Praxisorientiertes Lernen und gesellschaftliches Engagement

12.09.2024 Die BFH-TI entwickelt für die Stadt Biel eine Lösung für das effizientere Leeren der 600 öffentlichen Abfallbehälter. Cyrille Mühlestein, Leiter Strasseninspektorat Stadt Biel, und Projektleiter Alexander Mack erläutern das Projekt, an dem die Studierenden des Studiengangs Data Engineering in der Special Week vom 11. bis 15. November arbeiten.

Interview: Thorsten Kaletsch

Die BFH will für die Stadt Biel ein «partizipatives Waste Management» entwickeln. Was genau ist darunter zu verstehen?

Alexander Mack: Ziel ist ein effizienteres Einsammeln des Abfalls der öffentlichen Abfallbehälter der Stadt Biel. Dabei sollen moderne Technologien wie QR-Code, das Geo-Informationssystem GIS und eine Software zur Routenoptimierung zum Einsatz kommen. Und auch die Bürger*innen sollen eingebunden werden.

Wie kam die Zusammenarbeit des Strassen­inspektorats Biel mit der BFH zustande?

Cyrille Mühlestein: Roger Filliger, der Vizedirektor des Departements Technik und Informatik der BFH, fragte mich im Herbst 2023, ob es bei der Stadt Biel Bedarf für Projekte im Bereich «Service Learning» gebe. In einem Brainstorming kamen wir dann schnell auf die Bewirtschaftung der öffentlichen Abfallbehälter. Diese sind eine wichtige Visitenkarte der Stadt Biel. Überfüllte Abfallbehälter beeinträchtigen das Stadtbild und sorgen sehr schnell für Emotionen. Das Strasseninspektorat bildet im Zuge der Digitalisierung immer mehr Arbeiten und Infrastrukturen im Geo-Informationssystem GIS ab – Tourenplanung, Winterdienst, Flächenentsiegelungen und vieles mehr. Da lag eine Erweiterung auf der Hand.

Alexander Mack: Roger Filliger fragte mich dann als Projekt Manager und technischen Verantwortlichen an. Die Zusammenarbeit ermöglicht einen einmaligen Einblick in die konkreten Herausforderungen eines Strasseninspektorats. Den Studierenden bietet sie die Möglichkeit, ihre Selbstwirksamkeit an einem gesell­schaftlich relevanten Praxisbeispiel direkt erfahrbar zu machen. Diese Art von Mehrwert will die BFH auch in Zukunft fördern.

An der Special Week des Studiengangs Data Engineering im November soll in nur einer Woche eine Lösung entwickelt werden – ein sportliches Ziel.

Alexander Mack: Deshalb laufen schon länger Vorarbeiten. Ziel ist es, dass im November alles bereit ist und wir in der Special Week eine Lösung realisieren können: An alle 600 öffentlichen Abfallbehälter der Stadt Biel soll ein QR-Code angebracht werden. Die Bürger*innen können über diesen dann mitteilen, wenn ein Abfallbehälter voll ist. Die Verarbeitung dieser Informationen ermöglicht dann eine effizientere Routenplanung für die Equipen des Strasseninspektorats. So sollen unnötige Touren vermieden und CO2-Emissionen reduziert werden.

Cyrille Mühlestein: Unser Wunschziel ist eine Lösung, die uns auch vorhersagt, wann ein Abfallbehälter gemäss den verarbeiteten Daten und Wahrscheinlich­keiten übervoll ist. Das kann unseren Equipen auch für den Fall helfen, dass die Leerung eines Abfallbehälters «vergessen» wurde.

Was braucht es dafür technisch?

Alexander Mack: Momentan überlegen wir, ob wir zum Scannen des QR-Codes eine Applikation entwickeln wollen, oder ob wir ohne auskommen. Auf jeden Fall braucht es einen wetterfesten QR-Code-Aufkleber, der die Identifizierung der einzelnen Mülleimer ermöglicht. Dann müssen die Daten ins GIS übermittelt und verarbeitet werden, sodass eine zentrale Software optimierte Routen planen kann. An der BFH-TI in Burgdorf ist eine solche Software bereits in Betrieb. Die Routeninformationen müssen dann an die Mitarbeitenden des Strasseninspektorats weitergegeben werden. Es gibt also mehrere Schnittstellen. Uns ist es wichtig, die Erfahrungen der Mitarbeitenden des Strasseninspektorats in dieses Projekt einzubeziehen.

