Ecoute élargie – «Leere Stimmen» und «objets sonores» in der Musik nach 1945
Das Projekt widmet sich zwei bislang vernachlässigten Phänomenen in der Musik nach 1945: der leeren Stimme und dem objet sonore.
Steckbrief
- Beteiligte Departemente Hochschule der Künste Bern
- Institut(e) Institut Interpretation
- Forschungseinheit(en) Schnittstellen der zeitgenössischen Musik
- Förderorganisation SNF
- Laufzeit 01.12.2015 - 30.04.2019
- Projektleitung Dr. Roman Brotbeck
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Projektmitarbeitende
Gaudenz Badrutt
Dr. Dorothea Schürch
Dr. Michael Harenberg
Prof. Dr. Britta Sweers -
Partner
Freie Universität Berlin, Sonderforschungsbereich 626
Graduiertenkolleg InterArt Berlin
IRCAM Paris
Universität Bern
Universität Siegen, AG Auditive Kultur und Sound Studies
Ausgangslage
In der musikwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Musik nach 1945 steht das Strukturelle im Vordergrund: Es werden vor allem Partituren, Kompositionsskizzen und Werkkontexte analysiert. Die Historiografie der neueren Musik erscheint demzufolge in der Regel als eine Reihe von fortschrittlichen Meisterwerken, die von innovativen Meisterkomponisten geschrieben wurden. In dieser Perspektive wurden Phänomene der zeitgenössischen Musik, die sich der strukturorientierten Parametrisierung des musikalischen Materials entzogen, meist marginalisiert, als Ausnahmen bezeichnet oder bestenfalls als Nebenströmungen akzeptiert, oft aber gar nicht beachtet.
Vorgehen
Das vorliegende Projekt untersucht zwei dieser lange Zeit vernachlässigten Phänomene, die heute in vielfältiger Weise aktuell geworden sind: die leere Stimme und das objet sonore. Beide Praktiken stellen mit unterschiedlicher Akzentuierung ein parametrisierendes Komponieren und teilweise auch den Werkbegriff als Ganzes in Frage. Oft existiert in den durch sie gekennzeichneten Kontexten keine Partitur im herkömmlichen Sinne, vieles ist improvisiert oder durch Praxis erprobt: Statt strukturbasierter Aufführungskontrolle via Partitur wird der Kontrollverlust oft ausdrücklich gesucht. Im Teilprojekt «Leere Stimmen» werden die vor- und nachsprachlichen Transformationsprozesse der Stimme beschrieben. Die leeren Stimmen stehen für das Amalgam historischer Audiotechnologien mit experimenteller Stimmphysiologie, für das Ineinandergreifen physiologischer, semiologischer und technischer Praktiken. Basis elektroakustischer Komposition ist das objet sonore. Es soll anhand der späten Arbeiten des französischen Komponisten und Performers Luc Ferrari beforscht werden. Ferraris wechselnde Praktiken verlangen anstelle einer écoute réduite nach einer «écoute élargie».
Ergebnisse
Mit diesem hier neu eingeführten Begriff ist zu untersuchen, wie sich die zeitgenössische Musik darstellt, wenn sie semiotisch alle musikalischen und aussermusikalischen Konnotationen zulässt. Die «écoute élargie» ist dabei in Opposition zu Pierre Schaeffers écoute réduite definiert, dem reduzierten Hören. Schaeffer forderte mit diesem Hören von Komponisten und ZuhörerInnen, sie sollten im Falle seiner Lautsprechermusik nicht auf die Herkunft von Geräuschen achten und z. B. die Aufnahme einer Schiffssirene ausschliesslich als musikalisches Klangereignis hören. Im vorliegenden Forschungsprojekt soll anhand der Phänomene von leeren Stimmen und objets sonores der Frage nachgegangen werden, wie sich die Musikgeschichte nach 1945 verändert, wenn sie mit dem Fokus der «écoute élargie» betrachtet wird. Die Frage ist deshalb besonders delikat, weil auch strukturorientierte Komponisten mit leeren Stimmen und objets sonores gearbeitet haben, um neue musikalische Ausdrucksmöglichkeiten zu erreichen. Anhand von Stockhausens Opernzyklus Licht wird untersucht, wie sich diese ästhetischen Ansätze unter dem Fokus der «écoute élargie» erweitern.