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Schlaf: der vernachlässigte Gesundmacher
14.03.2024 Schlafstörungen sind eine Volkskrankheit, die aktuell nur wenig Aufmerksamkeit in den Gesundheitsberufen erhält. Dabei ist die Bedeutung eines guten Schlafs für die Gesundheit wissenschaftlich erwiesen. Dr. Albrecht Vorster lehrt am Swiss Sleep House Bern besseres Schlafen durch Verhaltensänderungen.
Schlaf ist gesund, das wissen wir aus eigener Erfahrung: Wenn wir ausgeschlafen sind, starten wir voller Energie in den Tag. Bei Schlafmangel fühlen wir uns hingegen unkonzentriert und sind anfällig für Krankheiten. Wissenschaftliche Studien bestätigen unsere Intuition. Eine gute Bettruhe stärkt unser Immunsystem, verbessert die kognitiven Funktionen, hilft bei der Regulation des Stoffwechsels und senkt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, um nur ein paar Vorteile zu nennen. Schlaf ist – so die Redewendung – die beste Medizin.
Schlafstörungen sind sehr verbreitet
Umso besorgniserregender ist es, dass etwa 10 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz an Insomnie – also einer Ein- oder Durchschlafstörungen – leiden. Menschen über 50 Jahre und Frauen sind besonders betroffen. Daneben sind die Schlafapnoe – wiederholte kurzzeitige Atemaussetzer während des Schlafs – sowie das Restless-Legs-Syndrom – der Bewegungsdrang der Beine beim Einschlafen – die verbreitetsten Schlafprobleme. Insgesamt leidet rund ein Drittel der Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen Schlaferkrankung.
Trotz der hohen Prävalenz von Schlafstörungen der wissenschaftlich belegten Bedeutung, die der Schlaf für unsere Gesundheit hat, ist dieser nur selten ein Thema in Arztpraxen und Forschungsgruppen. Das will Albrecht Vorster ändern. Der Biologe ist Co-Leiter des Swiss Sleep House am Inselspital in Bern und forscht an der Verbesserung des Schlafs von Spitalpatient*innen und Sportler*innen: «In den meisten Krankenhäusern gibt es Leute, die sich um den Blutdruck, den Blutzucker oder die Ernährung sorgen, aber niemand kümmert sich um den Schlaf der Patientinnen und Patienten.»
Das Swiss Sleep House ist aber nicht mit einem Labor ausgestattet, in dem das Schlafverhalten von Patient*innen über Nacht analysiert wird. «Hier beschäftigen wir uns vorwiegend mit der verhaltenstherapeutischen Behandlung von Schlafstörungen», erklärt Albrecht Vorster den Schwerpunkt des Swiss Sleep House. Patient*innen füllen einen eigens dafür entwickelten Fragebogen aus, mit dem die Fachleute die Ursache der Schlafstörung identifizieren. Während zwei Wochen führen die Patient*innen in einem zweiten Schritt ein detailliertes Schlafprotokoll, das ihren Lebensstil zeigt. Daraus können die Spezialist*innen des Swiss Sleep House Lebensstil-Interventionen für einen besseren Schlaf bestimmen.
Schlaf betrifft alle Lebensbereiche
Übergewicht ist beispielsweise eine häufige Ursache von Schlafproblemen: Fettanlagerungen im Halsbereich führt zu einer Verengung der Atemwege und erhöht das Risiko für Schlafapnoe. Dies wiederum hat einen wenig erholsamen Schlaf und Tagesmüdigkeit zur Folge. Wer müde ist, bewegt sich weniger, tendiert eher zu einer ungesunden Ernährung und fördert damit wieder das Übergewicht. Die verschiedenen Lebensbereiche wie Ernährung oder Bewegung hängen also eng miteinander zusammen. Darum muss der Mensch im Gesamtkontext betrachtet werden. «Gut und erholsam zu schlafen, lässt sich lernen», bringt Vorster die Mission des Swiss Sleep House auf den Punkt. «Wir analysieren gemeinsam mit den Patienten, welche Verhaltensmuster zum gestörten Schlaf führen und entwickeln nachhaltige Wege, um schlaffeindliche Routinen und Denkmuster zu durchbrechen.»
Verhaltenstherapien dauern je nach Ausprägung des Problems zwischen acht Wochen und einem halben Jahr. Dabei können auch technische Hilfsmittel wie Wearables oder Apps zum Einsatz kommen. Vorster selbst hat bei der Entwicklung einiger mobiler Applikationen mitgearbeitet, beispielsweise bei der Schlaf-App «7Schläfer» oder bei der Lebensstil-App der Berner Fachhochschule. «Mit der Weiterentwicklung von Sensoren könnte das Bett zu einem wichtigen Ort der Gesundheitsprävention werden», blickt Vorster in die Zukunft.
Die kognitive Verhaltenstherapie, die das Swiss Sleep House praktiziert, behandelt mehrheitlich Patient*innen mit Insomnie. Aber auch Schlafapnoe und andere Schlafstörungen können mit Lebensstiländerungen verbessert werden. «Leider werden nach wie vor 99 Prozent der Fälle von Ein- und Durchschlafproblemen im Kanton Bern medikamentös behandelt», bedauert Albrecht Vorster. «Dies, obwohl die Verhaltenstherapie gemäss den ärztlichen Leitlinien erste Wahl sein sollte.»
Auch für Gesundheitsfachpersonen ausserhalb des Swiss Sleep House soll die Verbesserung des Schlafs mittels Lebensstil-Interventionen in der Therapie eine grössere Rolle spielen. «Ein Schlafprotokoll auszufüllen ist keine grosse Sache und kann in jedem Bereich gemacht werden.» Gerade in der Physiotherapie, in der Ernährungsberatung aber auch in der psychiatrischen Pflege sieht Vorster viel Potenzial. Mit einer ganzheitlichen Sichtweise, die auch den Schlaf beinhaltet, könnte laut dem Wissenschaftler viel gewonnen werden. Jedoch fehle es noch an spezifischen Weiterbildungen in diesem Bereich.
Wir verschlafen einen Drittel unseres Lebens. Damit wir in den wachen zwei Dritteln gesünder und glücklicher leben, sollten wir dem Schlaf mehr Aufmerksamkeit schenken. Davon ist Albrecht Vorster überzeugt.
Zur Person
Albrecht Vorster studierte Biologie und Philosophie an der Universität Freiburg sowie an der Université de La Réunion und promovierte am Institut für Medizinische Psychologie der Universität Tübingen. Er forscht zum Schlaf von Spitalpatient*innen und Sportler*innen am Swiss Sleep House am Inselspital in Bern. Der mehrfache Science-Slam-Gewinner und Hobbymusiker hat zudem den populärwissenschaftlichen Bestseller «Warum wir schlafen» geschrieben.
Lebensstil-Interventionen im Fokus
Die Förderung eines gesunden Lebensstils gewinnt zunehmend an Bedeutung bei der Prävention von Krankheiten und bei der Rehabilitation nach Krankheitsfällen. Deshalb veröffentlichen wir an dieser Stelle eine Reihe von Beiträgen zu unserem Forschungsfeld Lebensstil-Interventionen. Auch das Symposium Fokus Gesundheit widmet sich diesem Schwerpunktthema mit ausgewiesenen Fachexpertinnen und Fachexperten.