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«Bist Du sicher Du übertreibst nicht?» − Rassismuserfahrungen von Sozialarbeitenden

31.10.2024 Wie sieht Rassismus innerhalb der Sozialen Arbeit aus? In einer prämierten Bachelor-Thesis sind zwei unserer Absolventinnen dieser Frage nachgegangen und haben Betroffene befragt. Im Folgenden berichten die beiden über ihre Erkenntnisse und raten zu Veränderungen.

Autorinnen

Janna Schmid und Deborah Steiner, Absolventinnen Bachelor of Science in Sozialer Arbeit BFH

Das Wichtigste in Kürze

  • Soziale Arbeit reproduziert Rassismus und muss sich deshalb innerhalb wie auch ausserhalb ihrer Strukturen damit auseinandersetzen und diesen abbauen. 

  • Rassismus am Arbeitsplatz gehört für rassifizierte Sozialarbeitende zum Alltag. Die Befragten berichten u.a. davon, dass sie mit ihren Kompetenzen nicht ernst genommen werden, nicht zuletzt von ihren Berufskolleg*innen.  

  • Von ihrem Arbeitsumfeld wünschen sich die Befragten, dass Rassismen (an)erkannt werden und dass eine Reaktion darauf erfolgt. 

Die Thematisierung von Rassismus ist im Feld der Sozialen Arbeit notwendig, da Sozialarbeitende in rechtlichen Kontexten und staatlichen Strukturen arbeiten, und damit rassifizierende Systeme aufrechterhalten (Yıldız und Bozay, 2018, S. 32). Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession ist dabei in der Pflicht, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen und diesen abzubauen (vgl. Avenir Social, 2021, S. 8).

Die Literatur und Forschung zum Thema Rassismus und Soziale Arbeit fokussiert jedoch fast ausschliesslich auf Klient*innen. Dass Sozialarbeitende möglicherweise ebenfalls Rassismus erfahren, wird kaum angesprochen.

Um diese Forschungslücke anzugehen, beschäftigten wir uns in unserer Arbeit mit der Situation von rassifizierten Sozialarbeitenden. Konkret erforschten wir die Frage: Welche Rassismuserfahrungen machen Sozialarbeitende mit sri-lankisch tamilischer Migrationsgeschichte in ihrem Arbeitsalltag? Dazu führten wir narrative Leitfadeninterviews mit drei Betroffenen. Diese hatten alle schon einige Jahre Berufserfahrung. 

Definition Rassismus

Rommelspacher definiert Rassismus als «… ein System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren. Rassismus im modernen westlichen Sinn basiert auf der 'Theorie' der Unterschiedlichkeit menschlicher 'Rassen' aufgrund biologischer Merkmale.» (Rommelspacher, 2011, S. 29). Dabei werden verschiedene Gruppen von Menschen gebildet auf Basis willkürlich benannter Eigenschaften wie beispielsweise phänotypischer Merkmale (ebd., 2011, S. 25–26). Den einzelnen Gruppen werden unterschiedliche (positive wie negative) Eigenschaften zugeschrieben, die als natürlich dargestellt werden. Die Gruppen werden weiter hierarchisch geordnet und als grundsätzlich unterschiedlich angesehen (ebd., 2011, S. 29). Diese Unterschiede sind jedoch blosses Produkt menschlicher Vorstellungen und können daher auch nur von Menschen wieder abgebaut werden (dos Santos Pinto et al., 2022, S. 19–20)

Symbolbild Rassismus
Rassismuserfahrungen anerkennen, so lautet einer der Wünsche der Befragten an ihre Berufskolleg*innen.

Rassismuserfahrungen werden bagatellisiert

Die Auswertung ergab, dass für die interviewten Sozialarbeitenden Rassismus im Arbeitsalltag allgegenwärtig ist. Rassistische Aussagen oder Handlungen kommen dabei von Arbeitskolleg*innen, Klient*innen, Vorgesetzen wie auch anwesenden Drittpersonen. 

Die Betroffenen werden aufgrund ihres Aussehens, bspw. ihrer Hautpigmentierung, oft direkt einer Gruppe zugeordnet. So werden sie bspw. für Klient*innen gehalten. Sie erleben rassistische Sprache oder diskriminierende Nachfragen und werden in ihren Kompetenzen nicht ernst genommen. Mit Aussagen wie «Woher kommst du?» werden sie auf eine vermeintliche Herkunft reduziert und ihnen wird die Zugehörigkeit zur Schweiz abgesprochen (vgl. Lim, 2021). Durch verallgemeinernde Aussagen zu Tamil*innen oder Ausländer*innen werden die Betroffenen nicht als Individuen, sondern nur als Vertreter*innen einer Gruppe wahrgenommen, was sie verletzt. 

