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CAS Akut- und Notfallsituationen: Was ein patient*innenorientiertes Handeln bringt

09.07.2024 In Akut- und Notfallsituationen ist ein feines Gespür für die Bedürfnisse der Patient*innen zentral, um in der Hektik einen kühlen Kopf zu bewahren. Tschen Passet erzählt, wie er das im CAS Akut- und Notfallsituationen erlangte Fachwissen in der Praxis umsetzt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der CAS Akut- und Notfallsituationen setzt sich aus den Fachkursen «Somatische Krisenintervention» und «Psychische Krisenintervention» sowie dem Fachkurs «Evidence-Based-Practice Care Report oder Review» zusammen.
  • Tschen Passet, Pflegefachmann HF auf der Akutabteilung der UPK Basel, erzählt im Interview, wie er den Studiengang erlebt hat und wie er das Gelernte in seinem Berufsalltag umsetzen kann.
  • Im CAS werden erweiterte klinische Kompetenzen erlangt, die für die evidenzbasierte pflegerische Einschätzung und die Betreuung von Patient*innen in Akut- und Notfallsituationen wichtig sind.

Ein kleiner Einblick in deinen Arbeitsalltag: Was ist deine Funktion und was sind deine Aufgaben? Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?

Ich bin Pflegefachmann mit HF-Abschluss und seit fünf Jahren auf der psychiatrischen Akutabteilung in den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel tätig.

Wir arbeiten in drei Diensten, also Früh-, Spät- und Nachtschicht, und einem Bezugspflegesystem. Dabei begleiten wir die Patient*innen anhand ihrer Tagesanliegen, zum Beispiel beim Aufbau einer Tagesstruktur oder bei der Wohnungssuche. In erster Linie geht es jedoch darum, ihre Krise und akute Dekompensation der Erkrankung zu regulieren, damit sie im Alltag wieder funktionsfähig werden können.

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Zur Person: Tschen Passet

Seit 2017 arbeitet Tschen Passet als Pflegefachmann HF bei den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Zuerst während des Studiums, dann als festangestellter Pflegefachmann. Bis 2017 war er während acht Jahren zuerst als Pflegeassistent und anschliessend als Fachmann Gesundheit EFZ in diversen Alters- und Betreuungsinstitutionen tätig. Tschen Passet ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

An der BFH hat er den CAS Akut- und Notfallsituationen nach dem Fachkurs Wissenschaftliches Arbeiten, reflektierte Praxis absolviert. Sein Ziel ist der Abschluss des MAS «Integrierte Pflege: Mental Health».

Welche Akut- und Notfallsituationen erlebst du in der Praxis?

Auf der Akutabteilung begegne ich vor allem Menschen mit Psychosen oder Manien sowie persönlichkeitserkrankten Menschen, die selbst- und/oder fremdgefährdet sind. Wir verfügen über zwei psychiatrische Intensivbehandlungszimmer, die wir nur für ausweglose Krisenereignisse als letzte mögliche Massnahme in Anspruch nehmen. Wir sind dementsprechend öfters mit akuten Situationen konfrontiert.

Häufig kommen die Patient*innen beim Eintritt mit einer fürsorgerischen Unterbringung (FU) zu uns und sind gegenüber einer psychiatrischen Behandlung abgeneigt, sprich sie sind zu etwa 80 % nicht medikamenten- resp. behandlungscompliant, was die Fremdaggression tendenziell erhöhen kann. Es werden in den meisten Fällen Erstmassnahmen wie 1:1-Betreuungen, Medikation und Isolation nach Art. 435 eingeleitet. Sobald die Lage sich ein wenig entspannt, versuchen wir durch Gespräche und Adhärenzförderung eine Behandlung zu vereinbaren. Die Patient*innen sind im Schnitt zwei bis sechs Wochen bei uns. Dazu muss gesagt werden, dass die Abteilung schwere Interventionsmassnahmen immer als letztmögliche einschneidende Massnahme anzuwenden weiss.

Was hat dich dazu bewogen, den CAS Akut- und Notfallsituationen zu machen?

Mein Hauptziel ist es, den MAS «Integrierte Pflege: Mental Health» zu absolvieren. Nach mehrjähriger Praxisarbeit wollte ich neue Erkenntnisse und Inputs erhalten und mich auch im somatischen Bereich weiterbilden. Von der BFH wusste ich nach dem Fachkurs «Wissenschaftliches Arbeiten, reflektierte Praxis», dass sie in ihren Weiterbildungen Inputs vermittelt, zu denen man selbst viel recherchieren und sich kritisch damit auseinandersetzen kann. Mir gefällt dieses Konzept gut, denn so kann man den Lerneffekt selbst steuern.

