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Kollektive Intelligenz für nachhaltiges Bauen
27.02.2024 Warum ist eine interdisziplinäre Arbeitsweise für die BFH-AHB so wichtig – und was steckt hinter der Neuorganisation des Departements? Prof. Peter Staub, Direktor der BFH-AHB, und Dr. Aude Chabrelie, Professorin für nachhaltiges Bauen, über das Verschwinden disziplinärer Grenzen und eine nachhaltigere Baubranche.
Haben Sie ein konkretes Lieblingsprojekt im Bereich des nachhaltigen Bauens?
Peter Staub: «Mein Lieblingsprojekt ist die BFH-AHB an sich: Wir sind eine Bildungsinstitution, die verschiedene Disziplinen aus der Baubranche unter einem Dach vereint und mit dem Schwerpunkt Holz seit über 70 Jahren neue Impulse setzt. Wir haben die Nachhaltigkeit im Blut und profitieren von unserer langjährigen Pionierarbeit und Expertise in diesem heute so wichtigen Thema.»
Aude Chabrelie: «Mich inspiriert die Arbeit von Barbara Buser vom Baubüro «in situ», einer Pionierin für die Wiederverwendung von Bauteilen und Gebäuden in der Schweiz. Sie verwandelt unter anderem alte Industriebrachen in lebendige Stadtviertel. Aus ihrer Arbeit ergeben sich für mich viele Inputs, die wir an der BFH und insbesondere am Departement AHB angehen.»
Warum ist Ihnen persönlich das Thema «nachhaltig bauen» wichtig?
Aude Chabrelie: Ein Dach über dem Kopf und eine funktionierende Infrastruktur decken Grundbedürfnisse des Menschen ab. Aus diesem Grund habe ich begonnen, in der Branche zu arbeiten. Es wird viel gebaut, und die Umweltauswirkungen dieses Sektors sind enorm. Weltweit ist die Baubranche für 40 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, in der Schweiz rund für einen Viertel. 80 Prozent der Gesamtabfallmenge in der Schweiz stammen aus der Bauindustrie. Die Baubranche bietet also enorme Möglichkeiten, um unsere Auswirkungen auf den Planeten zu verringern.
Peter Staub: Wie Aude habe auch ich Kinder. Deshalb machen wir uns Gedanken, wie für sie die gebaute Zukunft aussehen wird. Es ist spannend, der Bauindustrie nicht nur zu beobachten, sondern sie mitzuprägen. Derzeit findet ein Paradigmenwechsel statt: Noch vor wenigen Jahren wurde an den Bau- und Hochschulen unterrichtet, wie man auf der grünen Wiese baut. Heute geht es mehrheitlich darum, wie mit dem Bestand umgegangen wird. Weil die globalen Nachhaltigkeitsziele, die richtig und wichtig sind, sehr ambitiös und eng gesteckt sind, wird momentan vieles hinterfragt, und etablierte Prozesse werden neugestaltet: Das motiviert mich persönlich sehr, hierzu einen Beitrag zu leisten.
Welche Bedeutung hat das Thema Nachhaltigkeit für die BFH-AHB?
Peter Staub: In unseren Leitsätzen heisst es: «Wir sind Pionier*innen des nachhaltigen Bauens und übernehmen Verantwortung für unseren Lebensraum. Wir fördern nachhaltig unternehmerisches Denken und Handeln und gehen mit allen Ressourcen achtsam um.» Es geht darum, die Nachhaltigkeit gesamtheitlich zu verstehen und dort anzusetzen, wo wir den Hebel dazu haben. Deswegen forschen wir auch in Themenbereichen, die nicht auf den ersten Blick mit Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht werden, wie beispielsweise umweltfreundliche Asphaltbeläge auf Strassen. Das ist wichtig, denn es braucht Strasseninfrastrukturen und diese müssen unterhalten werden. Ebenso forschen wir an biobasierten Klebstoffen, damit zum Beispiel Brettschichtholz wiederverwendet und rezykliert werden kann.
Welches ist in der Lehre die wichtigste Botschaft an die Studierenden?
Aude Chabrelie: Ich unterrichte Ökobilanzierung und Ecodesign. Eine meiner Hauptbotschaften an meine Studierenden ist: kritisch hinterfragen. Ich wünsche uns, dass wir ihnen die Werkzeuge und Kenntnisse dafür geben können. Das ist besonders für ermittelte Ökobilanzwerte wichtig. Hier muss man immer überprüfen, was eine Studie abdeckt und was nicht. Die zweite Botschaft, die ich gerne weitergeben möchte: Die Studierenden sollen nach dem Studium den Mut haben, anders zu denken, Ideen einzubringen, Einfluss zu nehmen und die Art und Weise, wie man baut, in Frage zu stellen, um es besser und mit grösserem Respekt für die Umwelt zu machen.
Peter Staub: Selten baut jemand allein ein Haus, geschweige denn ein ganzes Quartier. Gefragt sind Teamwork und Interdisziplinarität, aber natürlich auch vertieftes Wissen in verschiedenen Bereichen. Die Karrieren unserer Studierenden verlaufen weniger linear als unsere, daher braucht es verstärkt Offenheit, Veränderungswillen und Agilität – nicht nur inhaltlich, sondern auch persönlich. Wir arbeiten gemeinsam an Projekten, die in der Realität eine Wirkung erzielen sollen. Das geschieht in Zusammenarbeit mit Wirtschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft. Damit simulieren wir die zukünftige Arbeitswelt unserer Studierenden, die so mit ihrer Expertise und einem breiten Verständnis für Zusammenhänge und Prozesse Teil der kollektiven Intelligenz werden.
