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Belastendes unterhaltsam thematisieren: Das Lebensende als Stadtrundgang
27.01.2025 Wie kann man die Bevölkerung für Fragen am Lebensende sensibilisieren? Schliesslich ist das Sterben für viele ein belastendes Thema, mit dem sie sich ungern auseinandersetzen. Diese Frage stellten sich auf Sterben, Tod und Trauer spezialisierte Fachorganisationen, die in Bern ein Stadtfestival zum Thema Endlichkeit organisierten. Als Resultat entstanden von BFH-Studierenden entwickelte Stadtrundgänge.
Das Wichtigste in Kürze
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Im Herbst 2024 fand in Bern unter dem Motto «endlich.menschlich» erstmals ein Stadtfestival mit rund 100 Veranstaltungen zu den Themen Sterben, Tod und Trauer statt. Ziel war es, die Auseinandersetzung mit dem Lebensende zu fördern und eine lebendige Sterbekultur zu stärken.
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Studierende entwickelten Stadtrundgänge: Im Rahmen von Projekten der BFH entstanden zwei innovative Stadtrundgänge – ein klassisch geführter Rundgang «Leben im Blick, Ende in Sicht» und ein audiovisueller Spaziergang «Kaugummi, Abschied, Klebstreifen». Beide setzen sich informativ und kreativ mit Fragen der Endlichkeit auseinander.
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Die Zusammenarbeit von Palliative-Care-Organisationen, dem Verein StattLand und BFH-Studierenden brachte vielfältige Perspektiven ein. Sie kombinierten historische, kulturelle und praktische Ansätze, um das Thema Lebensende auf niedrigschwellige Weise zu vermitteln.
In Bern hat im Herbst 2024 erstmalig ein Stadtfestival zum Thema Lebensende stattgefunden. Unter dem Motto «endlich.menschlich» wurden über die ganze Stadt verstreut rund hundert Anlässe mit Bezug zu Sterben, Tod und Trauer angeboten. Man konnte Särge bauen, an Buchvernissagen teilnehmen, es gab Konzerte und Jenseits- oder Death-Cafés. Hinter dem Anlass standen Organisationen, die sich seit Jahren für eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Lebensende und für eine lebendige Sterbekultur in Bern einsetzen. Der Verein «endlich.menschlich» wurde eigens für das Stadtfestival gegründet. Mit dabei waren auch der Verein «Bärn treit» und BFH-Dozentin Claudia Michel. Das Festival, das einen internationalen Kongress rahmte, bezweckte, die Öffentlichkeit für eine bewusste Auseinandersetzung mit Fragen zum Lebensende zu sensibilisieren.
Gemeinsam Praxisprojekte umsetzen
Überlegen auch Sie sich, mit unseren Studierenden ein Projekt zu entwickeln? Die Möglichkeiten sind vielfältig: Einen Raum partizipativ umgestalten, ein neues Konzept für ein Angebot erstellen oder Workshops zu nachhaltigen Themen veranstalten – dies könnten mögliche Praxisprojekte sein, die unsere Studierenden zusammen mit Ihnen bearbeiten.
Klingt das interessant für Sie? Mit einem Praxis-projekt ermöglichen Sie unseren Studierenden, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, und unterstützen Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Nehmen Sie mit den Autorinnen Kontakt auf oder reichen Sie direkt Ihre Projektskizze ein. Weitere Informationen finden Sie unter nachfolgendem Link:
Studentische Projekte
Sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen, belastet und ängstigt viele Menschen. Wie konnte die BFH als Teil des Organisationskomitees einen Beitrag leisten, um das Thema auf leichte und informative Weise zu vermitteln? Die Herausforderung – aber auch die Lösung – lag darin, diejenigen Informationen zum Lebensende ausfindig zu machen, die für die Öffentlichkeit besonders relevant waren und für die Wissensvermittlung eine attraktive Form zu bestimmen. Die involvierten Akteur*innen tauschten sich untereinander aus. Dabe entstand die Idee, einen Stadtrundgang zu entwickeln und diesen als Projektarbeit für Studierende auszuschreiben. Dazu wurde auch der Kontakt zum Verein StattLand gesucht, der in Bern für sein thematisches Stadtrundgangangebot bekannt ist. Mit Erfolg: Die Ausschreibung von Projektarbeiten an den Departementen Soziale Arbeit und an der Hochschule der Künste HKB erfolgte im Sommer 2023.
