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Krankenversicherung: Bessere Informationen helfen bei der optimalen Wahl der Franchise

08.11.2024 Um die steigenden Gesundheitskosten zu dämpfen, schlägt der Bundesrat vor, die Mindestfranchise von 300 auf 500 Franken zu erhöhen. Ein Ansatz, der besonders ältere, chronisch kranke und einkommensschwache Menschen belasten würde. Dabei gibt es eine einfachere Massnahme, wie einzelne Personen Gesundheitskosten einsparen können: Bessere Informationen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Erhöhung der Mindestfranchise würde ältere, chronisch kranke und einkommensschwache Menschen finanziell und gesundheitlich belasten.
  • Mit der optimalen Wahl der Franchise können Einzelpersonen Gesundheitskosten einsparen.
  • Personalisierte Informationen und Visualisierungen helfen, Menschen von einem Versicherungswechsel zu überzeugen.

Die Argumentation ist einfach: Eine Erhöhung der Mindestfranchise stärkt die Eigenverantwortung der Patient*innen und reduziert die Prämien. Tatsächlich könnten so die Prämien leicht gesenkt werden. Werden aber dadurch auch die Gesundheitsausgaben reduziert? Es gibt Hinweise darauf, dass eine Erhöhung der Kostenbeteiligung die Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung verringern kann (1, 2). Jüngste Studien zeigen, dass sich dieser Rückgang sowohl auf unnötige als auch auf notwendige Behandlungen auswirkt (3-5). So kann beispielsweise vorkommen, dass Patient*innen mit Typ-2-Diabetes die Insulinbehandlung aufgrund der Kostenbeteiligung aufschieben. Dies kann langfristig schwerwiegende finanzielle und gesundheitliche Folgen für die Patient*innen und die Gesellschaft haben. Daher ist es wichtig zu überlegen, wie und wer am meisten von der Franchise-Erhöhung betroffen wäre.

Viele Personen mit niedriger Franchise sind älter, chronisch krank oder haben ein geringes Einkommen (6). Für chronisch Kranke bedeutet eine höhere Franchise, dass sie mehr aus eigener Tasche zahlen müssen, ohne dass die Gesundheitsausgaben wirklich gesenkt werden, da ihre Versorgung unerlässlich ist. Für die Gruppe der Geringverdienenden kann eine höhere Franchise bedeuten, dass sie auf notwendige Versorgung verzichten, um Kosten zu vermeiden, was auf lange Sicht zu schlechteren Gesundheitsergebnissen und höheren Kosten führen kann. In der Tat geben bereits jetzt 10 bis 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung an, aus finanziellen Gründen auf medizinische Versorgung zu verzichten (7). Daher sollte man sich die Frage stellen, ob die vorgeschlagene Reform die Gesundheitsausgaben wirklich senken oder ob sie die derzeitige Situation eher noch verschlimmern würde.

Prämie, Franchise, Selbstbehalt: Was bedeuten die Begriffe?

  • Die Prämie ist der Betrag, den man monatlich an die Krankenkasse zahlt.
  • Die Franchise bezeichnet den Betrag, welcher die Versicherten pro Jahr selbst zu bezahlen haben, bis die Krankenversicherung die weiter anfallenden Kosten übernimmt. Erwachsene über 18 Jahren können von einer Franchise zwischen 300 und 2500 Franken wählen.
  • Wenn die Franchise ausgeschöpft ist, zahlt die Versicherung für anfallende Kosten: 10% davon muss aber weiterhin von den Versicherten bezahlt werden, bis ein Maximalbetrag erreicht ist. Bei Erwachsenen liegt dieser Selbstbehalt bei 700 Franken pro Jahr.

Optimierung der Franchise hat viel Sparpotential

Aus gesundheitsökonomischer Sicht gibt es eine einfachere Option, wie die Gesundheitsausgaben gesenkt werden können, ohne dass dies auf Lasten von bereits benachteiligten Personengruppen geht: Die Wahl der richtigen Franchise bei der Grundversicherung. Die folgende Grafik zeigt, dass es für Erwachsene in der Schweiz nur zwei optimale Franchisen gibt: Bei Gesundheitsausgaben von bis zu 1900 Franken ist das eine Franchise von 2500 Franken, bei höheren Kosten ist die Minimalfranchise von 300 Franken am günstigsten. Die mittleren Franchisen – also zwischen 500 und 2000 Franken – machen aus ökonomischer Sicht wenig Sinn, da sie zu höheren Gesamtkosten für Prämien, Selbstbehalt und weiteren Zusatzzahlungen führen.

Lesebeispiel: Frau Müller sucht die optimale Franchise für ihre Grundversicherung. Die x-Achse stellt die Gesamtkosten der von einer Person in Anspruch genommenen Gesundheitsleistungen dar (ohne Prämien). Die y-Achse zeigt die gesamten individuellen Auslagen dar, einschliesslich Prämien, Selbstbehalt und weiteren Zusatzzahlungen.  Die Grafik verwendet den Durchschnitt der in Bern angebotenen Grundversicherungsprämien für 2025 für eine Person über 25 Jahre. Frau Müller erwartet Ausgaben von maximal 500 Franken (exkl. Prämien). In diesem Fall ist eine Franchise von 2500 Franken die günstigste Option. Ihre jährlichen Gesundheitsausgaben inkl. Prämien, Selbstbehalt und weiteren Zusatzkosten wären in diesem Fall 6407 Franken.  