Die Grenzen der Hochschulberufe verschwimmen zunehmend. Geschieht das auch innerhalb der Institute?
Peter Staub: In den letzten zwei Jahren haben wir intensiv an unserer Vision, Strategie und Organisation gearbeitet. Vorher gab es drei Fachbereiche: A für Architektur, H für Holz und B für Bauingenieurwesen. Dazu kam als vierte Abteilung die Forschung, Weiterbildung und Dienstleistungen. Aus «A.H.B.» haben wir neu «A x B x H» gemacht, damit wir die Thematik der Nachhaltigkeit ganzheitlich angehen können. Daraus sind nun fünf Institute entstanden, die nicht mehr disziplinenorientiert sind, sondern neu interdisziplinär und themenorientiert arbeiten. So können durch interdisziplinäre Konstellationen neue Themenfelder erschlossen werden und die Erkenntnisse aus der Forschung direkt in die Aus- und Weiterbildung einfliessen.
Welche konkreten Schwerpunkte setzt die BFH-AHB in der Lehre?
Aude Chabrelie: Im Bereich Nachhaltigkeit gibt es drei Hauptaspekte: Erstens das Basis-Know-how schaffen, also eine Grundkenntnis über Nachhaltigkeitsthemen. Und je einen Schwerpunkt für Ökobilanzierung und für zirkuläres Bauen. Nachhaltigkeit ist jedoch nur einer von vielen Bereichen in der Lehre – aber einer, dessen Bedeutung laufend zunimmt.
Welche Bedeutung haben die neuen Minors, die für eine Spezialisierung im Studium stehen?
Peter Staub: Die Minors sind eine Konsequenz des bereits erwähnten trans- und interdisziplinären Arbeitens. Minors sind Vertiefungsrichtungen, die allen Studierenden der drei Bachelorstudiengänge Architektur, Holztechnik und Bauingenieurwesen zur Verfügung stehen. Momentan bieten wir zwei Minors an: einen in «zirkulärem und nachhaltigen Bauen» und einen zweiten in «integralem digitalen Bauen». Ersterer fokussiert unter anderem auf Kreislaufwirtschaft, Wiederverwertung und Lebenszyklusanalysen, der zweite auf digitale Planungs- und Bauprozesse von der Bestandsaufnahme bis zur Fertigung. Daneben gibt es noch weitere Initiativen, wie eine gemeinsame Einführungswoche zur nachhaltigen Baukultur oder konkrete interdisziplinäre Projekte, in denen Studierende aus unterschiedlichen Studienrichtungen die Zusammenarbeit leben.
Was ist in der Forschung wichtig?
Peter Staub: Als Fachhochschule betreiben wir angewandte Forschung. Das heisst, wir kollaborieren dabei mit Partner*innen aus der Praxis mit dem Ziel, mit den Ergebnissen eine konkrete Wirkung zu erzielen.
Aude Chabrelie: Ich nenne mal zwei beispielhafte Forschungsprojekte: Für das Bundesamt für Umwelt (BAFU) haben wir zur Dekarbonisierung der Infrastruktur in der Schweiz geforscht. Dabei ging es darum, eine vergleichende Ökobilanz zwischen Infrastrukturbauten aus Beton und aus Holz zu erstellen und das Dekarbonisierungspotenzial zu eruieren. Dies unter Einbezug der technischen Machbarkeit und der wirtschaftlichen Umsetzungsmöglichkeiten. Dieser Auftrag kam im Zusammenhang mit dem Klimagesetz. Die Möglichkeit, der Politik Empfehlungen zu geben, ist uns wichtig. Ein zweites Beispiel ist das Innosuisse Flagship «SwissRenov». Ziel ist es hier, die Wiederverwendung von alten Industriebrachen zu fördern und insbesondere die Entscheidungsprozesse dahinter zu unterstützen. Spannend an diesem Projekt ist die Transdisziplinarität und die Kooperation mit vielen Hochschulen, Forschungsinstitutionen und Firmen in der Schweiz. Wir beobachten eine Entwicklung in der Positionierung von Ökobilanzierung in den Forschungsprojekten: Früher wurde die Ökobilanzierung eher am Ende des Prozesses durchgeführt. Heute geschieht das schon vorher, um die Entscheidungen und den Entwicklungsprozess zu unterstützen.
Was kann die BFH auf dem eingeschlagenen Weg noch besser machen?
Peter Staub: Das Thema Nachhaltigkeit hat an der BFH-AHB einen hohen Stellenwert und als Hochschule können wir mit Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit einen wichtigen Beitrag leisten: Mit unserem Wissen und unseren Erkenntnissen aus der Forschung müssen wir die Bevölkerung begeistern und den Umschwung mitgestalten, so dass Nachhaltigkeit für alle zur Selbstverständlichkeit wird. Unser Kompetenzprofil beinhaltet einerseits profundes Wissen im Bereich des nachhaltigen Bauens, andererseits aber auch das übergeordnete Denken und das Erkennen von Zusammenhängen. Diese Kompetenzen wollen wir auch unseren Studierenden mit auf den Weg geben. Die grosse Nachfrage nach unseren Abgänger*innen zeigt, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Und wir hoffen, künftig noch mehr Studierende für das nachhaltige Bauen begeistern zu können.
Aude Chabrelie: Besonders in der Zusammenarbeit der verschiedenen Departemente der BFH steckt noch viel Potenzial. Als Beispiel: Der neue Master in Circular Innovation and Sustainability zeigt auf, dass sich die Expertisen verschiedener Departemente ideal ergänzen und so zu visionären Innovationen führen, die sowohl gesellschaftsrelevant als auch markttauglich sind. Solche Chancen gilt es vermehrt zu nutzen.