Und sie traf auf Resonanz: Drei Studierende des Bachelors Soziale Arbeit und drei Studierende des Masters Art Education nahmen die Herausforderung an und formierten sich zu Teams. Eingebettet in ihre Studiengänge – in der Sozialen Arbeit im Rahmen der Module zu Praxisprojekten, an der HKB im Rahmen von Vermittlungsprojekten – tauschten sich die Teams regelmässig aus und unterhielten sich über ihre disziplinspezifischen Zugangsweisen. Daraus entstanden zwei Rundgänge: ein klassisch geführter Rundgang, der sich ins Angebot von StattLand einfügt, sowie ein Audiowalk.
Beteiligte Studierende
Soziale Arbeit:
Annabelle Marchand, Özge Uduan und eine weitere Studentin
HKB:
Arianna Camilla de Angelis Effrem, Sheoban Lea Frieda Hope, Benjamin Heller
«Leben im Blick, Ende in Sicht»
Der klassische Rundgang mit dem Titel «Leben im Blick, Ende in Sicht» führt von der Münsterplattform, einem ehemaligen Friedhof, bis zum Berner Generationenhaus, das auch Pflegeheim und somit ein Sterbeort ist. Er thematisiert den raschen Wandel der Lebenserwartung innerhalb eines Jahrhunderts. Noch 1900 lag die Lebenserwartung deutlich unter fünfzig Jahren, während sie heute fast doppelt so hoch bei weit über achtzig Jahren liegt. Man erfährt von Kuriositäten, etwa von Sicherheitssärgen im 19. Jahrhundert: Diese wurden konstruiert, weil die Menschen eine geradezu panische Angst davor hatten, lebendig begraben zu werden. Man vernimmt aus der Literatur die Sorgen, die Menschen gegenwärtig umtreiben. Angesprochen werden auch die Möglichkeiten von Vorsorgeaufträgen und Patient*innenverfügungen oder die neusten Bestimmungen rund ums Lebensende, wie die Einführung der Widerspruchslösung, die ab 2026 eine Dokumentation erfordert, wenn man nach dem Tod keine Organe spenden will.
Verweise auf Innovationen fehlen nicht, zum Beispiel auf das Berner Bestattungsvelo, das den Sarg per Fahrrad zum Friedhof oder ins Krematorium bringt. Insgesamt bietet der Rundgang ein informatives, anregendes Programm, das kulturelle ebenso wie persönliche Fragen anzusprechen vermag.
«Kaugummi, Abschied, Klebstreifen»
Der Audiowalk «Kaugummi, Abschied, Klebstreifen – ein Audiowalk zur Annäherung an das Lebensende» lädt zu einer spielerisch-sinnlichen Auseinandersetzung mit dem Lebensende ein. Der Walk dauert etwa eine Stunde. Interessierte können die App guidemate herunterladen und sich dann mit Smartphone und Kopfhörer individuell auf den Weg machen. Die Tour führt von der Grossen Schanze oberhalb des Bahnhofs bis zur Bundesterrasse. Unterwegs hört man Fachpersonen oder Erfahrungsberichten zu und wird angeleitet, dem Lebendigen im eigenen Körper nachzuspüren. Der Tod und das Leben werden in Stimmen, Musik und Klängen auf berührende Weise zum Ausdruck gebracht.
Die Studierenden erlebten die Ausarbeitung der Rundgänge als herausfordernde, aber auch als bereichernde Aufgabe. Im Netzwerk der Organisationen, die unterstützten und unterschiedliche Erwartungen herantrugen, waren sie gefordert, stets die Bedürfnisse der künftigen Rundgangsbesucher*innen im Blick zu behalten. Auch die unterschiedlichen Schwerpunkte, die Anforderungen und Rhythmen der Studiengänge erwiesen sich als Hürden für die Zusammenarbeit. Deshalb entschieden sich die Teams, zwei separate Rundgänge statt eines gemeinsamen zu entwickeln, wie es ursprünglich geplant war. Die Studierenden erlebten die Projektarbeit aber auch als Bereicherung. Sich in ein neues Thema einzuarbeiten, zu recherchieren und Inhalte zu visualisieren, hatten sie im Rahmen des Studiums schon oft eingeübt. Speziell an der Projektarbeit war aber, mit Tontechnik zu arbeiten, eine Route in der Stadt auszulegen, den Rundgang den räumlichen Gegebenheiten entsprechend inhaltlich zu gestalten oder mit Führungen an der eigenen Auftrittskompetenz zu arbeiten.