Spannend fand ich auch die Arbeiten für die Kompetenznachweise: Bei der somatischen Krisenintervention war dies ein wissenschaftliches Poster und bei der psychischen Krisenintervention ein Theater, durch das eine hohe Reflexionsfähigkeit erlangt werden kann.

Haben sich deine Erwartungen an den CAS erfüllt?

Ja, im Grossen und Ganzen auf jeden Fall. Teilweise gab es in den beiden Fachkursen thematische Überschneidungen und deshalb Wiederholungen. Sehr wertvoll war für mich der Austausch mit den Teilnehmenden aus anderen Berufsgruppen und den kompetenten Dozierenden, die sich für meine Fragen und Anliegen Zeit nahmen.

Sehr wertvoll war für mich der Austausch mit den Teilnehmenden aus anderen Berufsgruppen und den kompetenten Dozierenden, die sich für meine Fragen und Anliegen Zeit nahmen.

Tschen Passet
Tschen Passet Pflegefachmann HF, psych. Akutabteilung, UPK Basel

Erinnerst du dich an ein besonderes Schlüsselerlebnis?

Im Fachkurs Somatische Krisenintervention war es für mich aufschlussreich, dass alternative Behandlungsmethoden bei chronischen Schmerzen vermittelt wurden. Ich hatte zwar schon davon gehört, doch es wurde mir erst durch diesen Input bewusst, dass ich sie bei unseren Patient*innen, die oft von chronischen Schmerzen betroffen sind, anwenden könnte. Auch das Delir-Screening habe ich sogleich in die Praxis transferiert. Bei hoher Medikamentenverabreichung muss nicht unbedingt eine Psychose im Vordergrund stehen, es kann sich durchaus auch mal um ein Delir handeln. Dank diesem Screening konnten wir bereits bei zwei Patient*innen die Behandlung sinnvoll anpassen.

Im Fachkurs Psychische Krisenintervention habe ich gelernt, dass bei Patient*innen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen oft vergessen wird, warum die Probleme bei diesen Menschen auftauchen. Dies beeinflusst die Kommunikationsebene, also wie ich mit diesen Menschen rede und sie insbesondere bei Krisensituationen zur Kooperation bewegen und Vertrauen aufbauen kann.

Welcher Inhalt des CAS war für dich besonders interessant?

Im somatischen Fachkurs konnte ich viel aus der Expertise der Fachpersonen vom Notfall ziehen. Es war auch spannend zu sehen, dass es psychiatrische Kliniken gibt, die anders arbeiten. In der Arbeitsroutine vergisst man oft, sich mit neuen Erkenntnissen und Ansätzen auseinanderzusetzen und die bestehenden Behandlungskonzepte zu überdenken. Bei den UPK wurden allerdings in den letzten zwei Jahren einige neue Konzepte umgesetzt, um die heutigen Standards zu erreichen.

Wo siehst du den Mehrwert dieser Weiterbildung für dich, deine Institution, deine Arbeitskolleg*innen?

Im Austausch mit den Kolleg*innen in der Klinik konnten wir schon ein paar Inputs umsetzen, zum Beispiel das Delir-Screening oder verschiedene Wickel im somatischen Fachkurs. In der psychischen Krisenintervention stehen aufgrund meiner Weiterbildung vermehrt die Kommunikation mit den Patient*innen und ethische Grundsätze im Fokus.

In der Arbeitsroutine vergisst man oft, sich mit neuen Erkenntnissen und Ansätzen auseinanderzusetzen und die bestehenden Behandlungskonzepte zu überdenken.

Tschen Passet
Tschen Passet Pflegefachmann HF, psych. Akutabteilung, UPK Basel

Wie kannst du dein neues Wissen in der Praxis einsetzen?

Ich konnte von den vermittelten Deeskalationstechniken profitieren. In unserer Klinik arbeiten wir mit der ADE-Technik (Aggressions- und Deeskalationsmassnahmen) und im CAS lernte ich die Prodema-Technik kennen. Die beiden Techniken sind sich zwar ähnlich, doch Prodema fokussiert noch stärker auf verbale Kommunikationstechniken zur Deeskalation anhand der Bedürfnisergründung. Das finde ich sehr spannend, denn so kann es mir gelingen, Patient*innen in Krisensituationen anders zu begegnen, indem ich trotz aufbrausendem oder schreiendem Verhalten der Patient*innen versuche, bedürfnisorientiert vorzugehen und herauszufinden, welches Anliegen dahintersteckt.
 

Was kann ich mir unter praktischen Deeskalationstechniken vorstellen und wie habt ihr das geübt?

