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Geburt 3000: Die Geburtshilfe neu denken

25.03.2025 Der Forschungsstand zeigt: Mütter sind mit hebammengeleiteten Geburten zufriedener, doch ausserklinische Geburten stagnieren in der Schweiz. Geburt 3000 will dies ändern – mit neuen Kooperationsformen zwischen klinischer und ausserklinischer Geburtshilfe, die Frauen und Familien echte Wahlfreiheit bieten.

Das Wichtigste in Kürze

  • In der Schweiz gebären nur gerade 4 von 100 Frauen in einem ausserklinisch-hebammengeleiteten Setting.
  • Geburt 3000 will dies ändern und die Geburtshilfe neu denken: durch die Zusammenarbeit zwischen ausserklinischer hebammengeleiteter und klinischer Geburtshilfe.
  • Kernstück des Pilotprojekts sind Geburtspavillons, die direkt auf dem Gelände des Partnerspitals stehen, von den Hebammen aber autonom betrieben werden.

Nur gerade 4 von 100 Frauen in der Schweiz gebären in einem ausserklinisch-hebammengeleiteten Setting. Und das, obwohl Frauen mit einem tiefen Risikoprofil mit einer hebammengeleiteten Geburt zufriedener sind und bessere mütterliche Outcomes haben, wie wissenschaftliche Studien zeigen (Scarf et al. 2018, Sandall et al., 2024). Warum entscheiden sich dennoch rund 95 Prozent der Frauen für das Spital als Geburtsort? Einer der Gründe dürfte im fehlenden Angebot liegen: Oft befinden sich die Geburtshäuser zu weit von den Wohnorten der Frauen entfernt (Rauch et al., 2022). «Die Frauen haben somit nicht wirklich eine Wahlfreiheit. Sie entscheiden sich oft für eine klinische Geburt, auch wenn sie eigentlich ein ausserklinisches Setting bevorzugt hätten», so Dr. Eva Cignacco, Mitglied des Projektteams Geburt 3000 und Dozentin an der BFH. Hinzu kommt, dass gut aufbereitete Informationen zur ausserklinischen Versorgung weitgehend fehlen. Ein weiterer Grund, warum sich Frauen häufig für eine Geburt im Spital entscheiden, ist das Gefühl der Sicherheit. Für viele Frauen ist das Spital der Ort, an dem sie bei Komplikationen die notwendige medizinische Versorgung erhalten.

Ausserklinische und klinische Geburtshilfe Hand in Hand

Für die beiden Initiantinnen des Pilotprojekts Geburt 3000, Renate Ruckstuhl-Meier und Eva Cignacco, ist klar: Um die Wahlfreiheit von Frauen und Familien zu erhöhen, braucht es neue Formen der Zusammenarbeit zwischen inner- und ausserklinischer Geburtshilfe. Kernstück des Projekts sind hebammengeleitete Geburtspavillons, die auf dem Gelände eines Partnerspitals entstehen. Durch die Nähe des Geburtspavillons zum Spital wird zum einen die Erreichbarkeit begünstigt und zum anderen das Sicherheitsbedürfnis der Frauen erfüllt. Das Resultat: echte Wahlfreiheit für Gebärende ohne Angst vor Unterversorgung.

Geburt 3000
So könnte ein Geburtspavillion aussehen (Quelle: Geburt 3000)

Die Geburtspavillons werden autonom von Hebammenteams betrieben, Geburt 3000 und das Partnerspital gehen jedoch eine strategische Allianz ein und stehen in engem Austausch. Die ausserklinische und die klinische Geburtshilfe stehen somit nicht länger in Konkurrenz, sondern pflegen eine enge Kooperation und lernen voneinander.

Das Gesunde soll im Zentrum stehen

Geburt 3000 will aber noch in einem anderen Bereich neue Wege gehen: Die Salutogenese soll als zentrales Prinzip in die unterschiedlichen Bereiche einfliessen. «Mit Geburt 3000 wollen wir den Fokus primär weg vom Kranken hin zum Gesunden legen», erläutert Projektleiterin Renate Ruckstuhl-Meier den Ansatz. «Wir gehen im Grundsatz von gesunden Schwangerschaften und normalem Gebären aus.» Dies soll sich zum einen in der Betreuung der Schwangeren und ihrer Familien widerspiegeln, die nach den Grundsätzen der Salutogenese erfolgen soll. Zum anderen werden die Geburtspavillons nach salutogenetischen Ansätzen geplant und gebaut. Nutzer*innenorientiert und nach den Grundsätzen der «healing architecture» erstellt, sollen die Pavillons Geborgenheit und Sicherheit vermitteln und den Geburtsprozess positiv unterstützen. «Oft wird bei neu gebauten Geburtsräumen im Spitalumfeld kaum auf die Bedürfnisse der Gebärenden eingegangen, mit Geburt 3000 wollen wir das ändern und die Architektur nach den Gebärenden ausrichten, nicht umgekehrt», wie Eva Cignacco erklärt.

Die Initiantinnen

die initiantinnen

Renate Ruckstuhl-Meier (rechts) ist Hebamme mit einem MBA in Health Services Management. Als Gründerin einer Hebammenpraxis und ehemalige CEO des Geburtshaus Terra Alta bringt sie viel unternehmerische Erfahrung in das Projekt ein.

Prof. Dr. Eva Cignacco (links) ist Hebamme und unterrichtet an der Berner Fachhochschule (BFH). Sie ist die erste Hebamme der Schweiz mit Doktorat und Habilitation.

Wissenschaftliche Validierung

Das gesamte Projekt wird begleitet von Wissenschaftler*innen der Berner Fachhochschule (BFH), um Erkenntnisse festzuhalten und einen integrativen Lernprozess in Gang zu setzen. Gelerntes soll evaluiert und validiert werden, um es anschliessend wieder in den Betrieb einfliessen zu lassen. Zudem ist die BFH beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, um die hebammengeleitete Geburtshilfe in der Weiterbildung zu stärken. Der CAS «Hebammengeleitete Geburtshilfe» wird ab September 2026 belegbar sein und verbindet theoretische Ansätze mit Praktika in Einrichtungen der ausserklinischen Geburtshilfe.

Geburtshilfe nachhaltig verändern

Geburt 3000 setzt an unterschiedlichen Ansatzpunkten an, um die Geburtshilfe in der Schweiz nachhaltig zu verändern: von der Betreuung der Gebärenden, über die wissenschaftlich fundierte und validierte Aus- und Fortbildung der Hebammen bis hin zur «healing architecture» der geplanten Geburtspavillons. Die Geburtshilfe soll in ihrer ganzen Vielfalt betrachtet und weiterentwickelt werden mit dem Ziel, das hebammengeleitete ausserklinische Versorgungsangebot für alle zugänglich und leicht erreichbar zu machen. Finanziert wird das Pilotprojekt durch Stiftungen. Aktuell laufen vielversprechende Verhandlungen mit einem ersten Partnerspital, mit dem demnächst eine Absichtserklärung unterschrieben wird. Mit zwei weiteren Partnerspitälern sind bereits sehr konkrete Gespräche im Gang. Es ist geplant, den ersten Pavillon Anfang 2027 in Betrieb zu nehmen.

Autorin: Sabine Graf, Casalini

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