- Story
Vorbild sein, auch im Team: Gewaltfreie Kommunikation für Lehrer*innen
02.09.2024 Die Lehrpersonen der Schule Wynau haben sich in Workshops der BFH mit Gewaltfreier Kommunikation (GfK) auseinandergesetzt. Während Schulkindern die GfK immer häufiger nahegebracht wird, ist es ungewöhnlich, diese im Lehrer*innenteam zu verankern. Wir haben Schulleiter Thomas Zwygart befragt, wie er dieses innovative Projekt erlebt hat.
Thomas Zwygart, warum haben Sie sich mit Ihrem Team entschieden, in vier Workshops und darüber hinaus mit der GfK zu arbeiten?
Thomas Zwygart: Im Zyklus 1 (Anm. d. Red.: Kinder vom Kindergarten bis zum Ende der 2. Klasse) haben die Lehrer*innen mit den Kids GfK schon angewendet, und wir wollten dies altersgerecht über alle Schulstufen aufgreifen. Da sind wir zum Schluss gekommen: Eigentlich fängt das bei uns selbst an, denn es ist ja eine Haltungsfrage.
Deshalb haben wir beschlossen, das Thema im ersten Jahr erst einmal auf Teamebene anzugehen und es dann in einem zweiten Schritt an die Schüler*innen weiterzugeben. Die Einübung der GfK benötigt Zeit, um die eigene Haltung zu verändern. Wir haben uns gesagt: Entweder machen wir es richtig oder gar nicht.
Gewaltfreie Kommunikation
In der Gewaltfreien Kommunikation – begründet durch Marshall B. Rosenberg – geht es darum, sich selbst und dem Gegenüber ebenbürtig, also auf ehrliche und aufrichtige Weise zu begegnen. Dabei richten wir unsere Aufmerksamkeit sowohl auf die eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche wie auch auf diejenigen des Gegenübers und drücken diese aus. Daraus lassen sich dann geeignete Handlungsoptionen entwickeln.
Die BFH bietet verschiedene Weiterbildungen zur GfK an. Mehr Informationen unter bfh.ch/mediation
Welches ist Ihrer Meinung nach der Gewinn der GfK?
Das Besondere an der GfK ist für mich die Haltung. Es geht nicht um das Vordergründige des Gesprächs, sondern um das, was meiner Kommunikation zugrunde liegt: meine Bedürfnisse. Das funktioniert in beide Richtungen. Ich kann mein Gegenüber auch besser verstehen, wenn ich weiss, welche Bedürfnisse hinter dem Gesagten stecken.
Lehrpersonen oder ich als Schulleiter haben auch immer mal schwierige Gespräche. Da ist es nicht sinnvoll, sich auf die emotionale Ebene zu begeben, die einem manchmal entgegengebracht wird. Genauso gibt es im Team Unausgesprochenes, also Themen, die Personen nicht wagen, anzusprechen. Die GfK ist ein tolles Tool, um Unangenehmes auf eine konstruktive Art auf den Tisch zu bringen.
Wenden Sie persönlich die GfK an? In welchen Situationen?
Es bedarf viel Übung, GfK anzuwenden. Ich glaube, es passiert vieles unbewusst. Ich nehme mir vor, genau hinzuhören, aber dann reagiere ich im Moment. Da fällt es schwer, den Einsatz zu planen. Schlussendlich hilft mir vor allem meine Grundhaltung in der konkreten Situation.
Welche Aspekte der Gewaltfreien Kommunikation finden Sie besonders nützlich?
Für mich ist das Zuhören der Schlüssel gewesen, weil es das ist, was ich steuern kann. Ich kann zwar nicht beeinflussen, was mein Gegenüber sagt, aber ich habe im Griff, wie es bei mir ankommt, das heisst, wie ich es interpretiere.
Wie etablieren Sie die GfK in Ihrem Lehrer*innenteam?
Weil jetzt das Erlernte noch frisch ist, haben wir im Lehrer*innenteam die Eindrücke aus den Workshops gesammelt. Diese nehmen wir in die Steuergruppe, die für die Teamentwicklung verantwortlich ist, und diskutieren, was wir daraus für unsere Kommunikation zukünftig mitnehmen können. In dieser Steuergruppe schliesslich über die nächsten Schritte entschieden, um die GfK weiter im Team zu festigen.
