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Physiotherapie-Praktikum in London: Neurorehabilitation im Fokus
05.03.2024 Die Master-Studentinnen Lara Rajkovic und Annina Anliker berichten über ihr Praktikum in London, wo sie auf spezialisierten neurologischen Rehabilitationsabteilungen arbeiteten. Sie fanden es besonders spannend, ein neues Gesundheitssystem kennenzulernen, neues Wissen in der Behandlung von hirnverletzten Patient*innen zu gewinnen und erweiterte berufliche Rollen zu beobachten.
Das 4-wöchige Transfermodul ist Teil des Master of Science Physiotherapie und bietet den Studierenden die Möglichkeit, ihr Fachwissen zu vertiefen. Dank internationalen Partnerschaften der BFH mit Praxisorganisationen ist es auch möglich, das Praktikum im Ausland zu absolvieren. Lara Rajkovic und Annina Anliker, die ihren Master mit Schwerpunkt Neurologie absolvieren, haben fast gleichzeitig einen Praktikumsplatz in London gefunden.
Wo sich Ergotherapie, Physiotherapie & Co das Büro teilen
Annina Anlikers Transfermodul fand in der Neurorehabilitation des Wellington Hospitals, einem privaten Krankenhaus im Zentrum Londons, statt. Dort arbeitete sie schon bald selbständig und begleitete Kolleg*innen bei Behandlungen, die zu zweit durchgeführt werden. Im Wellington Hospital teilen sich Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Neuropsychologie das Büro und es findet ein reger Austausch statt. «Das Team ist nach Erfahrungsjahren aufgeteilt in Expert*innen, welche die Behandlungsinhalte evidenzbasiert unterstützen, in Senior- und in Juniorpositionen. Die Therapieassistent*innen helfen bei komplexen Situationen», berichtet Annina.
«Es zeigt sich aber, dass die privaten Leistungen grösstenteils von ausländischen Patient*innen in Anspruch genommen werden. Engländer*innen werden nach dem Akutspital oft in ein ambulantes Setting nach Hause entlassen, wo meiner Meinung nach das Rehabilitationspotenzial aufgrund fehlender Ressourcen nicht ausgeschöpft werden kann.» Für Annina war der Einblick in ein anderes Gesundheitssystem besonders interessant: «Ich nehme aus dem Praktikum mit, dass der physiotherapeutische Denkprozess in den beiden Ländern sehr ähnlich ist und wir daher britische Studien und deren Behandlungsinhalte gut auf unser Denken übertragen können», sagt sie. «Ich fand den Einblick sowohl aus politischer als auch aus klinischer Sicht sehr lehrreich und spannend. Ich schneide mir bezüglich der interdisziplinären Zusammenarbeit eine Scheibe ab und wünsche mir einen besseren Einsatz von Expert*innen als Advanced Practitioner im Schweizer Spitalalltag.»
Hochspezialisierte Abteilungen, flache Hierarchien
Lara Rajkovic absolvierte ihr Praktikum im Royal Hospital for Neurodisability RHN, das auf die Behandlung von Menschen mit neurologischen Erkrankungen spezialisiert ist und über Fachabteilungen für die Rehabilitation nach Hirnverletzungen und für Neuro-Verhaltenstherapie verfügt. Darüber hinaus gibt es hochspezialisierte Abteilungen: «Meine Abteilung war spezialisiert auf Patient*innen mit «Prolonged Disorders of Consciousness» (PDOC), das bedeutet langanhaltende Bewusstseinsstörungen. Dieser Zustand umfasst das Wachkoma und minimale Bewusstseinszustände. Da die Patient*innen schwer betroffen sind, war ich immer an Doppelbehandlungen mit anderen Physiotherapeut*innen, Physiotherapieassistent*innen und anderen Therapeut*innen beteiligt. Zum Beispiel wurden Patient*innen mit einer Trachealkanüle oft gemeinsam mit Logopäd*innen behandelt, um die Atmung sicherzustellen und dabei die Stimme und das Schlucken zu evaluieren. Ebenso haben wir regelmässig Assessments im multidisziplinären Team durchgeführt, um zu evaluieren, ob die Patient*innen aus dem Wachkoma erwachen.»
Auch Lara war von dieser engen Zusammenarbeit des multidisziplinären Teams beeindruckt: «Der Austausch wird durch wöchentliche Rapporte innerhalb der Teams gefördert. Auffallend ist auch die flache Hierarchie im Team. Ansprechperson für die Angehörigen während des gesamten Aufenthaltes ist ein so genannter KeyWorker. Diese Funktion wird von einer Person aus dem Team übernommen.»
Erweiterte berufliche Rollen: Zum Beispiel für Botox-Injektionen
Da das britische Gesundheitssystem staatlich ist, wird auch die Rehabilitation vom National Health System (NHS) finanziert. «Das hat zur Folge, dass alle zwei Wochen Assessments über die Fortschritte erfasst und analysiert werden», erzählt Lara. Sie konnte während ihres Praktikums beobachten, dass der Prozess der Förderung von Advanced Practitioners in Grossbritannien in vollem Gange ist.
«Der NHS organisiert Treffen, um zu evaluieren, wie diese Rollen in Zukunft aussehen könnten», erzählt die Master-Studentin. «Ich habe zum Beispiel zwei Therapeutinnen getroffen, die für die Injektion von Botulinumtoxin (Botox) ausgebildet wurden. Gemeinsam mit den zuständigen Therapeut*innen führen sie eine Befunderhebung durch. Ist eine Injektion indiziert, legen sie in Absprache mit dem ärztlichen Dienst die Dosierung fest. Das Praktikum hat mich inspiriert, wie wir unser Berufsbild auch in der Schweiz weiterentwickeln können. Zurück in meinem jetzigen Arbeitsumfeld plane ich nun die Einführung von Assessments auf der Aktivitäts- und Partizipationsebene in unserer Botox-Sprechstunde.»
Beide Studentinnen schätzten den Einblick in ein anderes Gesundheitssystem und die Vertiefung ihres Wissens sehr. Neben der professionellen Weiterbildung genossen sie das Eintauchen in eine Weltstadt und das kulturelle Angebot: «An den Wochenenden nutzten wir die Gelegenheit zu Ausflügen, zum Beispiel an die Küste. Wir hoffen, das Interesse an einem Austausch zwischen den Ländern geweckt zu haben.»