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«KI ist keine ökologische Wunderwaffe»
04.11.2024 Nachhaltige Digitalisierung erfordert, dass wir das Wohl von Mensch und Umwelt an erste Stelle setzen und nicht die Technik. Ein Gespräch mit Jan Bieser über eine humane digitale Transformation.
Das Wichtigste in Kürze
- Durch KI gewinnt die Digitalisierung weiter an Bedeutung.
- Für Umwelt und Mensch sind digitale Helfer ein zweischneidiges Schwert.
- Entscheidend ist, wie und wozu wir die Technologie einsetzen.
Die Digitalisierung prägt den Alltag der Menschen immer stärker. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass die Anzahl der Internet-User sich in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt hat. Ob Carsharing-Plattformen, Videokonferenzen, Streaming-Abos, Suchmaschinen oder künstliche Intelligenz: Ein Leben ohne digitale Hilfsmittel ist kaum noch vorstellbar. Wir sprechen mit Prof. Dr. Jan Bieser über seine Sicht auf die Digitalisierung und darüber, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die ökologische und soziale Nachhaltigkeit hat.
Woran denken Sie, wenn wir von digitaler Transformation sprechen?
Bei digitaler Transformation geht es nicht um einen technischen Prozess, sondern um gesellschaftliche Veränderungen, die durch digitale Technik ermöglicht werden. Ich frage mich, wie die Digitalisierung gestaltet werden muss, damit sie wünschenswerte Auswirkungen auf Mensch und Umwelt hat:
Einerseits brauchen digitale Technologien selbst Ressourcen wie Rohstoffe und Energie in der Herstellung. Das nennen wir auch den Fussabdruck und diesen sollten wir so gering wie möglich halten. Andererseits verändern digitalen Anwendungen andere Lebensbereiche, was positiv und negative Auswirkungen haben kann. Das nennen wir auch den Handabdruck. Ein gutes Beispiel dafür ist die Videokonferenz: Ersetzt diese eine Dienstreise, sinken die Emissionen. Wird sie einfach zusätzlich durchgeführt, dann nicht.
Ökologischer Fuss- und Handabdruck
Der ökologische Fussabdruck fasst die CO2-Emmissionen zusammen, die durch Konsum entstehen, also z.B. Energie und Rohstoffe, die für die Herstellung eines Produktes benötigt sind. Er hat die Funktion des ökologischen Mahnfingers und zeigt an, welche negativen Folgen unser Verhalten hat.
Der ökologische Handabdruck meint die CO2-Einsparungen, die durch individuelle Verhaltensänderungen möglich sind, also z.B. der Ersatz von Dienstreisen durch Online-Sitzungen. Er zeigt die positiven Folgen unserer Verhaltensänderungen auf und motiviert damit zu nachhaltigerem Verhalten.
Ob eine digitale Technologie nachhaltig ist, hängt also davon ab, wie sie gebraucht wird?
Genau. Gerade beim aktuellen Trendthema Künstliche Intelligenz (KI), zeigt sich das bestens. KI-Modelle können verwendet werden, um Solarmodule effizienter machen, Motoren zu optimieren oder Essensbestellungen vorherzusagen und dadurch Essensabfälle vermeiden.
KI wird aber gleichermassen dafür genutzt Online-Werbung zu individualisieren, um noch mehr Produkte zu verkaufen, die eigentlich gar nicht gebraucht werden. Wir müssen gezielter überlegen, wozu wir KI einsetzen. KI ist keine ökologische Wunderwaffe.
Was müsste sich denn verändern, damit Technologien wie KI konsequenter für nachhaltige Zwecke eingesetzt werden?
Das hängt primär von Anreizen ab. Wenn ein Unternehmen Erdöl fördert und verkauft, wird es KI nutzen, um noch mehr Öl zu finden, das dann später verbrannt wird. Gleiches gilt im Internet auf Social-Media- und E-Commerce-Plattformen. Hier fliesst umso mehr Geld, je mehr Werbung angezeigt und geklickt wird, und je mehr Produkte verkauft werden. Und genau dafür wird KI nun auch eingesetzt.
Damit KI tatsächlich für die Umwelt eingesetzt wird, müssen solche Zielkonflikte aufgelöst werden. Das geschieht nicht von alleine, nur weil wir KI haben.
Was muss auf gesellschaftlicher und polititscher Ebene geschehen?