Trotzdem der klaren Faktenlage sind in der Schweiz noch immer rund 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung mit einer mittleren Franchise versichert. Wenn mehr Personen, deren Gesundheitsausgaben unter der Schwelle von 1900 Franken liegt, zur maximalen Franchise von 2500 Franken wechseln, kann dies eine grosse Sparwirkung haben. In diesem Fall hätten Personen, die von niedrigen Franchisen profitieren, keine negativen Folgen, und gesunde Personen könnten die Nachfrage nach unnötigen Behandlungen reduzieren, weil sie aus eigener Tasche zahlen müssen.

Warum optimieren Versicherte ihre Franchise nicht?

70 Prozent der Schweizer Bevölkerung hat ihre Krankenversicherung im letzten Jahr nicht gewechselt. Ein Grund dafür ist: Krankenversicherungen können komplex und schwer zu verstehen sein. Es überrascht nicht, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung angibt, Schwierigkeiten zu haben, Informationen über die Krankenversicherung zu finden (10). Eine Möglichkeit, diese Hindernisse zu überwinden, ist die Bereitstellung personalisierter Informationen.

Personalisierte Informationen, insbesondere in grafischer Form, können der einzelnen Person helfen, bessere Entscheidungen zu treffen, indem sie die Informationen für die Entscheidungsfindung vereinfachen. Forschungsstudien haben gezeigt, dass die Bereitstellung von massgeschneiderten Informationen und Visualisierungen über Krankenversicherungskosten und -optionen die Wechselwahrscheinlichkeit erhöht und die Kosten senkt (11,12). In einem Laborexperiment trugen personalisierte Informationen dazu bei, die erwarteten Krankenversicherungskosten der Teilnehmer im Durchschnitt um mehr als 200 Punkte zu senken, was im Rahmen der Studie einer Einsparung von etwa 200 Schweizer Franken pro Jahr entsprach. Die Teilnehmenden, die am meisten profitierten, waren diejenigen, für die es eine Herausforderung war, Krankenversicherungen zu verstehen (13).

Investitionen in Entscheidungshilfen - wie zum Beispiel personalisierte Informationen - könnten dazu führen, dass sich mehr Menschen für optimale Versicherungsmodelle entscheiden und damit ihre Gesundheitskosten senken. Zudem kann dieser Ansatz Menschen motivieren, ihre Gesundheit besser zu managen, was wiederum zu Einsparungen führen kann. Im Gegensatz zur Erhöhung der Mindestfranchise schützt diese Herangehensweise benachteiligte Gruppen und ermöglicht es einzelnen Personen, Versicherungen zu wählen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.

  1. Manning WG, Newhouse JP, Duan N, Keeler EB, Leibowitz A. Health Insurance and the Demand for Medical Care: Evidence from a Randomized Experiment. Am Econ Rev. 1987;77(3):251–77.
  2. Boes S, Gerfin M. Does Full Insurance Increase the Demand for Health Care? Health Econ. 2016;25(11):1483–96.
  3. Baicker K, Mullainathan S, Schwartzstein J. Behavioral Hazard in Health Insurance *. Q J Econ. 1. November 2015;130(4):1623–67.
  4. Brot-Goldberg ZC, Chandra A, Handel BR, Kolstad JT. What does a Deductible Do? The Impact of Cost-Sharing on Health Care Prices, Quantities, and Spending Dynamics*. Q J Econ. 1. August 2017;132(3):1261–318.
  5. Chandra A, Flack E, Obermeyer Z. The Health Costs of Cost Sharing*. Q J Econ. 1. November 2024;139(4):2037–82.
  6. Dashboard Krankenversicherung - Versicherte und Demographie [Internet]. [zitiert 26. Oktober 2024]. Verfügbar unter: https://dashboardkrankenversicherung.admin.ch/versicherte.html
  7. de Mestral C, Petrovic S, Marcus K, Dubos R, Guessous ProfI, Stringhini ProfS. Forgoing healthcare in Switzerland. Prevalence, determinants, and consequences. Report commissioned by the Federal Office of Public Health. 2022.
  8. Newsroom. HSG - Uni SG. 2024 [zitiert 26. Oktober 2024]. Swiss Insurance Monitor 2024: Despite rising premiums, only a few policyholders switch providers. Verfügbar unter: https://www.unisg.ch/en/newsdetail/news/swiss-insurance-monitor-2024-despite-rising-premiums-only-a-few-policyholders-switch-providers/
  9. Deloitte. Health Insurance Switzerland 2024: Current Situation & Outlook [Internet]. 2024 [zitiert 26. Oktober 2024]. Verfügbar unter: https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/ch/Documents/financial-services/deloitte-ch-en-health-insurance-study-2024.pdf
  10. Bardy TLC. Assessing health insurance literacy in Switzerland: first results from a measurement tool. Eur J Public Health. 1. April 2024;34(2):237–43.
  11. Quiroga Gutierrez AC, Boes S. Bridging the gap: Experimental evidence on information provision and health insurance choices. Health Econ. Juni 2024;33(6):1368–86.
  12. Kaufmann C, Müller T, Hefti A, Boes S. Does personalized information improve health plan choices when individuals are distracted? J Econ Behav Organ. 1. Mai 2018;149:197–214.
  13. Quiroga Gutierrez AC. Picture this: Making health insurance choices easier for those who need it. J Behav Exp Econ. 1. August 2024;111:102223.

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