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Mit Chatbot Kinderrechte umsetzen. Die praxisnahe Plattform «kidlex»
18.03.2025 Heute wird kidlex lanciert, eine innovative Online-Plattform, die Fachpersonen bei der Umsetzung der Kinderrechte im Betreuungsalltag unterstützt. Die BFH entwickelt im Auftrag von Youvita praxisnahe Beispiele für kidlex. Dozentin Regina Jenzer, Projektleiterin der BFH, erläutert Ziele, Herausforderungen und Anwendungsmöglichkeiten des Kinderrechtsnavigators.
Das Wichtigste in Kürze
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Die Plattform kidlex verbindet theoretisches Wissen zu Kinderrechten mit praxisnahen Materialien und einem Chatbot, der Fachpersonen direkt im Alltag unterstützt.
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Die BFH hat über 70 praxisorientierte Fallbeispiele entwickelt, welche konkrete Situationen und Herausforderungen rund um Kinderrechte abbilden.
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Optimal eignet sich kidlex auch für den Einsatz in der Aus- und Weiterbildung und stärkt dadurch nachhaltig die praktische Umsetzungskompetenz von Fachpersonen.
Was genau ist kidlex und was zeichnet diese Plattform aus?
Regina Jenzer: Das Online-Tool ist eine speziell für Fachpersonen entwickelte Online-Plattform, die in Einrichtungen der ausserfamiliären Betreuung wie Kitas, Tagesschulen oder Kinder- und Jugendinstitutionen eingesetzt werden kann. Auch für Aus- und Weiterbildungsinstitutionen von Fachpersonen der Kinderbetreuung ist kidlex nützlich. Die Plattform zeichnet sich durch die «Übersetzung» von theoretischem Wissen über die UN-Kinderrechtskonvention und die einzelnen 54 Kinderrechte in praktische Arbeitsmaterialien und konkrete Umsetzungshilfen aus. Eine Besonderheit ist ein innovativer Chatbot, der direkte und praxisorientierte Antworten zu Fragen rund um die Kinderrechte liefert.
Warum war die Entwicklung einer Plattform wie kidlex notwendig?
In der Praxis zeigt sich, dass Fachpersonen oft Schwierigkeiten haben, theoretisches Wissen über die Kinderrechte auf konkrete Situationen im Alltag anzuwenden. Häufig tangiert eine Alltagssituation auch verschiedene Kinderrechte gleichzeitig, was eine Abwägung der betroffenen Rechte notwendig macht. Die Plattform sensibilisiert Fachpersonen für Kinderrechte und erleichtert die praktische Umsetzung der Kinderrechte im Betreuungsalltag. Mit kidlex werden Kinderrechte in der Praxis tatsächlich gelebt.
Mit kidlex werden Kinderrechte in der Praxis tatsächlich gelebt.
Welche Rolle spielte die BFH konkret bei der Entwicklung von kidlex?
Die BFH erhielt von Youvita den Auftrag, praxisrelevante Beispiele zur Umsetzung von Kinderrechten im Betreuungsalltag zu entwickeln. Im Rahmen dieses Projekts entstanden über 70 authentische Fallbeispiele, die unterschiedliche Betreuungskontexte abdecken. Zu jedem Beispiel wurden spezifische Reflexionsfragen entwickelt, die Fachpersonen helfen, verschiedene Herausforderungen rund um Kinderrechte zu reflektieren. Die Antworten auf diese Fragen können dann mit Hilfe des Chatbots beantwortet werden. Eine solche konkrete Herausforderung im Betreuungsalltag ist beispielsweise, einerseits das Recht auf Privatsphäre der Kinder zu wahren und andererseits den Schutz vor digitalen Übergriffen zu gewährleisten (Anmerkung der Redaktion: Dieses und zwei weitere Beispiele finden Sie in den Info-Boxen).
Infobox 1: Privatsphäre und problematische Inhalte auf dem Smartphone
In einem Schulheim ist es laut Medienkonzept den Kindern im Alter von 10 bis 12 Jahren erlaubt, ein Smartphone zu besitzen. Gemäss Konzept werden die Inhalte auf den Smartphones, wie Social-Media-Posts oder Webseiten, wöchentlich gemeinsam mit den Kindern überprüft und besprochen. Zum Schutz der Privatsphäre der Kinder (Art. 16 UN-KRK) ist es im Medienkonzept nicht vorgesehen, dass Betreuungspersonen die Inhalte eigenständig kontrollieren. Diese Verantwortung liegt bei den Eltern. Gleichzeitig ist das Schulheim jedoch auch verpflichtet, Kinder vor Übergriffen zu schützen (Recht auf Schutz vor Misshandlung, Art. 19 UN-KRK). Nun beobachten Bezugspersonen, dass auf den Smartphones problematische Inhalte auftauchen, was die Frage aufwirft, ob das Medienkonzept dahingehend angepasst werden kann, dass einerseits die Privatsphäre der Kinder gewahrt bleibt und gleichzeitig die Kinder vor den Risiken im digitalen Raum geschützt werden können. Anhand dieses Fallbeispiels ist zu erkennen, dass in der Praxis manchmal auch die Anwendung verschiedener Kinderrechte gegeneinander abgewogen werden muss. Es stellt sich dabei die Frage, inwiefern es möglich ist, diese verschiedenen Rechte miteinander in Einklang zu bringen.
