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«Physiotherapeut*innen sollten sich auf allen Ebenen vernetzen»

23.01.2025 Für Master-Studierende Physiotherapie mit Schwerpunkt «Professionsentwicklung» ist das Verständnis von politischen und ökonomischen Zusammenhängen im Gesundheitswesen wichtig. Warum dieses Wissen so wertvoll ist und wie Physiotherapeut*innen aktiv die Zukunft ihrer Profession gestalten können, erklärt Marcel Widmer, Leiter des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan).

Das Wichtigste in Kürze

  • Für Marcel Widmer ist ein fundiertes Verständnis der politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen essenziell, um die Herausforderungen des Gesundheitssystems zu bewältigen und eigene Lösungsansätze zu entwickeln.
  • Der demografische Wandel erhöht laut Widmer den Bedarf an physiotherapeutischen Leistungen, verschärft den Fachkräftemangel und stellt Fragen zu Finanzierung, Arbeitsbedingungen, Digitalisierung und ambulanter Versorgung in den Fokus.

  • Marcel Widmer betont die Bedeutung einer stärkeren Vernetzung von Physiotherapeut*innen und die Förderung der evidenzbasierten Forschung, um eine bestmögliche Versorgung von Patient*innen zu gewährleisten.

Marcel Widmer im Gespräch
Marcel Widmer unterrichtet im Master-Studium Physiotherapie zu den Themen Gesundheitspolitik und -ökonomie.

Herr Widmer, warum sind Gesundheitspolitik und -ökonomie für Studierende des MSc Physiotherapie wichtig?

Dem Gesundheitssystem begegnen aktuell zahlreiche Heraus-forderungen: Steigende Kosten, Fachkräftemangel, Alterung der Gesellschaft und viele mehr. Um diese zu verstehen und die eigene Rolle im System zu erfassen, ist ein Verständnis von Politik und Ökonomie nötig. Erst wenn man diesen Kontext kennt, kann man sich den Herausforderungen stellen und eigene Lösungsansätze formulieren. Dabei können verschiedene Perspektiven eingenommen werden, vom Professional, der beispielsweise als Physiotherapeut arbeitet, bis zur Forscherin, die eine evidenzbasierte Forschung anstrebt, um die Versorgung zu optimieren.

Um die eigene Rolle im Gesundheitssystem zu erfassen, ist ein Verständnis von Politik und Ökonomie nötig.

Marcel Widmer
Marcel Widmer Leiter Obsan und Sozialwissenschaftler

Zur Person: Marcel Widmer

Portraitbild Marcel Widmer

Marcel Widmer ist der Leiter des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan). Er studierte Erziehungswissenschaften und Soziologie in Bern und Freiburg und war vor seiner Tätigkeit am Obsan mehrere Jahre in der Gesundheits-versorgungsforschung tätig. Er unterrichtet im Modul «Gesundheitspolitik und -ökonomie» für Master-Studierende Physiotherapie mit dem Schwerpunkt Professionsentwicklung. Bei diesem Schwerpunkt lernen die Studierenden, die Rolle der Physiotherapie im Gesundheitssystem zu verorten und erwerben Kompetenzen, um die Professionalisierung in Forschung und Lehre sowie für erweiterte Aufgaben in der Klinik zu entwickeln.

Welche Herausforderungen sehen Sie besonders für die Physiotherapie?

Die Physiotherapie ist von den gleichen Herausforderungen wie das ganze Gesundheitssystem betroffen. Durch die demografische Alterung der Gesellschaft wird der Bedarf an physiotherapeutischen Leistungen in den nächsten Jahren stark ansteigen. Der Fachkräftemangel wird sich darum noch verschärfen. Dazu kommen Fragen um die Finanzierung, die Arbeitsbedingungen, die Digitalisierung oder die ambulante Versorgung.

Wie integrieren Sie aktuelle Trends der Gesundheitspolitik in Ihre Lehrinhalte?

In diesem Modul orientiere ich mich stark an den nationalen und kantonalen gesundheitspolitischen Strategien und den aktuellen politischen Anliegen. Zudem erachte ich die Grundlagen der Versorgungsforschung als wichtig, um aufzuzeigen, wie politische Entscheide auf wissenschaftliche Erkenntnisse abgestützt – zum Beispiel auf den Daten und Studien des Schweizerischen Gesundheits-observatoriums (Obsan) – werden können. Entsprechend versuche ich, diese Grundlagen zu thematisieren, kritisch zu beleuchten und zu diskutieren. Der Diskurs darüber ist genauso wichtig wie die Erkenntnisse, die diese Studien erarbeitet haben. Dadurch können Studierende ein Verständnis für die aktuellen Herausforderungen im Gesundheitssystem entwickeln und ihre Rolle im sich wandelnden Gesundheitswesen stärken.

Physiotherapeut*innen sollten sich auf allen Ebenen vernetzen und «à jour» bleiben.

Marcel Widmer
Marcel Widmer Leiter Obsan und Sozialwissenschaftler

Wer sind die wichtigsten Akteure im Gesundheitswesen für die Physiotherapie?

Neben den Regulatoren wie dem Bundesamt für Gesundheit BAG und den Kantonen sind natürlich die Versicherer wichtige Akteure, wenn es um die Finanzierung geht. Bei der Behandlung der Patient*innen stehen aber die Spitäler und Kliniken sowie die Arztpraxen und Hausärzt*innen im Vordergrund. Diese Zusammenarbeit ist relevant für eine erfolgreiche Therapie. Auf organisatorischer Ebene sind aber auch der Berufsverband und die Aus- und Weiterbildungsstätten wichtige Stützen für die Weiterentwicklung des Berufs.

Wie genau können MSc-Absolvent*innen die Rolle der Physiotherapie im Gesundheitswesen stärken und weiterentwickeln?

Eine gewisse wissenschaftliche Basis und ein Verständnis für die Reflexion des eigenen Handelns erscheinen mir wichtig. Immer bedeutender wird auch die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen. Wenn Patient*innen im Mittelpunkt der Versorgung stehen sollen, kann sich eine physiotherapeutische Praxis nicht losgelöst von den anderen Institutionen des Gesundheitswesens verstehen. Diese Einbindung in das Gesundheitssystem ist wichtig und erweitert den Blick auf das Wesentliche der Physiotherapie.

Physiotherapeut*innen sollten sich auf allen Ebenen vernetzen und «à jour» bleiben: aktive Mitarbeit im Berufsverband, gesundheitspolitische Aktivitäten, Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit, Beteiligung an evidenzbasierter Forschung. Wichtig ist die optimale Versorgung der Patient*innen. Wie diese optimale Versorgung aussieht, entwickelt sich ständig weiter.

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