- Forschungsprojekt
Fokus Arbeit
Im Projekt «Fokus Arbeit» entwickeln Sozialhilfebeziehende in Gruppen berufliche Perspektiven. Die BFH hat das von der Stadt Biel entwickelte Projekt evaluiert.
Steckbrief
- Institut(e) Institut Organisation und Sozialmanagement
- Forschungseinheit(en) Institut Organisation und Sozialmanagement
- Förderorganisation andere
- Laufzeit (geplant) 01.01.2022 - 30.06.2024
- Projektleitung Prof. Dr. Simon Raphael Steger
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Projektmitarbeitende
Prof. Dr. Dorian Kessler
Nathalie Joder
Pascale Keller
Oliver Slappnig
Dr. Dalia Schipper
Jürg Fassbind
Jodok Läser
Andrea Eggli
Tatjana Hostettler
Daniel Flückiger
Luisella Wildisen
Fabienne Schüpbach
Andrea Susanne Vogel-Kissling
Steven Beutler
Kevin Locher - Partner Stadt Biel
- Schlüsselwörter Evaluation, Gruppenarbeit, Sozialhilfe, Gruppensetting, Fokus Arbeit, Wirkung, Intervention, berufliche Integration, Sozialberatung, persönliche Hilfe
Ausgangslage
Im dreijährigen Projekt «Fokus Arbeit» der Abteilung Soziales der Stadt Biel (2022–2024) entwickeln Sozialhilfebezüger*innen in einer Gruppenintervention zusammen mit anderen Teilnehmer*innen berufliche und soziale Perspektiven. Dies soll sich unter anderem positiv auf ihre Chance auswirken, wieder unabhängiger von der Sozialhilfe zu werden.
In der Untersuchung wurde deshalb zum einen untersucht, wie das Programm funktioniert und weiterentwickelt werden kann (Prozessevaluation), und zum anderen, wie es gelingt, mit der neuen Gruppenintervention die soziale und berufliche Situation von Sozialhilfebezüger*innen zu verbessern (Ergebnisevaluation).
Vorgehen
Die Funktionsweise des Programms wurde im Rahmen der Prozessevaluation anhand verschiedener Quellen wie der Beobachtung des Gruppenprogramms sowie Befragungen der Teilnehmer*innen und der Gruppenleiter*innen sowie der Projektleitung untersucht. Die gewonnenen Daten wurden im Hinblick auf die Zielerreichung ausgewertet. Auf dieser Grundlage wurden Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Gruppenintervention formuliert. Eine Befragung der Mitarbeiter*innen des Sozialdienstes und der Fachstelle Arbeitsintegration ergänzte die Erkenntnisse.
Die Wirkung der Intervention (Ergebnisevaluation) wurde in einer randomisierten kontrollierten Studie untersucht. Per Zufallszuteilung wurden die Studienteilnehmer*innen während vier bis sechs Wochen entweder zusätzlich zur Einzelfallhilfe nach dem Gruppenansatz «Fokus Arbeit» unterstützt, oder aber sie erhielten ausschliesslich die übliche Einzelfallhilfe. Die Studienteilnehmer*innen wurden am Anfang und am Ende der Intervention zu ihrer Vitalität, ihrer Kontrollüberzeugung, ihren beruflichen Perspektiven und ihrer sozialen Unterstützung befragt. Darüber hinaus wurde der Beschäftigungs- und Sozialhilfestatus in den Monaten vor, während und bis zu 24 Monate nach der Intervention anhand administrativer Daten des Sozialdienstes erhoben.
Mittels gewichteter Regressionsanalysen wurde getestet, inwieweit sich Veränderungen in den abhängigen Variablen auf die Gruppenzugehörigkeit zurückführen lassen. Ergänzend fand nach dem Programm eine Nachbefragung der Teilnehmer*innen statt, um mehr über den persönlichen Nutzen zu erfahren.
Ergebnisse
Die Prozessevaluation im Zeitraum von Mai bis Dezember 2022 hat gezeigt, dass das Programm im Allgemeinen sehr gut funktioniert. Dies äusserte sich etwa in der innovativen Gestaltung und Umsetzung der Gruppensettings, dem hohen Engagement und der Kompetenz der Coaches sowie in der gelungenen Zusammenarbeit innerhalb des Programms. Darüber hinaus haben sich drei Handlungsfelder herauskristallisiert, die für die Zielerreichung zentral sind:
- Verbesserte Zusammenarbeit zwischen «Fokus Arbeit» und den vor- bzw. nachgelagerten Stellen (Sozialdienst, Fachstelle Arbeitsintegration);
- Überprüfung des Mengengerüsts bezüglich Anzahl Teilnehmer*innen;
- inhaltliche Weiterentwicklung des Programms unter Einbezug der Coaches sowie Mitarbeiter*innen des Sozialdienstes und der Fachstelle Arbeitsintegration.
Programmwirkungen
Die Ergebnisevaluation im Zeitraum von März 2022 bis Februar 2024 hat zum einen gezeigt, dass die Gruppenintervention die Vitalität der Sozialhilfebezüger*innen erhöht. Die Teilnehmer*innen fühlen sich dank «Fokus Arbeit» lebendiger. Zum anderen führte die Intervention zu einem Zuwachs an beruflichen Perspektiven und sozialer Unterstützung. Das bedeutet, dass die Teilnehmer*innen ihren beruflichen Zielen näherkommen und sich weniger allein fühlen, wenn die Arbeitslosigkeit sie belastet. Darüber hinaus konnte eine Verbesserung der Kontrollüberzeugung festgestellt werden. Das heisst, dass sich die Teilnehmer*innen nach der Intervention weniger machtlos im Leben fühlten, wobei diese Verbesserung nicht signifikant stärker war als in der Vergleichsgruppe, die ausschliesslich Einzelberatung erhielt.
