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Das Potenzial urbaner Räume für die Biodiversität
28.08.2024 BFH und Biodiversität: Welches Potenzial steckt in unseren Siedlungen? Wie können wir unseren Siedlungsraum so planen, dass funktionierende Ökosysteme entstehen? Und warum ist dies so wichtig? Daniel Baur, Landschaftsarchitekt und Stadtentwickler an der BFH, liefert Antworten.
Das Wichtigste in Kürze
- Biodiversität ist dann gegeben, wenn Ökosysteme funktionsfähig sind.
- Mit dem Klimawandel droht uns ein ökologischer Kollaps.
- Unser Siedlungsgebiet hat das Potenzial, ein Refugium zu sein für intakte Ökosysteme.
- Dieser Artikel ist Teil einer Serie der Berner Fachhochschule, die im Rahmen der Biodiversitätsinitiative ihre Expertise zum Thema beleuchtet.
Mit Ihrer Firma BRYUM, Büro für urbane Interventionen und Landschaftsarchitektur, sowie in Ihren Vorlesungen an der BFH beschäftigen Sie sich intensiv mit dem Thema Biodiversität. Wie wird Biodiversität in diesem Zusammenhang verstanden?
Biodiversität hat den Vorteil, dass der Begriff mittlerweile sehr bekannt und positiv geprägt ist. Häufig wird der Begriff allerdings mit Artenvielfalt gleichgesetzt und so verstanden, dass das Vorkommen möglichst vieler Arten «gute» Biodiversität bedeutet. In der Planung wird Biodiversität nicht selten als das Abarbeiten vorgegebener quantitativer Elemente gelebt. Es wird zum Beispiel vorgegeben, dass 10% der Grünfläche mit einer Wildhecke bepflanzt werden muss. Biodiversität definiert sich aber nicht durch möglichst viele Arten oder durch quantitative Vorgaben. Biodiversität ist dann gegeben, wenn alle Elemente eines Ökosystems vernetzt und in genügender Grösse vorhanden sind. Für mich als Landschaftsarchitekt bedeutet dies, dass ich ein Quartier als Lebensraum planen muss, der gleichermassen für uns Menschen, wie auch für Pflanzen und Tiere funktioniert.
Welche Bedeutung hat die Biodiversität für Sie?
Biodiversität ist für mich der Kern der Zukunftsfragen. Mit dem rasch voranschreitenden Klimawandel verändern sich zurzeit Temperatur und Niederschlag. Unsere Klimazone verschiebt sich nach Norden. Da die Ökosysteme mit der Flora und Fauna direkt an das Klima gebunden sind, müssten diese ebenfalls mitwandern können. Dies ist jedoch nicht in der Geschwindigkeit möglich. Der einheimischen Flora und Fauna ist das Klima förmlich davongerannt. Im sich nun einstellenden (xerothermen) Klima funktionieren einige Arten nicht und fallen aus. Damit verlieren bislang funktionierende Ökosysteme ihre Funktionsfähigkeit. Bis die neuen klimaentsprechenden Ökosysteme zu uns gewandert sind, droht ein ökologischer Kollaps. Die gute Nachricht: Unser Siedlungsgebiet hat das Potenzial, ein Refugium zu sein für Ökosysteme, welche bereits mit wärmerem und trockenerem Klima funktionieren. Das wird aber meines Erachtens nur funktionieren, wenn wir Ökosysteme in grösseren Massstäben als das einzelne Bauprojekt denken. Dazu braucht es ein Umdenken in der Siedlungsentwicklung. Die Ökosysteme des Siedlungsraums können massgeblich zur Resilienz der «Naturlandschaft» beitragen, indem sie bereits angepasste Artenstrukturen produzieren und ausfallende natürliche Ökosysteme damit revitalisieren oder gar ersetzen.
«Planer*innen sollten eine neue Ethik entwickeln und nicht per se bauen, was gefordert wird.»
Was müssen wir tun, damit dieses Umdenken stattfindet?
Ich sehe hier meine Berufsgattung der Planer*innen in der Verantwortung. Ich bin überzeugt, dass es Lösungen gibt. Dies haben wir in der Vergangenheit auch bereits bewiesen. Ein Beispiel ist der Campus Hoffmann La-Roche in Kaiseraugst, den BRYUM 2018 fertig stellte. Der Auftraggeber wollte ursprünglich einen Park mit englischem Rasen und monokulturellen Baumhainen. Gebaut haben wir eine funktionierende Auenlandschaft, in der der Mensch als Teil des Ökosystems eingesetzt wird. Um Lösungen dieser Art zu finden, ist ein Outside-the-box-Denken gefragt. Dazu braucht es ein grosses, vernetztes Wissen, das über die Disziplinengrenzen hinaus geht. Ich bin der Ansicht, dass unser Berufsstand eine neue Ethik entwickeln muss und nicht per se umsetzen sollte, was gefordert wird, sondern sich aktiv einbringen und nach funktionierenden Lösungen suchen muss. Dazu gehört auch, dass man sich weigert, Dinge wie monotones Abstandgrün zu planen oder zu bauen.
Wie führen Sie Ihre Studierenden an diese neuen Herausforderungen heran?
Die Tatsache, dass ich als Landschaftsarchitekt ein Entwurfsatelier für Re-Use Architektur im Architekturstudiengang leite, signalisiert den Studierenden, dass sie heute breiter denken müssen. Früher haben Professor*innen den Studierenden im Frontalunterricht die Welt erklärt. Heute braucht es eine andere Art von Vorlesung. Ich versuche, die Studierenden mittels Fragen und Diskussion aus ihren Gewohnheiten herauszuholen und sie in neue Denkweisen zu führen. Das Schönste ist für mich, wenn ich die Studierenden dazu bringen kann, dass sie für ein Thema brennen. Dann nehmen sie Haltung ein. Sie hinterfragen gesellschaftliche Muster und wollen neue Lösungen finden
Welche Muster würden Sie gerne aufbrechen?
Den Städtebau des Abstandsgrüns. Die ungenutzten Grünflächen im Siedlungsraum würde ich gerne abschaffen. Ich verstehe nicht, welchen Nutzen diese Flächen heute haben. Für die Stadt Bern hat unser Büro eine Analyse über Flächen des Zwischen- und Abstandsgrüns gemacht und das Potenzial aufgezeigt, das in diesen Flächen steckt für Freiraumnutzungen. Alleine in den Quartieren Stöckacker, Bümpliz und Bethlehem haben wir dabei 42,5 Hektaren monotones und ungenutztes Abstandsgrün gefunden. 11'840 Personen könnten diese Fläche für individuellen Freiraum nutzen, z.B. als Freizeitgärten. Oder es könnten 10'600 Bäume angepflanzt werden und damit ein funktionierendes Ökosystem etabliert werden, das die Biodiversität fördert, die Stadt kühlt, CO2 einlagert sowie Refugium für Flora und Fauna ist. Das Potenzial für Lösungen, die nicht nur zu mehr Lebensqualität für die Bewohner*innen, sondern auch zu mehr Biodiversität und zur Minderung des Komplettausfalls bestehender Ökosystemen führen könnten, ist also riesig.