Unternehmen könnten ihr Geschäftsmodelle anpassen, so dass Wachstum und Umweltschutz Hand in Hand gehen. Beispielsweise würden Abomodelle bei Social Media weniger Anreize für das Schalten von Werbung setzen und damit Nutzer*innen weniger beeinflussen. Ich bin aber skeptisch, dass das von alleine geschieht, da Werbung den Unternehmen unglaublich viel Geld einspielt.
Dann könnte der Gesetzgeber aktiv werden. Einige Schweizer Städte diskutieren etwa gerade ein Werbeverbot im öffentlichen Raum, unter anderem, weil Werbung den Konsum unnötig steigert. Wenn das im physischen Raum geht, sollte das auch im Internet möglich sein. Denn hier ist das Problem ja noch viel ausgeprägter: Clevere Algorithmen passen Botschaften dynamisch an einzelne Konsument*innen an und versuchen aktiv, sie zu manipulieren. Sogenannte «Dark Patterns» beschreiben Techniken, die Menschen online dazu bewegen sollen, Dinge zu tun, die sie eigentlich gar nicht machen wollen.
Viele Firmen rücken sich gerne ins grüne Licht.
Wie gehen Tech-Firmen mit dem Thema Nachhaltigkeit um?
Viele der grossen Tech-Firmen haben Nachhaltigkeitsstrategien und ganze Abteilungen etabliert, und berichten regelmässig über ihre Massnahmen. Und hier passiert auch viel, vor allem bei der Reduktion des eigenen Fussabdrucks. Beispielsweise nutzen immer mehr Tech-Firmen erneuerbare Energien und Senken so ihre CO2-Emissionen.
Beim Handabdruck ist das jedoch nicht der Fall. Hier rücken sich viele Firmen gerne ins grüne Licht, in dem sie aufzeigen wie ihre Angebote zu einer lebenswerteren Gesellschaft und zum Umweltschutz beitragen können.
Dabei lassen sie schädliche Effekte jedoch komplett aussen vor. Beispielsweise argumentiert Alphabet, die Firma hinter Google, dass Google Maps klimafreundliche Navigation ermöglicht. Das ist ja auch nicht verkehrt, aber dass ihre Haupteinnahmequelle, das Schalten von Werbung, die CO2-Emissionen unnötig erhöht, wird verschwiegen.
Der stark zunehmende Internet-Konsum bringt viele Probleme mit sich.
Was müssen wir als digitale Bürger*innen und Konsument*innen leisten?
Wir können und sollten auch so einiges tun. Wir wissen mittlerweile, dass der stark zunehmende Internet-Konsum viele Probleme mit sich bringt. Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt hat in seinem Buch «Generation Angst» beschrieben, wie die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unter digitalem Konsum leidet.
Wir müssen lernen, wie wir mit diesem digitalen Suchtmittel umgehen. Genauso wie wir lernen, dass zu viel Zucker oder Alkohol ungesund ist. Und das gilt natürlich auch für uns Erwachsene. Es gibt eine Reihe von Tipps und Tricks, wie wir wieder bewusster digital konsumieren, unser Leben von den vermeintlichen Helfern nicht vereinnahmen lassen und dadurch ein glücklicheres und nachhaltigeres Leben führen.
Wie gehen Sie persönlich mit den Challenges der Digitalisierung um?
Wie viele andere kämpfe ich auch. Bei uns im Team (am Institut für Public Sector Transformation) nutzen wir aktuell fünf oder sechs digitale Kommunikationstools parallel. Wir müssen Regeln entwickeln, wann was genutzt wird, und was wir abstellen können. Sonst versinkt die Arbeitskultur zwischen all den aufmerksamkeitsheischenden Notifications, Pings und Messages.
Vor zwei Monaten habe ich auf meinem Smartphone fast alle Notifications abgeschaltet. Das hat echt geholfen und ich schaue jetzt weniger aufs Handy und werde seltener abgelenkt. Dafür wundern sich natürlich auch Freund*innen, Familie und Kolleg*innen, dass ich jetzt nicht mehr so schnell antworte. Aber ich finde es eigentlich positiv, wenn wir uns von dem Druck lösen, immer erreichbar sein zu müssen.
Das Arbeiten aus dem Homeoffice gibt mir auch unglaublich viel Flexibilität. Beispielsweise weiss ich, dass ich morgens mit Abstand am klarsten denken kann und am produktivsten bin. In dieser Zeit möchte ich nicht in vollen Zügen sitzen. Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt, dass durch zu viel Arbeit aus dem Homeoffice die informelle Kommunikation mit den Kolleg*innen leidet.