Eine ergänzende Analyse gibt zudem deutliche Hinweise darauf, dass die Programmteilnehmer*innen dank «Fokus Arbeit» ihre hohe Arbeitsidentität aufrechterhalten, im Gegensatz zur Vergleichsgruppe ihr Know-How bei der Stellensuche verbessern und sich häufiger bewerben. Zudem zeigte sich, dass die Effekte von «Fokus Arbeit» bei Kurzzeitbezüger*innen in allen Dimensionen vergleichbar oder grösser sind als bei Personen, die bereits zwölf Monate oder länger Sozialhilfe beziehen.
Wirkfaktoren des Programms
Die Veränderungen in den Zieldimensionen sind abhängig von Wirkfaktoren des Programms. So zeigte sich etwa, dass sich die beruflichen Perspektiven umso stärker verbessern, je mehr sich die Sozialhilfebezüger*innen in der Gruppe engagieren, je besser das Gruppenklima ist und je besser die Qualität der Gruppenleitung beurteilt wird.
Wirkungen auf die Arbeitsmarktintegration
Die angestrebten Wirkungen im Bereich der Arbeitsintegration wurden erreicht. Sozialhilfebezüger*innen gehen dank «Fokus Arbeit» häufiger einer Beschäftigung im ersten oder zweiten Arbeitsmarkt nach und haben eine höhere Zunahme des Erwerbseinkommens als Personen der Vergleichsgruppe. Allerdings nimmt der Nettobedarf nach wirtschaftlicher Hilfe in der Vergleichsgruppe ähnlich ab, was auf Selektionseffekte (mehr Ablösungen aus nicht erwerbsbedingten Gründen in der Vergleichsgruppe) zurückzuführen sein könnte.
Die Resultate sind vor dem Hintergrund zu interpretieren, dass die Randomisierung der beiden Gruppen in zentralen Dimensionen nicht erreicht wurde. Diese Unterschiede sind nach der Zufallszuteilung durch eine selektive Anmeldung der Sozialhilfebezüger*innen zum Programm entstanden. Beispielsweise waren vor «Fokus Arbeit» in der Vergleichsgruppe doppelt so viele Personen erwerbstätig wie in der Interventionsgruppe.
Die Wirkungsschätzungen mussten daher mit Hilfe statistischer Gewichte vorgenommen werden. Entsprechend unsicher sind die Aussagen über die Wirkung der Intervention auf das Erwerbseinkommen und den Nettobedarf an wirtschaftlicher Hilfe. Diese Wirkungsbereiche sollten daher über einen längeren Zeitraum beobachtet und untersucht werden.
Weitere Wirkfaktoren auf die Arbeitsmarktintegration
Eine ergänzende Analyse der Einflussfaktoren auf die Arbeitsmarktintegration zeigt, dass eine gute physische Gesundheit, berufliche Perspektiven und ein aktives Bewerbungsverhalten einhergehen mit signifikant und bedeutsam höheren Chancen auf eine Erwerbsintegration nach dem Programm. Arbeitsintegrationsmassnahmen nach «Fokus Arbeit» ziehen vorerst eine tiefere Erwerbstätigkeit im ersten Arbeitsmarkt nach sich, weil die Betroffenen im Stufenmodell der Arbeitsintegration (Kompetenzaufbau) noch am Anfang stehen.
Kosten-Nutzen-Verhältnis
Im Vergleich zur ausschliesslichen Einzelfallhilfe zeigt sich, dass «Fokus Arbeit» pro Person und Monat sowohl höhere Kosten als auch einen höheren Nutzen generiert, wobei der höhere Nutzen die höheren Kosten überwiegt. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis sollte jedoch über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, da die Ergebnisse im Zufallsbereich liegen.
Weitere Erkenntnisse
Die Anzahl der erwarteten Teilnehmer*innen blieb unter den ursprünglichen Erwartungen. In einer ergänzenden Analyse wurde untersucht, weshalb eine Teilnahme an «Fokus Arbeit» für viele Sozialhilfebezüger*innen nicht möglich war. Die häufigsten Gründe waren neben fehlender Verfügbarkeit (z. B. wegen Arbeit, Betreuungspflichten) vor allem gesundheitliche Probleme, Sprachschwierigkeiten und fehlende Teilnahmemotivation.
Ausblick
Aus der vorliegenden Untersuchung lässt sich ableiten, dass die neu entwickelte Gruppenintervention «Fokus Arbeit» die Ziele weitgehend erreicht hat. Deshalb ist es angemessen, sie Sozialhilfebezüger*innen weiterhin anzubieten, allenfalls unter Berücksichtigung folgender Aspekte:
- «Fokus Arbeit» könnte sich primär an neu eintretende Sozialhilfebezüger*innen richten und als Standardprogramm im Sozialdienst verankert werden. Dies hätte den Vorteil, dass die Zuweisungs- und Anschlussprozesse besser koordiniert werden können und sich Synergieeffekte mit dem Aufnahmeverfahren und der persönlichen Hilfe (= Einzelberatung) ergeben;
- die Effizienz sollte erhöht werden, indem Programmabbrüche und Nichtteilnahmen trotz Anmeldung durch organisatorische Massnahmen reduziert werden. Dies könnte durch eine Klarstellung des Programmcharakters (freiwillig oder verpflichtend) oder durch eine Anpassung und Konkretisierung der Zuweisungskriterien erfolgen.