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Hey KI? Wir müssen reden
29.10.2024 Beim Film «The End of Humanity» ist der Name Programm. Doch bringt KI wirklich das Ende der Menschheit? Wir sprechen mit Medien,- Religions- und Kulturwissenschaftlerin Marie-Therese Mäder.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Dokumentarfilm «The End of Humanity» stellt die Frage: Was bedeutet es, Mensch zu sein im KI-Zeitalter?
- Am 22. November 2024 organisiert die BFH ein Screening mit anschliessender Diskussionsrunde.
- Sarah Dégallier Rochat und Marie-Therese Mäder werden mit Regisseur Oliver Dürr seine düstere Zukunftsvision besprechen.
- Das Credo: Die Narrative zu KI sind kritisch zu betrachten.
Warum lohnt es sich, «The End of Humanity» anzuschauen?
Im Film sehen wir eine KI-Zukunft, in der Menschen die Kontrolle über die Welt verlieren. Damit regt der Film an, über die Grenzen der KI zu diskutieren. Er stellt entscheidende Fragen im Kontext mit künstlicher Intelligenz (KI):
Was wollen wir Menschen mit der KI? Und: Was bedeutet es Mensch zu sein? «The End of Humanity» öffnet verschiedene – meist düstere – Perspektiven auf diese Fragen und lässt Theolog*innen und Philosoph*innen zu Wort kommen.
The End of Humanity: zum Film und zur Diskussionsrunde
Der Film «The End of Humanity» ist eine Initiative von Dr. Oliver Dürr vom Zentrum Glaube & Gesellschaft der Uni Fribourg, Prof. Dr. Sarah Spiekermann von der Wirtschaftsuniversität Wien und der Produktionsfirma Schwarzfalter GmbH.
Das Zentrum Glaube und Gesellschaft der Uni Fribourg will Brücken schlagen zwischen akademischer Theologie, verschiedenen Ausdrucksformen christlicher Spiritualität und Gemeindepraxis sowie dem gesellschaftlichen Leben.
Sehen Sie sich mit uns den Film an und diskutieren sie mit uns dessen Implikationen:
Was erwarten Sie vom Gespräch über den Film?
Mich interessieren die Motive des Regisseurs, ich möchte wissen, warum er den Film produziert hat und was so faszinierend ist an einem dystopischen Blick auf KI. In meinem Alltag mit Medienschaffenden und Technologieenthusiast*innen reden die Leute nämlich nicht von Weltuntergang, sondern vor allem von den Möglichkeiten der KI. In meiner Erfahrung steht oft das Spielerische und die Begeisterung im Vordergrund, wenn es um KI geht.
Diese Kluft zwischen der apokalyptischen Vision von «The End of Humanity» und den experimentierfreudigen Eindrücken aus meinem Alltag regt zum Denken an. Sowohl die Technologie-Utopie nach dem Muster des Silicon Valley als auch die im Film gezeigte KI-Dystopie, beziehen sich auf die Zukunft. Darüber wie eine lebenswerte Zukunft mit KI aussehen könnte, müssen wir als Gesellschaft unbedingt bereits heute sprechen.
Warum?
Das ist ganz banal. Im Moment wird viel versprochen und nur wenig tatsächlich abgeliefert. Aber natürlich gibt es Fragen, die wir klären müssen.
Welche Fragen sollten wir also diskutieren?
Da gibt es viele. Auf welche Daten dürfen KIs zugreifen und sammeln? Wie können wir Daten vor KIs schützen? Wie lassen sich unethische Anwendungen von KI, wie zum Beispiel in der Kinderpornographie, bekämpfen? Wie können wir Menschenrechte im KI-Kontext schützen? Was ist der menschliche Körper?
Wenn KIs Deepfakes erstellen – zum Beispiel von verstorbenen Menschen – hat das zwar möglicherweise einen Nutzen. Aber wir müssen unser Menschenbild um seine digitalen Aspekte erweitern – und definieren, was hier erlaubt ist. Denn längst kommen nicht alle Grundsätze, die in den Menschenrechten definiert sind, auch bei der KI oder bei Deepfakes zum Einsatz.
Es gibt noch kein allgemein akzeptiertes Narrativ, das KI erklärt.
Warum sprechen wir trotz dieser dringenden Fragen in der Gegenwart so oft darüber, was KI in der Zukunft bedeuten könnte?
Das hat zwei Gründe. Erstens lieben wir Menschen grosse Narrative. In einer Technologie-Utopie macht KI alle Arbeit überflüssig, die der Mensch nicht machen will; in der Hollywood-Dystopie zerstört KI unseren Planeten; als Ersatz-Religion zeigt uns KI, was richtig und was falsch ist: Wir mögen Erzählungen, die Vorkommnisse erklären, dadurch Sinn stiften, und zudem gemeinschaftsbildend wirken.
Und zweitens gibt es aktuell noch kein allgemein akzeptiertes Narrativ, das KI erklärt. Stattdessen gibt es konkurrierende Narrative. Allerdings ist keines dieser KI-Narrative heute plausibel. Noch wissen wir nicht, wie ein Narrativ uns KI erklären soll. Diese Erklärungsoffenheit hat Sogwirkung und sorgt für konkurrierende Ansätze. Was nicht schlecht sein muss.
Wie das?
Heute vermittelt eine Kaste von Tech-Spezialist*innen das Gefühl, dass KI für den menschlichen Fortschritt und die Lösung aller grossen Probleme unerlässlich ist. Gleichzeitig verfügen sie über einen Informationsvorsprung gegenüber einer grossen Mehrheit der Bevölkerung.
Dieses Wissensgefälle öffnet die Tür für ein quasi-religiöses Narrativ (denke «die Wege der KI sind unergründlich»), das es ihnen erlaubt, kritische Fragen abzuweisen und Verantwortung abzuschieben. Auf diese Weise instrumentalisiert, ist ein Narrativ mehr als fragwürdig.
Was ist ein Narrativ?
Ein Narrativ ist eine bedeutungsstiftende Erzählung, die das Denken und die Wertevorstellungen einer Gruppe oder Kultur prägt. In solchen Erzählungen werden gesellschaftliche Ereignisse oder Ideen in Form von Geschichten dargestellt. Ein Beispiel aus der Geschichte ist beispielsweise das amerikanische Ideal des Aufstiegs «vom Tellerwäscher zum Millionär».
Narrative dienen dazu, sich in der Gesellschaft zu orientieren und die Welt besser zu verstehen. Sie schaffen ein Gefühl der Zugehörigkeit, rufen positive Emotionen hervor und vermitteln einen Sinn. Dabei gehen Narrative über bloße historische Tatsachen hinaus und wirken auch auf emotionaler Ebene.
Auch heute haben verschiedene Narrative einen starken Einfluss auf unsere Gesellschaft. Besonders in Zeiten von Unsicherheit greifen viele Menschen auf einfache Erzählungen zurück. Der Begriff «Narrativ» hat sich daher zu einem Modewort entwickelt, das auch in der aktuellen Politik eine wichtige Rolle spielt.