Cyrille Mühlestein: Und für uns ist ganz wichtig, dass unsere Mitarbeitenden das neue Tool als Hilfe wahrnehmen und nicht das Gefühl bekommen, dass sie dadurch kontrolliert werden.

Werden die Bieler*innen von diesem Meldesystem via QR-Code Gebrauch machen?

Cyrille Mühlestein: Littering ist ein Thema, das bewegt. Bei uns funktioniert die soziale Kontrolle – es gibt in den sozialen Medien sogar Seiten, auf denen Abfallsünden dokumentiert werden. Wir müssen aber sicher noch Erfahrungen sammeln, wie wir uns gegen Jux-Meldungen absichern können. Deshalb ist nach der Entwicklung der Lösung eine Testphase geplant – etwa in der stark frequentierten Nidaugasse.

Alexander Mack: Es gäbe auch technisch anspruchsvollere Lösungen mit Chips und Sensoren, die das Gewicht des Abfalls wiegen. Dazu braucht es keine Mitwirkung der Bevölkerung, der Aspekt der Sensibilisierung würde wegfallen. Wir möchten aber, dass alle Bürger*innen einen Beitrag für eine sauberere Stadt leisten können.

Cyrille Mühlestein: Andere Städte sind in diesem Bereich schon sehr weit, zum Beispiel Basel, Lausanne oder Zürich. Es gibt auch schon Abfalleimer, die den Abfall verdichten.

Könnte auch Künstliche Intelligenz (KI) eine Rolle spielen, wenn es um das Interpretieren von Daten und um Prognosen geht?

Alexander Mack: Es ist angedacht, einen KI-Algorithmus zu entwickeln, der die Füllgeschwindigkeit schätzt. Darüber hinaus ist KI momentan noch kein Thema. Die Lösung liesse sich aber nachträglich ausbauen.

Wie erleben Sie die bisherige Zusammenarbeit?

Alexander Mack: Wir sind dabei, die gegenseitigen Kontakte zu intensivieren. Es geht zunächst um das GIS des Strasseninspektorats und um die Aufbewahrung der Daten – bei der BFH gibt es zum Glück Spezialist*innen für Datensicherheit.

Cyrille Mühlestein: Ich erlebe die bisherige Zu­sammenarbeit als befruchtend und kann mir für die Zukunft weitere Kooperationen vorstellen. Beim Strasseninspektorat sind wir innovativ und praxisorientiert. Die Studierenden der BFH-TI kommen dagegen eher von der Theorie – für sie ist es wertvoll, Einblick in einen Betrieb zu bekommen und zu sehen, wo der Schuh drückt. Ich würde es begrüssen, wenn sie einmal ein Team von uns begleiten würden, das seine Arbeit um 4.30 Uhr aufnimmt. So könnten sie sich vor Ort ein Bild von der Lage machen.

Alexander Mack: Das ist ganz sicher ein Thema. Ich jedenfalls habe im Sinn, eine Tour mitzumachen.

Das ist «Service Learning»

Roger Filliger, Vizedirektor der BFH-TI, ist froh über die Zusammenarbeit mit der Stadt Biel: «Der zentrale pädagogische Stimulus von Fachhochschulen ist ein gesunder Mix aus Praxis- und Forschungsbezug. Dadurch ergibt sich ein wahrer Jungbrunnen für die Lehre, aus dem unser Departement schöpft und mit dem wir aus jungen Berufsleuten hochqualifizierte Fachkräfte schaffen.» Zu diesem Zweiklang aus Praxis und Forschung geselle sich unter dem Namen «Service Learning» die Forderung nach einem direkt sinnstiftenden Engagement für die Gesellschaft. «Den resultierenden Dreiklang nehmen wir ab diesem Herbst ins Unterrichtsprogramm auf und bieten in Zusammenarbeit mit der Stadt Biel ein akademisches Lerngefäss mit zivilgesellschaftlichem Engagement an.» Das didaktische Potenzial sei enorm, betont Roger Filliger. «Wir sind sehr dankbar, dass wir mit der Stadt Biel eine offene und motivierte Partnerin haben, die mit einer Vielzahl an Herausforderungen konfrontiert ist, an denen unsere Studierenden sinnstiftend wachsen können.»

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