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Behindertensession 2023: Die Schweiz schreibt Geschichte
27.03.2023 Am Freitag, dem 24. März fand zum ersten Mal die Behindertensession im Bundeshaus Bern statt. 44 Parlamentarier*innen mit einer Behinderung debattierten dabei über politische und gesellschaftliche Teilhabe von Betroffenen. Eine dieser Parlamentarier*innen war Vanessa Grand, Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Partizipative Gesundheitsversorgung der BFH.
Über 200 Kandidat*innen stellten sich zur Wahl, 44 wurden per Online-Voting zu Parlamentarier*innen der ersten Behindertensession im Bundeshaus gewählt. Die 44 Abgeordneten entsprechen 22% der Nationalratssitze. Dies wiederum entspricht statistisch dem Anteil an Menschen mit Behinderungen in der Schweiz.
Engagiert und kämpferisch
2014 hat die Schweiz die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Im vergangenen Jahr erhielt sie jedoch ein schlechtes Zeugnis für die Umsetzung dieser Konvention. Nationalratspräsident Martin Candinas nahm sein Präsidialjahr zum Anlass, Menschen mit Behinderungen eine Stimme zu geben und organisierte gemeinsam mit «Pro Infirmis» die erste Behindertensession.
«Es ist wichtig, richtig und dringend notwendig», begann Vanessa Grand ihre Rede an der Session. Sie sei sich bewusst, dass ihre Behinderung auch gewisse Grenzen aufzeige. Doch es wäre viel mehr möglich – denn der Weg sei das Ziel. Und auf diesem Wege werden Menschen mit Behinderungen durch mangelhafte Gesetze und Regelungen viele Steine in den Weg gelegt. «Warum können Behinderte nicht entscheiden, wann sie am Morgen aufstehen wollen oder wo sie wohnen wollen?», fragt sie die Anwesenden im Nationalratssaal.
Die Stimmung unter den Parlamentarier*innen lässt sich als «engagiert und kämpferisch» beschreiben, verbunden mit einer gewissen Ungeduld. Menschen mit Behinderungen wollen teilhaben, mitreden, mitbestimmen und mitentscheiden. «Nicht über uns, sondern mit uns», lautete eine oft zitierte Aussage im Bundeshaus. Und dass sie sich eine rasche Umsetzung der Behindertenrechtskonvention wünschen, die auch das Recht auf politische Mitbestimmung beinhaltet.
Eine Resolution für politische Teilhabe
An der ersten Behindertensession ging es in erster Linie um diese politische und gesellschaftliche Teilhabe. Es ist längst nicht der Fall, dass alle Menschen, die zum Beispiel im Rollstuhl sitzen, nicht gut sehen oder hören können oder kognitiv beeinträchtigt sind, die Möglichkeit haben, abzustimmen oder zu wählen. Ebenfalls fordern die Parlamentarier*innen, dass Menschen mit Behinderungen stärker in der Politik vertreten sind – von der Gemeinde- bis zur Bundesebene.
«Wir sind da, wir sind bereit, uns einzusetzen und mit und in der Politik mitzuarbeiten», erwähnt Vanessa Grand in ihrer Rede weiter. Nun sei es an der Politik, diese Chance wahrzunehmen und eine Zusammenarbeit anzustreben. Die Parlamentarier*innen haben eine Resolution verfasst, die fordert, Menschen mit Behinderungen stärker in der Gesellschaft einzubeziehen. Diese verlangt unter anderem, dass sie auf allen politischen Ebenen vertreten sind, bis hin zum Bundesrat. Sie verlangt aber auch die Teilhabe in der Gesellschaft. Diskutiert wurden unter anderm Themen wie Hindernisfreiheit und finanzielle Ressourcen. Denn wenn es damit nicht klappt, klappt es auch nicht mit dem Politisieren.
Die Resolution haben die Teilnehmenden an Nationalratspräsident Martin Candinas und Ständeratspräsidentin Brigitte Häberli-Koller überreicht. Nun ist es die Aufgabe der Politiker*innen, diese umzusetzen. Denn eines soll sicher sein: Die erste Behindertensession soll nicht die letzte sein – aber sie ist ein wertvolles Stück Schweizer Geschichte.
«Wir sind da, wir sind bereit, uns einzusetzen und in der Politik mitzuarbeiten!»
Vanessa Grand, Mitarbeiterin des Kompetenzzentrums Partizipative Gesundheitsversorgung und Parlamentarierin an der Behindertensession 2023. Bild: Pro Infirmis