Nachhaltigkeit entscheidet sich beim Design

13.11.2024 In den Bildungsangeboten der BFH-AHB nimmt das Thema Nachhaltigkeit immer mehr Raum ein – zum Beispiel mit dem neuen Minor «Zirkuläres und nachhaltiges Bauen». Es geht um nichts weniger als um einen grundlegenden Wandel im Bauwesen.

Teaserbild: Nachhaltigkeit entscheidet sich beim Design

Die Energiewende ist beschlossene Sache, aber wie steht es mit der Bauwende? Die sei zwingend, damit die Schweiz ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen kann, sagt Urs Thomas Gerber, Professor für nachhaltiges Bauen an der BFH-AHB: «Bauen verursacht einen immensen Ressourcen- und Energieverbrauch. Wir leben massiv über unsere Verhältnisse.» Zahlen von 2021 belegen das: Der Gebäudesektor in der Schweiz ist für rund einen Viertel der Treibhausgasemissionen des Landes verantwortlich. Jährlich fallen etwa 57 Millionen Tonnen Aushub- und Abbruchmaterial an, dazu kommen 17 Millionen Tonnen Rückbaumaterial, von dem gut zwei Drittel wiederverwertet werden. Der Bau eines Gebäudes erfordert immer noch mehr graue Emissionen als sein Betrieb über eine Lebensdauer von 60 Jahren.

«Bauen verursacht einen immensen Ressourcen- und Energieverbrauch. Wir leben massiv über unsere Verhältnisse.»

Urs Thomas Gerber
Urs Thomas Gerber Professor für nachhaltiges Bauen

Für Urs Thomas Gerber ist klar, dass die Bauwende nicht allein mit effizienterem Ressourcen- und Energieeinsatz erreichbar ist: «Verbesserungen bei der Ökoeffizienz sind wichtig, aber sie reichen nicht, denn wir bleiben damit im alten Denksystem.» Das zeigt sich am Beispiel Beton. Bei seiner Produktion wird Naturkies immer häufiger durch zerkleinerten Abbruchbeton ersetzt. Um Recycling-Beton herzustellen, braucht es aber weiterhin Zement und insbesondere grosse Mengen Energie. Auch der Ersatz von fossilen Ressourcen durch biologische ist höchstens Teil der Lösung: «Wir würden rasch an Grenzen stossen, wenn wir unseren gewaltigen Energiebedarf ausschliesslich mit Holz oder Photovoltaik decken wollen.»

«Cradle to cradle»: mehr als sparen und recyceln

Neben Ökoeffizienz und Einsatz von nicht-fossilen Energien braucht es für Urs Thomas Gerber deshalb einen weiteren Ansatz für echte Nachhaltigkeit. Das Zauberwort heisst Zirkularität oder «cradle to cradle» (sinngemäss: «vom Ursprung zum Ursprung). Dabei wird das in der Epoche des Ressourcen- und Energieüberflusses geprägte Denken überwunden und durch eine Kreislaufwirtschaft ersetzt. Es geht um mehr als den sparsamen Einsatz von Ressourcen mit möglichst hoher Recycling-Quote: «Um echte Zirkularität zu erreichen, müssen wir Grundsätzliches ändern und beim Design des Produkts beginnen.»

«Um echte Zirkularität zu erreichen, müssen wir Grundsätzliches ändern und beim Design des Produkts beginnen.»

Urs Thomas Gerber
Urs Thomas Gerber Professor für nachhaltiges Bauen

Der Nachhaltigkeitsspezialist der BFH-AHB erklärt anhand der zehn «Re», was damit gemeint ist. Alles beginnt mit «Refuse», das heisst mit der Überlegung, ob es etwas überhaupt braucht. Beim Hausbau sollte man sich zum Beispiel fragen, ob Untergeschosse im üblichen Umfang überhaupt nötig sind, wenn dank Fernwärmeanschluss Öltank und Heizungsraum überflüssig werden. Es folgen die weiteren «Re»:

  • «Reduce» (geht es nicht auch mit weniger von etwas)
  • «Rethink» (wie mache ich etwas langlebiger, zum Beispiel indem ich die Pflege des Produkts erleichtere)
  • «Reuse» (wie kann ich die Weiterverwendung gebrauchter Produkte fördern)
  • «Repair» (wie muss etwas konstruiert sein, damit ich es einfach reparieren kann)
  • «Refurbish» (wie kann ich ein ausrangiertes Produkt wieder auffrischen)
  • «Remanufacture» (wie lassen sich noch funktionierende Teile eines ausrangierten Produkts zur Herstellung eines anderen Produkts verwenden)
  • «Repurpose» (wie lässt sich ein ausrangiertes Produkt für andere Zwecke verwenden)
  • «Recycle» (wie kann ich Wertstoffe aus Produkten zurückgewinnen, aufbereiten und wiederverwenden)
  • und schliesslich «Recover» (wie kann ich aus einem Produkt etwas zurückgewinnen, wenn alle anderen «Re» nicht mehr in Frage kommen – zum Beispiel Energie bei der Abfallverbrennung).

Die ersten drei Punkte der «Re»-Kaskade seien entscheidend, betont Urs Thomas Gerber. Was man gar nicht baue, müsse man auch nie reparieren, umnutzen, rezyklieren oder verbrennen. Weniger bauen bedeute weniger umnutzen und reparieren. Und wenn man etwas intelligent konstruiere, liessen sich alle weiteren «Re» viel besser anwenden. Damit verlängere sich die Lebensdauer von Produkten und Stoffen, und der Ressourcenbedarf sinke. Dieser «Ökoeffektivitätsansatz» erfordere zwar eine höhere Anfangsinvestition, weil der ganze Lebenszyklus eines Produkts zuerst durchdacht und ein Design entwickelt werden müsse, das die Anwendung der weiteren «Re» erleichtere. Dafür liessen sich später Ressourcen und Kosten einsparen.

Zirkuläres Bauen ist Teil des Studiums

Auf dem Weg zur Kreislauffähigkeit steht die Bauwirtschaft trotz zunehmendem Recycling und Einsatz von erneuerbaren Energien erst am Anfang. Urs Thomas Gerber sieht die BFH-AHB deshalb in der Verantwortung, die Bauwende zu beschleunigen: «Wir müssen zuerst einmal die Studierenden zur Erkenntnis bringen, dass wir ein Ressourcenproblem haben und für dessen Lösung das Bauen neu denken müssen.» Im Bachelor-Studium Holztechnik etwa beschäftigen sich die Studierenden seit 2023 deshalb in den ersten drei Semestern intensiv mit der Ressourcen-Thematik, der Ökobilanzierung und der konkreten Umsetzung kreislauffähiger Designs beim Fertigen und Bauen. Neu haben BFH-AHB-Studierende ab dem kommenden Frühjahr zudem die Möglichkeit, mit den Minors «Zirkuläres und nachhaltiges Bauen» oder «Integrales digitales Bauen» einen individuellen Schwerpunkt zu setzen und ihr Profil für die Arbeitswelt von morgen zu schärfen. Zirkuläres Bauen gehört seit kurzem auch zum Angebot der Special Weeks der BFH-AHB.

Gemeinsam mit anderen Hochschulen und der ETH Zürich bietet die BFH-AHB im Weiteren einen CAS zum zirkulären Bauen an. Am 27. Februar 2025 findet in Biel die zweite «Tagung zirkuläre Bauwirtschaft» statt. Sie ermöglicht Berufsleuten einen Austausch über aktuelle Entwicklungen und Lösungsansätze. Und schliesslich ist die BFH-AHB auch im Rahmen der Forschung und Entwicklung daran beteiligt, das zirkuläre und nachhaltige Bauen vorwärtszubringen – zum Beispiel im Rahmen der Innosuisse-Flagship-Projekte «Think Earth» und «SwissRenov».

Aus alten Kirchenbänken gefertigter «neuer» Stuhl: Resultat einer Special Week zum Thema «Re-Use Möbel».
Aus alten Kirchenbänken gefertigter «neuer» Stuhl: Resultat einer Special Week zum Thema «Re-Use Möbel».

Mehr erfahren