Eine Projektarbeit mit Gewicht
Ein besonderes Gefühl der Ernsthaftigkeit vermittelte auch der Auftrag, waren die Studierenden doch nicht nur in eine studentische Übung eingebunden, sondern erschufen ein reales Angebot für eine Organisation und letztlich für die gesamte Berner Bevölkerung. Auch die Auseinandersetzung mit dem Thema Lebensende wurde als bereichernd erlebt, wie Annabelle Marchand, eine studentische Teilnehmerin sagte: «Am meisten beeindruckt hat mich die Erkenntnis – und das haben fast alle Teilnehmenden der Rundgänge so empfunden —, dass es wichtig ist, sich auf die eigene positive Lebensbilanz zu konzentrieren, Freude an den eigenen Handlungen zu haben, Zeit mit geliebten Menschen zu verbringen und Belastendes nicht im Raum stehen zu lassen.»
StattLand, der auf thematische und szenische Rundgänge spezialisierte Verein, arbeitete zum ersten Mal mit der BFH und einem Kreis von Palliative-Care-Organisationen zusammen. Die Zusammenarbeit war geprägt vom gemeinsamen Anliegen, die mit belastender Trauer, Schmerz und Verdrängung verbundenen Themen Sterben und Tod auf niederschwellige, gar leichte Weise zu thematisieren. Die Beteiligten ergänzten sich dabei ideal: Die Palliative-Care-Organisationen steuerten Informationen zu Entscheidungen am Lebensende und Wissen über den Sterbeprozess bei, StattLand die Werkzeuge rund um die Erarbeitung eines Stadtrundgangs, der auf unterhaltsame Weise Wissen vermitteln kann, und die BFH fokussierte auf den Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis.
Mit dem Bezug auf kulturelle Erzeugnisse aus Kunst und Literatur gelang es, belastende Gefühle zu ästhetisieren, durch die historische Perspektive auf das Lebensende wurde Distanz zum eigenen Empfinden hergestellt. Die Studierenden prägten ihrerseits den Rundgang, weil sie selbstreflexive Momente einbauten, die das Denken über die eigene Endlichkeit und die damit einhergehenden Entscheidungen anregten. Für StattLand bot die Zusammenarbeit die Chance, sich gemeinsam einem sonst oft tabuisierten Thema zu widmen, was im Alleingang unmöglich gewesen wäre. So schätzte Andrea Filippi, Co-Geschäftsleitung von StattLand, besonders «die Perspektiven der Studierenden, die mit dem Projektteam von StattLand ein generationenübergreifendes Zusammenarbeiten und den Einbezug ganz unterschiedlicher Lebensrealitäten ermöglichten».
Angebot für die Berner Bevölkerung
Der Rundgang «Leben im Blick, Ende in Sicht» wird in den nächsten Jahren fester Bestandteil des Programmangebots von StattLand sein, der Audiowalk «Kaugummi, Abschied, Klebstreifen» steht über die App guidemate jederzeit für den Download zur Verfügung. Ob das Angebot das Berner Publikum aber langfristig erreicht, wird sich erst noch zeigen. An der Premiere am Stadtfestival «endlich.menschlich» waren die Rundgänge gut besucht – ein ermutigender Start.
Die Rundgänge sprechen Menschen an, die sich berufshalber mit Sterben, Tod und Trauer beschäftigen und gerne einen frischen Blick auf das Thema werfen möchten. Es sind Mitarbeiter*innen in Pflegeheimen, Spitälern oder im Bestattungswesen, kirchliches Personal oder Verwaltungsangestellte, die in ihrem Alltag Menschen durch sozial-administrative Abläufe hindurch begleiten. Die Rundgänge sind aber auch für alle Personen interessant, die sich mit Entscheidungen in der letzten Lebensphase und Fragen der Endlichkeit befassen möchten und die offen sind für einen Impuls zu einem Thema, das uns früher oder später alle betrifft.
Den Abschlusskompetenzen auf der Spur
Wer den Bachelor in Sozialer Arbeit absolviert, ist nach Abschluss des Studiums in zwölf professionellen Handlungskompetenzen fit (Kompetenzprofil). In verschiedenen Beiträgen gehen wir in den nächsten Monaten den Fragen nach, was unter diesen Kompetenzen zu verstehen ist, wie sich das «Kompetent-sein» in den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit zeigt und wie es durch die enge Verzahnung von Hochschulsemestern und Praxisausbildung gelingt, den Kompetenzerwerb zu unterstützen. Im Fokus dieses Beitrags steht die Projektkompetenz: Bachelor-Absolvent*innen können Projekte mit Partnern planen, durchführen, dokumentieren, kommunizieren und reflektieren.