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«Die Gründung war eine ermächtigende Erfahrung»
27.09.2022 Die Berner Gründerin und Politikerin Melanie Mettler ist eine der Expert*innen, die für die Studie der BFH Wirtschaft befragt wurden. Sie sagt, Vorbilder würden mehr Frauen zum Gründen ermutigen. Förderorganisationen sollten Frauen direkt ansprechen.
Frau Mettler, warum gründen in der Schweiz mehr Männer als Frauen ein Unternehmen?
Ein grosser Teil ist wohl kulturell bedingt. Es braucht ein Selbstverständnis, um sich selber als Gründerin, als Gründer zu sehen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Kompetenzen stark geschlechterspezifisch verstanden werden. Unternehmerische Kompetenz wird am ehesten einer männlichen Figur zugeschrieben, die auf eine bestimmte Art dynamisch ist. Aber man lernt durch Nachahmung. Wenn vor allem Männer gründen, identifizieren sich Frauen weniger als Gründerinnen und haben weniger abrufbare Erfahrungen.
Sie sind Gründerin, unter anderem von Sunraising, einem Start-up, das Solarstromanlagen auf Berner Dächern im Crowdfunding finanziert und baut. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Die Gründung war für mich eine ermächtigende Erfahrung, eine Kompetenzerfahrung. Ich nahm es als positiv wahr, wie viel möglich ist, wenn man sich ins Spiel bringt und sich bei Entscheidungsträger*innen meldet. Zugleich war es hart. Ich setzte jede verfügbare freie Minute für das Projekt ein. Zum Teil beobachtete ich Geschlechterklischees bei Verhandlungspartnern. Stromproduktion ist ein männlich geprägtes Umfeld. Damit konnten wir aber im Team umgehen.
Wie könnten mehr Frauen zum Gründen bewegt werden?
Durch Targeting, das heisst, Frauen sollten von Organisationen der Standort- und Innovationsförderung gezielt angesprochen werden. Frauen reagieren weniger auf allgemeine Kampagnen. Werden sie als Bevölkerungsgruppe aber direkt angesprochen, funktioniert das meistens. Auch sehe ich ungenutztes Potenzial bei Müttern, die durch selbstständige Tätigkeit einen Teil des Haushaltseinkommens bestreiten. Das sind potenzielle Gründerinnen, die anfangen könnten zu skalieren, sobald sie zeitlich weniger eingeschränkt sind oder beginnen, sich die Familienarbeit mit dem Partner zu teilen.
Gibt es aus Ihrer Sicht weitere Punkte?
Die Elternschaft ist in der Schweiz immer noch ein Frauenthema. Nur zehn Prozent der Väter arbeiten Teilzeit. Beruf und Familie sind schlecht vereinbar, von den uneinheitlichen Schulzeiten bis zur teuren familienexternen Kinderbetreuung und steuerlichen Nachteilen für Zweiteinkommen. Weil es ihnen deshalb an Zeit fehlt, sind Frauen zudem nicht so vernetzt wie Männer. In Netzwerken mitzumachen, in denen man voneinander lernen und Kontakte knüpfen kann, wäre aber höchst nützlich für Gründerinnen.
Sie sind Nationalrätin. Wo gilt es politisch anzusetzen?
Vieles wurde schon angegangen und zum Teil erreicht, auf Gemeinde-, Kantons- und Bundesebene. Da gilt es dranzubleiben. Ich greife zwei Anliegen heraus. Zum einen wären Blockzeiten an Schulen hilfreich, vielleicht auch ein Schuleintritt im jüngeren Alter. Zum anderen müsste die finanzielle Abhängigkeit der Ehepartner*innen reduziert werden, von der Individualbesteuerung bis zur beruflichen Vorsorge. Für Frauen könnte es so attraktiver werden, eine Karriere als Gründerin zu planen. Denn grundsätzlich ist es in der Schweiz sehr leicht zu gründen, es gibt wenig Hindernisse. Die Rahmenbedingungen für Unternehmen sind sehr gut.
Magazin Präsenz
Dieser Beitrag erschien im Präsenz 2/2022.
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