Veranstaltung: Gewaltfreie Kommunikation (GfK) im Gesundheitswesen
Einführung der GfK in der pädiatrischen Intensivbehandlung der Kinderklinik am Inselspital Bern
Erhalten Sie Einblick, wie Gewaltfreie Kommunikation im Gesundheitswesen ein Gewinn sein kann – nicht nur in der Kommunikation mit Patient*innen, sondern auch für die ganz persönliche Arbeitszufriedenheit.
10.09.2024, 18.00–20.00 Uhr – Berner Fachhochschule, Schwarztorstrasse 48, Raum 502, Bern
Jetzt informieren und anmelden!
Welche Veränderungen können Sie bezüglich der Kommunikation im Team feststellen?
Es gibt Veränderungen im Kleinen. Es kommen Bemerkungen wie «Ah, das sollte ich so sagen …» oder «Ich wollte es auf ‹giraffisch› sagen.» (Anm. d. Red.: Die Giraffe steht in der GfK für eine beobachtende, auf Gefühle und Bedürfnisse fokussierte Kommunikation.) Es ist natürlich bei jeder Person ein eigener Prozess, aber das Bewusstsein ist gewachsen.
Sehen Sie bei der Umsetzung der GfK Herausforderungen?
Die Schwierigkeit ist, dass es eine Haltungsfrage ist. Die kann nur jeder Mensch für sich selbst entscheiden und verfolgen. Dafür braucht es Offenheit. Wenn das jemand nicht möchte, werde ich das auch nicht vorschreiben. Ich kann nur dazu einladen, die GfK zu nutzen. Genauso braucht es auch Mut, die GfK zu verwenden, denn man gibt ja auch etwas preis, wenn man seine eigenen Bedürfnisse benennt.
Wie haben die Lehrer*innen in Ihrem Team auf die Workshops reagiert?
Generell ist es gut bis sehr gut im Team angekommen. Gleichzeitig gibt es auch kritische Stimmen, die ich auch nachvollziehen konnte. Sie haben die Diskussion belebt.
Glauben Sie, dass die Workshops langfristige Veränderungen in Ihrer Schule bewirken werden?
Das hoffe ich. Ich glaube, dass wir, dadurch dass wir so tief in das Thema eingestiegen sind, die Chance haben, dass sich etwas verändern wird, aber es wird davon abhängen, wie offen und empfänglich die einzelnen Personen im Team dafür bleiben. Ich bin aber überzeugt, dass es im Grossen und Ganzen einen positiven Effekt haben wird.
Was ist Ihrer Meinung nach nötig, um die GfK nachhaltig in die Praxis umzusetzen?
Es ist wichtig, dass wir das Thema immer wieder aufgreifen. Es wäre denkbar, dass wir die GfK an einem konkreten Fall durchspielen: Was hätten wir hier besser machen können? Oder: Dass wir beispielsweise für Lehrer*innen-Konferenzen auffordern, vorab zu überlegen, wie etwas gesagt wird.
Allerdings gebe ich zu, es steht und fällt auch mit mir als Vorbild, wie ich als Schulleiter mit meinem Team kommuniziere. Genauso ist es, wenn wir den Kindern die GfK vermitteln. Wir müssen dies erst als Team vorleben, bevor wir dies weitervermitteln können. Wir sollten die GfK als einen längeren Prozess zu begreifen. Dann gelingt es, sie nachhaltig anzuwenden.
Was kann eine solche Weiterbildung Ihrer Meinung nach leisten und was nicht?
So eine Weiterbildung ist immer wie ein Blumenstrauss, aus dem jeder Mensch Blumen herausnehmen kann, die ihn ansprechen. Die nimmt er mit, und mit denen kann er machen, was er möchte. Selbst wenn jemand den ganzen Strauss mitnimmt, werden einzelne welke Blüten verblassen und andere lassen sich besser halten. Wichtig wäre, dass aus den Blumen Samen entstehen, um die GfK im eigenen Alltag wachsen zu lassen.