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Engagement für Long-Covid- und ME/CFS-Betroffene: Chantal Britt erhält Viktor Award
25.03.2024 Chantal Britt wurde am 14. März 2024 bei der Viktor-Gala als herausragendste Persönlichkeit ausgezeichnet. Es ist das erste Mal, dass eine Patientin diesen Preis erhält. Seit Jahren engagiert sie sich für Betroffene von Long Covid und ME/CFS. In einem Interview teilt sie ihre Gedanken über die Bedeutung des Preises und ihre zukünftigen Pläne für das Engagement im Bereich postinfektiöser Krankheiten.
Chantal, du wurdest an der Gala Viktor als herausragendste Persönlichkeit ausgezeichnet. Hast du mit diesem Preis gerechnet?
Chantal Britt: Es war eine grosse Überraschung für mich, nicht zuletzt angesichts der beeindruckenden Persönlichkeiten der anderen Nominierten, die alle aus grossen Organisationen oder Institutionen stammen und spannende Projekte durchführen. Sie wurden für ihre berufliche Arbeit und nicht für ehrenamtliche Tätigkeiten nominiert. Die Tatsache, dass eine Patientin diesen Preis erhalten hat, ist bemerkenswert.
Der Gewinn diese Preises zeigt mir, dass Long Covid Schweiz es geschafft hat, die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema zu lenken und dass Patient*innen eine immer wichtigere Rolle im Gesundheitswesen spielen. Der Einbezug von Patient*innen steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen. Aber das traditionelle Rollenverständnis ändert sich, insbesondere bei chronischen Erkrankungen, bei denen Betroffene über eine grosse Expertise und relevante Erfahrungen verfügen.
Was bedeutet der Award für Long Covid Schweiz und für alle Long-Covid-Patient*innen?
Chantal Britt: Der Preis legitimiert die Organisation als wichtigen Stakeholder im Gesundheitswesen. Obwohl wir bereits viel erreicht haben, ist der Preis wie ein Ritterschlag für uns. Postinfektiöse Erkrankungen wie Long Covid sind nur ein Teil einer Vielzahl von diffusen Krankheitsbildern, die nach einer Infektion auftreten können. Ein prominentes Beispiel ist die myalgische Enzephalomyelitis (ME), eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, die viele Ähnlichkeiten mit Long Covid aufweist. ME wurde in der Forschung und Versorgung jahrzehntelang vernachlässigt. Die Zahl der Betroffenen in der Schweiz belief sich vor der Pandemie auf rund 17’000 Personen, was im Vergleich zu den geschätzten 300’000 Personen mit Long Covid eine relativ geringe Zahl ist. Durch das Aufkommen von Long Covid können Menschen mit ME nicht länger ignoriert werden.
Meine Auszeichnung ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass viele Menschen mit Long Covid, ME oder anderen unsichtbaren Erkrankungen für mich abgestimmt haben. Dadurch wurden sie für einen Moment sichtbar, auf dem roten Teppich, bei einer Gala mit wichtigen Stakeholdern des Gesundheitswesens.
Die Arbeit geht weiter: Was sind die aktuellen Projekte und Aufgaben von Long Covid Schweiz?
Chantal Britt: Die Organisation Long Covid Schweiz engagiert sich aktiv in der Informationsvermittlung, Aufklärung, Beratung, Forschung und politischen Arbeit. Aufgrund der kantonalen Regelungen für Versorgung und Sozialversicherungen in der Schweiz sind wir gezwungen, in allen Kantonen präsent zu sein. Hierbei arbeiten wir eng mit der Schweizerischen Gesellschaft für ME & CFS (SGME) zusammen. Bei der Änderung von Gesetzesgrundlagen werden wir auch mit anderen Patientenorganisationen kooperieren. Long Covid hat Lücken in der Versorgung, Forschung und Sozialversicherung aufgezeigt. Uns werden die Aufgaben sicherlich nicht so schnell ausgehen.
Kürzlich wurde in den Medien berichtet, dass Forschende Fortschritte bei der Entwicklung von Grundlagen gemacht haben, die möglicherweise zu einem Bluttest für Long Covid führen könnten. Was bedeutet das für die Betroffenen?
Chantal Britt: Für uns war dies ein erster Lichtblick, da fehlende Biomarker eines unserer grössten Probleme darstellen. Es erschwert nicht nur die Diagnosestellung, sondern auch die Behandlung und die IV-Situation der Betroffenen. Diese Ergebnisse bedeuten aber nicht, dass wir bereits morgen einen Test haben werden. Dennoch trägt das bessere Verständnis der Immunmechanismen dazu bei, dass die medizinische Fachwelt nun den Nachweis hat, dass Long Covid keine psychosomatischen Ursachen hat, sondern auf eine Immundysfunktion zurückzuführen ist. Es könnte auch erwogen werden, ob eine Immuntherapie ein geeigneter Ansatz wäre, um schwer betroffene Patient*innen off-label* zu behandeln.
(*Off-Label-Use: Anwendung von Arzneimitteln ausserhalb der genehmigten Indikation)
Die Einbeziehung des Wissens der Betroffenen ist entscheidend für eine personenzentrierte Versorgung und partnerschaftliche Zusammenarbeit.
Du bist selbst von Long Covid betroffen. Warum ist es aus deiner Sicht relevant, dass Betroffene in Forschung und die Organisation der Versorgung eingebunden werden?
Chantal Britt: Bei chronischen Erkrankungen und chronischen Schmerzen sind viele Patient*innen Expert*innen ihrer eigenen Krankheit und ergänzen somit das Wissen der Fachpersonen. Die Einbeziehung des relevanten Wissens, der Erfahrungen und des Feedbacks der Betroffenen ist entscheidend für eine personenzentrierte Versorgung, Shared-Decision-Making und partnerschaftliche Zusammenarbeit.
In meiner Tätigkeit bei der BFH steht die partizipative Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt, wo ich mich mit Methoden für den Einbezug chronisch kranker Menschen beschäftige. Mein Engagement für Long Covid und ME/CFS überschneidet sich mit meinem beruflichen Wirken. Die Erfahrungen der Betroffenen mit dem Gesundheitssystem und der Austausch in Selbsthilfegruppen helfen uns, gemeinsam relevante Forschungsfragen zu definieren. Die Erforschung von Krankheiten wie Long Covid kann Erkenntnisse generieren, die auch für andere Indikationen bedeutsam sind. Die Versorgung von Menschen mit chronischen Krankheiten stellt unsere Systeme vor grosse Herausforderungen, weshalb ein besseres Verständnis dieser Erkrankungen und ihrer Auswirkungen von grossem Interesse ist.
Zur Person
BFH-Mitarbeiterin Chantal Britt ist Gründerin und Präsidentin der Patientenorganisation Long Covid Schweiz. Für ihr unermüdliches Engagement für Betroffene mit Long Covid und anderen postinfektiösen Erkrankungen wurde ihr am 14. März 2024 der Viktor Preis für die herausragendste Persönlichkeit 2023 verliehen. Der Viktor Award ist eine Auszeichnung im Schweizer Gesundheitswesen, die von santémedia und Medinside ins Leben gerufen wurde. Seit 2021 werden jährlich Personen und Institutionen geehrt, die sich durch besondere Leistungen im Gesundheitswesen auszeichnen.