Wie sind Sie bei der Entwicklung dieser Praxisbeispiele vorgegangen?
Wir haben insgesamt sechs Workshops durchgeführt, in denen Fachpersonen aus verschiedenen Betreuungseinrichtungen teilnahmen. Die Teilnehmenden erhielten zunächst eine Einführung in die rechtlichen Grundlagen der UN-Kinderrechtskonvention. Anschliessend wurden gemeinsam konkrete Alltagssituationen diskutiert. Diese Diskussionen waren Basis für die Erarbeitung der konkreten Praxisbeispiele. Ziel war es, möglichst vielfältige und realitätsnahe Szenarien zu identifizieren, um die verschiedenen Kinderrechte praxisnah und verständlich abzubilden.
Ziel war es, möglichst vielfältige und realitätsnahe Szenarien zu identifizieren, um die verschiedenen Kinderrechte praxisnah und verständlich abzubilden.
Welche Herausforderungen haben sich bei der Erstellung dieser Beispiele ergeben?
Eine wesentliche Herausforderung bestand darin, die Komplexität der 54 Artikel der UN-Kinderrechtskonvention so zu reduzieren, dass praxisnahe, verständliche und zugleich realistische Beispiele entstehen um Handlungskompetenzen bei Fachpersonen effektiv zu fördern. Zudem mussten die Beispiele die unterschiedlichen Betreuungssettings sowie Alters- und Entwicklungsphasen der Kinder berücksichtigen.
Infobox 2: Strukturelle Bedingungen und Kinderrechte
Eine Herausforderung in Zusammenhang mit der Umsetzung der Kinderrechte im Praxisalltag bilden teilweise auch strukturelle Gegebenheiten von Betreuungseinrichtungen. Auch hierzu ein Beispiel:
Eine 12-jähriges Mädchen, das in einer Institution für Kinder mit körperlichen Beeinträchtigungen lebt, besucht einmal wöchentlich ein therapeutisches Schwimmen im örtlichen Hallenbad. Das Hallenbad verfügt über eine Garderobe für Personen mit Behinderungen. Diese ist abgesondert von den geschlechtergetrennten regulären Garderoben und ist grösser als die anderen Garderoben. Das Mädchen benötigt Unterstützung beim Umziehen und wird deshalb jeweils von einer Betreuungsperson in die Garderobe begleitet. Nun äussert das Mädchen den Wunsch, sich wie die anderen Kinder in den regulären, geschlechtergetrennten Garderoben umzuziehen. Dies stellt ein Problem für das Betreuungsteam dar, da in diesem Fall jeweils eine weibliche Betreuungsperson begleiten müsste, was aufgrund der aktuellen Personalzusammensetzung nicht realisierbar ist. In diesem Fallbeispiel stellt sich für die Institution die Herausforderung, unter den aktuellen personellen Bedingungen gleich mehreren Kinderrechten gerecht zu werden: dem Recht auf diskriminierungsfreies Aufwachsen (Art. 2 Abs. 1 und 2 UN-KRK), dem Recht auf Förderung von Kindern mit Behinderungen (Art. 23 UN-KRK) sowie auch dem Recht auf Schutz der Privatsphäre (Art. 16 UN-KRK).
Wie kann kidlex konkret in der Aus- und Weiterbildung eingesetzt werden?
Hervorragend eignet sich kidlex für den Einsatz in Studiengängen der Sozialen Arbeit sowie in Aus- und Weiterbildungen für Fachpersonen der Kinderbetreuung. Dozierende können die entwickelten Praxisbeispiele nutzen, um Diskussionen und Reflexionen anzuregen. Auch können sie den Chatbot beiziehen, um Unterrichtseinheiten zu Kinderrechten vorzubereiten. Studierende und Fachpersonen profitieren dadurch von einem praxisnahen und vertieften Verständnis für die Umsetzung der Kinderrechte. So trägt kidlex entscheidend dazu bei, die Kompetenz zur praktischen Umsetzung der Kinderrechte im beruflichen Alltag zu stärken.
Infobox 3: Rechte der Kinder gegenüber den Rechten der Eltern abwägen
Manchmal sind Betreuungseinrichtungen auch vor die Herausforderung gestellt, die Rechte der Kinder gegenüber den Rechten der Eltern abzuwägen:
Eine Tagesschule plant im Rahmen eines kulturellen Ausflugs eine Ausstellung zum Thema LGBTQIA+ zu besuchen. Die Kinder zeigen sich sehr interessiert an diesem Thema. Als die Tagesschule die Eltern über den Anlass informiert, melden sich gleich mehrere Eltern, dass sie nicht möchten, dass ihre Kinder die Ausstellung besuchen und fordern die Tagesschule auf, ein Alternativprogramm anzubieten. Die Tagesschule ist unsicher, inwiefern sie den Kinderrechten auf Förderung der Persönlichkeitsentwicklung (Art. 29 UN-KRK), auf Zugang zu umfassenden Informationen über gesellschaftliche Vielfalt (Art. 17 UN-KRK) und gleichzeitig den Anliegen der Eltern gerecht werden kann.