Die Personen erleben auch positive Diskriminierung. So bei Stellenausschreibungen, in denen explizit Migrant*innen gesucht werden oder in Form asiatischer Stereotypen, wenn bspw. grundlos erwähnt wird, dass Tamil*innen sehr fleissig seien. 

Sprechen Betroffene die eigenen Rassismuserfahrungen an, werden ihre Gefühle und Erlebnisse oft bagatellisiert. So müssen sie mit Reaktionen rechnen wie «Bist du sicher, du übertreibst nicht?» oder «Ja bist du sicher, hast du es nicht falsch aufgenommen?» oder «Bist du dir sicher, bist du nicht zu sensibel?». Der Rassismus wird hierbei negiert und den Betroffenen wird die Kompetenz abgesprochen, Situationen richtig einschätzen zu können. Dies führt bei ihnen zu Selbstzweifeln und dazu, dass sie erlebten Rassismus weniger häufig ansprechen. «Ich habe es dann in mich hineingefressen», fasst eine Person zusammen, da sie bei der Arbeitsstelle keinen Raum erhielt Erfahrungen anzusprechen.

Wünsche von Betroffenen

Die Interviewten wünschen sich insbesondere eine grössere Sensibilisierung ihrer Berufskolleg*innen auf Rassismus. Dies könnte in Form von Weiterbildungen und einer stärkeren Einbindung in die Ausbildung stattfinden.

Von ihrem Arbeitsumfeld wünschen sich die Befragten, dass Rassismen (an)erkannt werden und dass eine Reaktion darauf erfolgt. Alle Interviewten äussern, dass sie Rassismuserfahrungen vorwiegend mit vertrauten Personen besprechen, um diese zu verarbeiten. An Arbeitskolleg*innen besteht der Wunsch, dass sie Betroffenen zuhören und sie mit ihren Erlebnissen und in ihren Gefühlen ernstnehmen.
 

Bürosituation, in der eine rassifizierte Fachperson im Gespräch mit einem Klienten ist.
Schildern Betroffene eine Rassismuserfahrung, sprechen nicht rassifizierte Fachpersonen ihnen oft die Kompetenz ab, Situationen richtig einschätzen zu können.

Blick in die Zukunft

Die Wünsche der Betroffenen decken sich grösstenteils mit den Ansätzen der rassismuskritischen Sozialen Arbeit. Sie beinhaltet eine kontinuierliche Reflexion bezüglich rassistischer Strukturen und Denkweisen in der Sozialen Arbeit (Knauer, 2019, S. 191). Rassismuskritische Soziale Arbeit soll dazu dienen Rassismus zu erkennen und neue Handlungsmöglichkeiten zu schaffen (Knauer, 2019, S. 182).

Um Rassismus innerhalb der Sozialen Arbeit sowie in der Gesellschaft abzubauen, braucht es eine verpflichtende Thematisierung in der Ausbildung. Für ausgebildete Professionelle der Sozialen Arbeit wären zudem entsprechende Weiterbildungen wichtig (vgl. Textor & Anlaş, 2018, S. 321). Hierzu gehört, dass sich Fachpersonen Wissen zu Rassismus aneignen und bestehende Praxen, Strukturen und eigene Denk- und Handlungsweisen konsequent reflektieren (Textor & Anlaş, 2018, S. 321). Zudem wäre es essenziell, dass Institutionen offene Räume schaffen, um Rassismen zu thematisieren (Textor & Anlaş, 2018, S. 321). 
 

Was Sie selbst tun können

Als weiteres Ergebnis unserer Untersuchung haben wir Handlungsanweisungen für Einzelpersonen erarbeitet: Sozialarbeitende sollen bei rassistischen Aussagen eingreifen und klar Position gegen Rassismus beziehen. Gleichzeitig soll Betroffenen jedoch Raum gelassen werden, selbst darauf zu reagieren. Nicht-Betroffene sollen Rassismus aus der Ich-Perspektive ansprechen und keinesfalls für betroffene Personen sprechen.

Werden Sozialarbeitende auf eigene Aussagen mit rassistischem Gehalt aufmerksam gemacht, sollen sie Kritik annehmen und ihr Verhalten reflektieren. Wichtig ist dabei anzuerkennen, dass Denk- und Handlungsmuster aufgrund der historischen Ereignisse von Rassismus geprägt sind und dass dies aktiv verlernt werden muss (vgl. dos Santos Pinto et al., 2022).

Informationen zu den Autorinnen

Die Autorinnen haben das Bachelor-Studium im Herbst 2024 mit dem Diplom abgeschlossen. Für ihre Abschlussarbeit erhielten sie den Anerkennungspreis der Alumni BFH Soziale Arbeit.

Janna Schmid, Bachelor of Science in Sozialer Arbeit
Janna Schmid, Bachelor of Science in Sozialer Arbeit
Deborah Steiner, Autorin
Deborah Steiner, Bachelor of Science in Sozialer Arbeit

Quellen

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