Gerne gebe ich ein Beispiel: Wenn Patient*innen auf der Abteilung dauernd hin- und herliefen, laut schrien und Stühle um sich warfen, gingen wir auf sie zu und fragten «Stopp, was ist los? Versuchen Sie sich zu beruhigen». Wir gaben ihnen entweder eine Reserve-Medikation oder versuchten, ein Gespräch zu beginnen. Falls kein Zugang möglich war und eine Selbst- sowie Fremdgefährdung bevorstand, wurde als letzte Massnahme eine Isolation im Intensivbehandlungszimmer durchgeführt. Das krisenhafte Verhalten der Patient*innen wird dadurch zwar abrupt unterbunden, doch sie verstehen oft nicht, warum wir uns so verhalten und fühlen sich angegriffen. Dadurch erhöht sich eventuell das Potenzial fremdaggressiven Verhaltens.

Durch die Prodema-Technik habe ich gelernt, mich auf das Hauptbedürfnis der Patient*innen und die Kommunikation zu konzentrieren. Vielleicht ist ihr Anliegen sehr banal: Sie*er möchte einen Kaffee. Ich gehe also zuerst allein auf sie*ihn zu und sage: «Ich sehe, dass Sie unruhig sind». Wenn sie*er antwortet und schreit «Nein, das stimmt nicht!», sage ich «Okay, sind Sie in dem Fall wütend?». Und wenn sie*er wieder verneint, frage ich «Ja, möchten Sie denn etwas?». Hier kann es bei den Patient*innen etwas auslösen und sie*er sagt «Ja, ich möchte einen Kaffee». Indem ich das Bedürfnis erkannt habe, ist die Situation tendenziell deeskaliert. Es kann auch sein, dass die Patient*innen Sicherheit brauchen, weil sie in einer Psychose sind. Ich sage dann: «Haben Sie Angst?» und sie*er antwortet «Ja, ich habe Angst». Meine nächste Frage lautet: «Wovor haben Sie Angst?». Hier kann ich ansetzen und sie*ihn beruhigen, indem ich antworte: «Sie sind hier in Sicherheit, schauen Sie, die Türen sind im Moment geschlossen» usw. Gegenüber dem ADE, das ähnliche Ansätze verfolgt, hat mich Prodema bezüglich Deeskalation durch Kommunikation angesprochen und interessiert. Dies bewegt mich dazu, den Unterschieden der beiden Ansätze mehr Gehör zu verschaffen und das Beste aus beiden herauszuziehen.

Wie hast du die Balance zwischen Theorie und Praxis erlebt?

Für mich war die Balance gerade richtig. Die theoretischen Inputs waren interessant und nicht zu lang. Auch die Methoden haben mir gut gefallen. Im Fachkurs Psychische Krisenintervention waren es das Legospiel oder der Stuhlkreis, wo ich trotz anfänglicher Skepsis durch die höhere Konzentration und das höhere Involvement viel profitieren konnte. Im praktischen Teil fand ich es toll, dass man sich in der Gruppe und mit den Dozierenden vertiefter mit den Themen auseinandersetzen kann. Dies hilft dabei, die Theorie besser in die Praxis umsetzen zu können.

Die Durchmischung dieser Gruppen war für den Wissensaustausch über Akut- und Notfallsituationen in beiden Fachkursen sehr inspirierend.

Tschen Passet
Tschen Passet Pflegefachmann HF, psych. Akutabteilung, UPK Basel

Wem würdest du diesen Kurs (besonders) weiterempfehlen und warum?

Pflegende, die schon länger in der Psychiatrie tätig und unsicher sind, ob der Fachkurs Somatische Krisenintervention für sie sinnvoll ist, lege ich diesen ans Herz. Ich konnte von vielen Inputs in der Praxis profitieren, denn wir nehmen immer mehr somatische Patient*innen auf, weil diese teilweise sehr schnell und oft verlegt werden. Zudem kann der Wissensstand aufgefrischt werden. Umgekehrt empfehle ich den Fachkurs Psychische Krisenintervention Pflegenden von Notfallabteilungen und Spitälern, um mit Kommunikations- und Deeskalationstechniken besser auf die zunehmend auch psychisch erkrankten Patient*innen eingehen zu können. Die Durchmischung dieser Gruppen war für den Wissensaustausch über Akut- und Notfallsituationen in beiden Fachkursen sehr inspirierend. 

Gibt es weitere Aspekte zum Fachkurs, über die du berichten möchtest?

Ich bin dankbar, dass ich den CAS mit der Unterstützung meines Arbeitgebers absolvieren durfte. Der Einblick in die aktuellen didaktischen Methoden der Dozierenden, der inhaltliche Aufbau der Weiterbildung und mein Lerneffekt gaben mir trotz einer hohen Auslastung in Berufs- und Privatleben die Hoffnung, dass ich weitere Fachkurse an der BFH vertrauensvoll in Angriff nehmen kann.

 

 

Interview geführt von Isabelle Stupnicki, Fachspezialistin Kommunikation, Berner Fachhochschule BFH Departement Gesundheit.

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