind Teil der Kreislaufwirtschaft

Unabhängig des NFP 81 wird Baukultur im Architekturstudium an der BFH thematisiert. «Der Baukultur-Ansatz ist auch im Zusammenhang mit dem Thema Kreislaufwirtschaft sehr aktuell», sagt Joachim Huber. «Wir wollen den Studierenden einen neuen Umgang mit der gebauten Umwelt vermitteln. Als Architekt*innen sollen sie nicht nur ihren materiellen Werte wertschätzen, sondern auch mit ihren kulturellen Potenzialen und Prozessen arbeiten.»

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