Was wir unter Caring Society verstehen

19.04.2024 Mit dem Themenfeld Caring Society will die BFH dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft dem Begriff Sorge mehr Gewicht beimisst. Themenfeld-Leiterin Carolin Fischer ordnet Caring Society im Interview ein.

Caring Society ist kein einfach fassbarer Begriff. Was verstehen Sie darunter?

Zuvorderst in einer Caring Society steht die Verantwortung der Menschen, sich gegenseitig Sorge zu tragen. Care die Bereitschaft, sich umeinander und füreinander zu sorgen. Umeinander ist eher symbolisch, in Form von Empathie zu verstehen, mit füreinander sind Sorgepraktiken gemeint, das heisst konkret etwas füreinander tun.

Um das Zusammenleben in einer Gesellschaft überhaupt zu ermöglichen, braucht es Sorgebeziehungen. Sorge ist einerseits ein grundlegendes Bedürfnis, das wir als Menschen haben, anderseits eine Leistung für Personen, die Unterstützung benötigen, um ihr Leben zu bewältigen. Diese Leistungen können auf einer informellen Ebene erbracht werden, zum Beispiel in der Familie oder in der Nachbarschaft, aber auch in einem professionellen Kontext, etwa durch Pflege oder soziale Beratung.

Eine Caring Society basiert auf dem allgemein anerkannten Prinzip, wonach Care für uns alle gleichermassen lebensstiftend und lebenserhaltend ist. Eine Caring Society, dessen bin ich mir bewusst, ist eine Art Utopie, eine Idealvorstellung. Wir sollten sie als Leitbild nehmen, um unser Tun in der Gemeinschaft auszurichten und als Gesellschaft mehr Solidarität, Zusammenhalt und Gerechtigkeit zu erreichen.

Wir sollten nicht nur uns Menschen Sorge tragen, sondern auch unseren Lebensräumen.

Carolin Fischer
Carolin Fischer Leiterin strategisches Themenfeld Caring Society

Warum ist das Thema für unsere Gesellschaft von Bedeutung?

Unsere Gesellschaft befindet sich in einer akuten Sorgekrise. Einerseits stehen wir vor Engpässen in der medizinischen Versorgung und der Pflege. Anderseits zeigt sich die Krise in der mangelnden Wertschätzung von Sorgeleistungen sowohl im familiären Umfeld als auch auf professioneller Ebene, wo Pflegeleistungen in hohem Masse beansprucht, aber gleichzeitig schlecht entlöhnt oder symbolisch abgewertet werden. In diesem Kontext setzt die Idee einer Caring Society einen wichtigen Kontrapunkt.

Gesellschaften, die Sorge und sorgende Beziehungen wertschätzen, sind gleichwertiger, gerechter und fördern das Wohlergehen aller. Caring Society geht aber noch weiter: Wir sollten nicht nur uns Menschen Sorge tragen, sondern auch unseren Lebensräumen. Damit meine ich sowohl die Umwelt im weiteren Sinne als auch die Gestaltung von Räumen, in denen sich verschiedene Dimensionen unseres Alltags abspielen. Dazu zählen etwa Arbeitsplätze, Siedlungsgebiete und öffentliche Infrastruktur. All dies sind wesentliche Ressourcen für unser Leben und Voraussetzung dafür, dass sorgende Gesellschaften funktionieren können.

Wann ist eine Gesellschaft sorgend, also eine Caring Society im eigentlichen Sinn des Wortes?

Eine Gesellschaft ist dann sorgend, wenn Care in sämtlichen Bereichen des Zusammenlebens verankert ist und auch praktiziert wird. Eine wichtige Rolle spielen dabei Politik, Wirtschaft und auch die Wissenschaft. Zu einer Caring Society gehört eine ausgewogene Kombination von formellen, informellen und privat erbrachten Sorgeleistungen. In die Gestaltung einer Caring Society sollen sich alle Menschen mit ihren Kompetenzen einbringen können, unbesehen davon, welchen Bezug zum Thema sie haben.

