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Bessere Spitalpflege durch digitale Daten – was ist möglich?

16.04.2025 Die Erfassung von Stürzen und Dekubitus in Schweizer Spitälern war lange mit hohem Aufwand verbunden. Nun bieten digitale klinische Routinedaten eine vielversprechende Alternative. Die BFH untersucht in einem Pilotprojekt mit 70 Spitälern die Anwendung.

Das Wichtigste in Kürze

  • Digitale Routinedaten könnten die Erfassung von Stürzen und Dekubitus in Spitälern vereinfachen.

  • Ein Pilotprojekt der BFH und des ANQ mit 70 Spitälern testet die Nutzung dieser Daten für Qualitätsmessungen.

  • Herausforderungen bestehen bei uneinheitlichen KIS-Systemen und Dokumentationspraktiken.

Pflegefachfrau schaut aufs Tablet

Stellen Sie sich vor, Sie brechen sich ein Bein und müssen ins Spital. Nach der Operation entwickelt sich durch die eingeschränkte Mobilität ein schmerzhafter Dekubitus am Gesäss, der den Spitalaufenthalt verlängert und tägliche Verbandswechsel erfordert. Solche unerwünschten Ereignisse sind vermeidbar – mit optimaler pflegerischer und interdisziplinärer Versorgung. Dieses Beispiel zeigt: Patient*innensicherheit im Spital ist essenziell – sowohl für das Wohl der Patient*innen als auch aus ökonomischer Sicht. Die systematische Erfassung und Analyse von unerwünschten Vorfällen hilft, potenzielle Missstände aufzudecken. Ein national einheitliches Vorgehen ermöglicht es zudem, Verbesserungspotenziale zu identifizieren und Massnahmen abzuleiten.
 

Messung führte zu weniger Vorfällen

Die nationale Prävalenzmessung zu Sturz und Dekubitus machte dies möglich. Von 2011 bis 2022 erfasste die BFH im Auftrag des Nationalen Vereins für Qualitätsentwicklung in Spitälern und Kliniken (ANQ) schweizweit die Sturz- und Dekubitusfälle. Die jährliche Erhebung verpflichtete Spitäler dazu, bei allen Patient*innen an einem festgelegten Stichtag standardisiert Daten zu Sturz und Dekubitus zu erheben. Sie lieferte wichtige Daten zur Qualitätssicherung und ermöglichte Vergleiche zwischen den Spitälern. Die Öffentlichkeit konnte auf der Website des ANQ sehen, wie die einzelnen Spitäler im Vergleich zum nationalen Durchschnitt abschnitten. Die Einführung dieser Messung war ein bedeutender Fortschritt für die Qualitätsmessung und die unerwünschten Vorfälle nahmen durch die regelmässige Messung ab (Bernet et al., 2024; Thomann & Bernet, 2024)

Trotz ihrer Bedeutung geriet die Prävalenzmessung zunehmend in die Kritik. Die Datenerhebung war sehr zeitintensiv und erforderte einen erheblichen personellen Aufwand im Verhältnis zum Nutzen. Zudem konnten schwer betroffene Patient*innen oftmals ihr Einverständnis zur Datenerhebung nicht geben und daher nicht teilnehmen, was zu verzerrten Ergebnissen führte. Durch die Erhebung an einem Stichtag fehlte den Daten die zeitliche Relation beispielsweise im Kontext der Präventionsmassnahmen. Zudem konnten die Ergebnisse bei Spitälern mit wenigen Patient*innen stark schwanken: Ein Dekubitus-Vorfall in einer kleinen Patient*innengruppe wirkt sich stärker auf das Ergebnis aus als ein Dekubitus-Vorfall in einer grossen Gruppe.

Der neue Weg: Nutzung von Routinedaten

Die zunehmende Digitalisierung in den Spitälern eröffnet neue Möglichkeiten. Statt aufwendiger Stichtagsmessungen sollen künftig Daten aus dem Klinikinformationssystem (KIS) genutzt werden. Diese klinischen Routinedaten werden ohnehin während der Behandlung erfasst und ermöglichen eine kontinuierliche und genauere Analyse. Eine erste Machbarkeitsanalyse hat vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Der Erhebungsaufwand kann deutlich reduziert werden, da die Daten bereits vorhanden sind. Zudem können alle Patient*innen erfasst werden, wodurch Verzerrungen vermieden werden. Die Nutzung von Routinedaten bietet ausserdem einen besseren Kontext, da ein längerer Zeitraum beobachtet werden kann anstelle eines Stichtags (Bernet et al., 2022). 
 

Herausforderungen der digitalen Messung

Herausforderungen und Pilotprojekt

Doch es gibt auch hier Hürden. Jedes Spital nutzt unterschiedliche KIS-Systeme, die sich in der Art der Datenerfassung unterscheiden. Definitionen, Zeitpunkt und Regelmässigkeit der Dokumentation variieren und nicht alle Daten sind in einem einheitlichen Format exportierbar. Zudem hängt die Datenqualität stark von der internen Dokumentationspraxis ab. Um diese Herausforderungen anzugehen, hat die BFH zusammen mit dem ANQ ein nationales Pilotprojekt gestartet. Dabei wurden mit Verteter*innen aus den Spitälern und dem technischen Umsetzungspartner «w hoch 2 GmbH» Vorgaben zur Nutzung der KIS-Daten formuliert. Aktuell testen rund 70 Spitäler freiwillig die Umsetzbarkeit und Vollständigkeit der Vorgaben. Die Ergebnisse werden zeigen, ob die Nutzung von KIS-Daten für nationale Qualitätsmessungen tragfähig ist. Falls dies zutrifft, wäre eine Ausweitung auf weitere Qualitätsindikatoren wie Mangelernährung oder freiheitsbeschränkende Massnahmen denkbar. 

Bereits heute ist jedoch klar: Eine solide Datengrundlage war und wird auch in Zukunft wichtig sein, um die Patient*innensicherheit im Spital zu verbessern – und so dazu beizutragen, dass die eingangs beschriebene Situation in Zukunft möglichst vermieden werden kann.
 

Neue Wege im Gesundheitswesen

Das Schweizer Gesundheitssystem steht vor Herausforderungen, die mutige neue Wege erfordern. In einer Reihe von Beiträgen präsentieren wir Forschungsprojekte der Berner Fachhochschule, die praxisorientierte Lösungen entwickeln – von innovativen Versorgungsmodellen über digitale Assistenzsysteme bis hin zu nachhaltigen Finanzierungsansätzen.

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