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Gamen ist menschlich

30.09.2024 Obwohl Gaming die Film- und Musikindustrie überholt hat, findet es wenig Platz im kulturellen Diskurs. Game-Forscher Adrian Demleitner übers Spielen und seine Rolle in der humanen digitalen Transformation.

Das Wichtigste in Kürze

  • Spielen ist menschlich.
  • Games haben Erfolg.
  • Man kann lernen mit digitalen Spielen.
  • Digitale Spiele in der Schule hätten grosses Potenzial.

Warum spielen Menschen Videogames?

Spielen ist etwas fundamental Menschliches: Es ist eine Grundlage für menschliche Kultur. Eigentlich ist digitales Spielen nur eine Erweiterung dieses selbstverständlichen menschlichen Drangs zu spielen.

Digitales Spielen verändert einfach die Materialität des Spielens: Statt mit Spielkarten, zockt man an der Konsole.

Ausstellung: vom 18. – 23. November 2024 alte Games neu entdecken

Wer Lust hat alleine oder zusammen mit anderen die Welt der Videospiele neu kennenzulernen, besucht vom 18. bis zum 23. November 2024 die Ausstellung «Let's play! Videospielkultur in der Schweiz» in der Stadtbibliothek Biel. Besucher*innen erfahren in der interaktiven Ausstellung, wie sie das Thema Videospiel mit ihren Kindern (oder mit ihren Eltern) aufgreifen können.

Die Ausstellung zeigt die Anfänge des Gaming in der Schweiz und wie man damals gezockt hat. Um die Faszination der alten Spiele erfahrbar zu machen, stehen zwei komplette Gaming-Systeme zum Ausprobieren bereit, auf denen man sich auf eine spielerische Zeitreise begeben kann. Und am 23. November 2024 wird eine Play-Konferenz stattfinden, bei der gleichzeitig gespielt und über das Spielen gesprochen wird.

Okay, aber was reizt uns denn daran zu gamen?

Games bieten eine riesige Bandbreite an Spielwelten und einen geschützten Rahmen, in dem man Sachen erfahren und lernen kann, die im echten Leben nicht zugänglich, möglich oder erlaubt sind. Man kann also in fremde Rollen schlüpfen, ohne dafür abgestraft zu werden. Spielen ist befreiend, denn im Spiel kann man seine Rolle frei wählen.

Wer zockt, ist also ein weltfremder Escapist?

Das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Spiele bieten Möglichkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Und sie sind eine Tätigkeit, die wir mit allen Menschen teilen. Digitale Spiele sind oft darauf ausgelegt, dass sie gemeinsam gespielt werden. Wir können viel über uns als Menschen lernen beim digitalen Spielen.

Games, bei denen man etwas lernt oder völlig neue Perspektiven einnimmt, verlangen mehr Motivation.

Adrian Demleitner
Adrian Demleitner Game-Forscher an der BFH

Wie das?

Hmmh... mit Games ist es ähnlich wie bei Filmen. Es gibt ein breites Spektrum zwischen populären Games, die primär unterhalten und den Serious Games, die vor allem etwas vermitteln wollen.

Leider verlangen Games, bei denen man etwas lernt oder völlig neue Perspektiven einnimmt, z.B. zu Homophobie oder Genderfragen, mehr Motivation. Wenn aber Serious Games im Schulkontext eingebettet werden, wird Spielen zu einem Weg, um sich neue Sichtweisen anzueignen und sich leichter in andere Menschen einfühlen zu können.

Man lernt quasi spielend?

Ja, ich denke schon. Serious Games oder auch Gameification zeigen, dass Games kurzfristige Verhaltensweisen beeinflussen können. Genau wie Bücher oder Filme hat das Sich-Ausprobieren in Videogames durchaus einen Einfluss auf Menschen. Ein Spiel, ein Buch oder ein Film allein hat allerdings selten eine nachhaltige Verhaltens- oder Persönlichkeitsänderung zur Folge.

Erst in der Auseinandersetzung in der Gruppe verfestigt sich, was ein Game oder Film vermittelt. Aus diesem Grund bespricht man in der Schule auch literarische Werke. Der Einfluss des gemeinsamen Rezipierens kann aber auch negativ wirken: So zeigt die Forschung, dass gewalttätige Spiele Menschen nicht zu Attentätern machen. Erst die soziale Verstärkung in Gaming-Netzwerken, Chats, Foren können sehr wohl bleibende Verhaltensveränderungen hinterlassen.

Alte Nintendo-Konsole mit SuperMario-Spiel
Spiele bieten Möglichkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen.

Brauchen wir Games für eine humane digitale Transformation?

Der Mensch braucht auf alle Fälle Spiele – auch im digitalen Zeitalter. Denn Menschen wollen spielen. Das sieht man daran, dass Gaming die erfolgreichste Unterhaltungsbranche weltweit ist, noch vor der Film- und Musikindustrie. Gaming hat sich in den letzten 50 Jahren vom Randphänomen zum Mainstream entwickelt. Wir müssen uns eingestehen, dass digitale Spiele ein fundamentales Bedürfnis des Menschen decken.

Gleichzeitig sollten wir uns als Gesellschaft fragen, wem wir dieses weite Feld überlassen.

Über digitale Spiele machen sich Menschen aktuell weit weniger Gedanken als über Artificial Intelligence (AI). Dabei dienen Games gerade für AI als Testlabor abseits des öffentlichen Fokus. Beispielsweise erkennen KIs in Spielen Verhaltensmuster oder Emotionen und kurbeln dadurch In-Game-Purchases an.

Videospiele werden noch immer als ebenso harm- wie wirkungsloses Hobby angesehen. Dabei könnte Gaming durchaus auch ins produktive gesellschaftliche Leben gehören.

Alte Spiele sind viel einfacher: Diskette rein und los gehts.

Adrian Demleitner
Adrian Demleitner Game-Forscher an der BFH

Und zuletzt: Was macht alte Spiele so faszinierend?

Alte Games sind historische Zeitzeugen. Das Aufkommen der Digitalisierung ist stark mit den ersten Games verknüpft: Sobald eine neue Technologie sich durchsetzt, wollen die Leute damit als Erstes experimentieren, Dinge ausprobieren oder eben spielen. Anders als bei heutigen Games musst du bei einem alten Spiel nicht 250 Stunden investieren, um weiterzukommen. Alte Spiele sind viel einfacher: Diskette rein und los gehts. Diese minimalistische Erfahrung hat Nostalgiewert – und inspiriert zu neuen, wunderbar einfachen Games.

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