Allerdings wird es immer Bedürfnisse für Sorgeleistungen geben, welche private oder informelle Strukturen wie Familien oder Nachbarschaftshilfen nicht befriedigen können, sei es wegen eingeschränkter Ressourcen, sei es aufgrund eines begrenzten Know-hows. Ausdruck einer Caring Society ist zudem, dass die verschiedenen Formen von Sorgeleistungen allgemein anerkannt sind und nicht einfach beiläufig zur Kenntnis genommen oder als Selbstverständlichkeit abgetan werden.

Am Schluss zeigt sich eine Caring Society im gesteigerten Wohlergehen der Menschen. Fühlt sich ein Mensch wohl in einer Gemeinschaft und hat er den Eindruck von Anerkennung, Unterstützung, Autonomie und Handlungsfreiheit, dann wird dieser Mensch die Gesellschaft als sorgend wahrnehmen.

In der Bevölkerung vorhandenes Wissen zu berücksichtigen, ist enorm wichtig und hilft, dass möglichst keine Perspektive auf ein behandeltes Thema vergessen geht.

Carolin Fischer
Carolin Fischer Leiterin strategisches Themenfeld Caring Society

Was will die BFH mit dem Themenfeld Caring Society erreichen?

Eine sorgende Gesellschaft ist eines der Kernthemen unserer Zeit. Indem sie es aufgegriffen hat, trägt die BFH zur Förderung einer Caring Society bei. Gleichzeitig positioniert sich die BFH als Hochschule, die das Thema in seiner ganzen Breite angeht und nicht als alleinige Domäne von naheliegenden Disziplinen wie der Gesundheit und der Sozialen Arbeit betrachtet. Die BFH versteht und bearbeitet Caring Society bewusst interdisziplinär, das heisst über die verschiedenen Departemente hinweg, integriert sie in die Aus- und Weiterbildung sowie in die Forschung und hilft mit, Innovationen und kreative Lösungsansätze zu entwickeln.

Die angewandte Forschung liefert wichtige Erkenntnisse und Impulse für die Ausgestaltung einer sorgenden Gesellschaft. In der Aus- und Weiterbildung werden relevante Aspekte einer Caring Society in diverse Berufssparten transferiert. Mit Caring Society richtet die BFH den Fokus ebenso auf die wesentlichen aktuellen Herausforderungen wie mit den beiden anderen strategischen Themenfeldern Humane Digitale Transformation und Nachhaltige Entwicklung.  

Forschungsergebnisse allein bewirken noch nicht viel. Wie wollen Sie die Öffentlichkeit für das Wesen einer Caring Society gewinnen?

Ein wichtiger Punkt ist, die Öffentlichkeit breit einzubeziehen. Wo immer sich zum Beispiel in einem Forschungsprojekt die Beteiligung betroffener Gruppen anbietet, tun wir es. Die Praxis hat sich in der BFH längst etabliert. In der Bevölkerung vorhandenes Wissen zu berücksichtigen, ist enorm wichtig und hilft, dass möglichst keine Perspektive auf ein behandeltes Thema vergessen geht.

Entscheidend ist zudem, dass wir den Mehrwert unserer Arbeit im Themenfeld Caring Society aufzeigen, anhand von konkreten und verständlichen Beispielen. Dies soll nicht nur über verschiedene mediale Kanäle erfolgen, sondern auch mit öffentlichen Veranstaltungen. Um die Vielfalt der Menschen erreichen zu können, werden wir sicherlich auch mal mit unkonventionellen Formaten von Anlässen experimentieren. Eine Caring Society geht am Schluss alle Menschen etwas an.

Carolin Fischer, Leiterin des strategischen Themenfelds Caring Society
Carolin Fischer leitet das strategische Themenfeld Caring Society.