Praktikum als Hebammenstudentin in Norwegen
Sykehuset Telemark, Skien, 17.09.2018 - 04.02.2019
Bericht Auslandaufenthalt,
Susanna Ledermann, HEB 15 Typ I
Wie es dazu kam...
Ich bin dankbar für die einzigartige Möglichkeit die erste Hälfte des Zusatzmodules B in Norwegen zu absolvieren. Ergeben hat sich die Idee als ich im Sommer 2017 Freunde in Norwegen besuchte, darunter eine über 80 Jährige, welche ich aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte in das lokale Spital begleitete. Während sie im Korridor wartete, deponierte ich eine Blindbewerbung auf der Geburtenabteilung und stiess ich auf eine herzliche norwegische Hebamme, welche vor über 30 Jahren als Aupair in der Schweiz arbeitete. Auch wenn die Zusage auf sich warten liess, erwies sich dieser Kontakt als äusserst wichtig, da sie sich nicht nur für dieses Praktikum einsetzte sondern auch eine Unterkunft in ihrem eigenen Haus ermöglichte. Ich war die erste Hebammenstudierende aus dem Ausland in diesem lokalen Spital. Tausend Dank, Kjersti Helberg Skoe!
Skandinavische Geburtshilfe
Das Praktikum an der Gastinstitution dauerte 5 Monate und ich habe mich während dieser Zeit gut begleitet gefühlt. Ich hatte zwei Mentorinnen, wurde gut ins Team aufgenommen und konnte viel Neues erlernen (beispielsweise das Nähen von Geburtsverletzungen, Überwachung mittels STAN/ Elektrode, Einleitungen mit Foley-Katheter, Assistenz bei Forceps, Legen von Episiotomien, Anwendung Lachgas, etc). Zudem hatte ich einen Einblick in den norwegischen Hebammenverband, konnte Weiterbildungen besuchen (ONEWS, Simulationstrainings) und an zwei Kurzfilmen über das lokale Spital mitwirken. Ich habe das Praktikum als sehr wertvoll erlebt, konnte 30 Geburten selbständig begleiten und bei weiteren 10 assistieren. Die skandinavische Geburtshilfe geniesst einen guten Ruf dank ihrer niedrigen Kaiserschnittrate von ca. 15% und ihrer hebammengeleiteten Geburtshilfe. In der Tat ist es so, dass die Gynäkologen trotz Dienstarztsystem nur bei Bedarf zur Geburt anwesend sind, und auch das Nähen von Geburtsverletzungen vorwiegend den Hebammen überlassen wird, was für mich eine neue Erfahrung war, da ich bisher vorwiegend in Schweizer Spitälern mit Belegarztsystem gearbeitet habe, wo eine Geburt ohne ärztliche Anwesenheit doch eher eine Seltenheit darstellt. Zur Geburt in Norwegen kommen jedoch Kinderpflegende, als eigenständige Berufsgruppe, welche sich postpartal auf das Neugeborene konzentrieren und eine Ergänzung zur Hebammenarbeit bieten. Aber nicht alles was glänzt ist Gold; so wird auch in Norwegen die Zunahme von eventuell unnötigen Interventionen wie Einleitungen, vaginaloperativen Entbindungen und Episiotomien kontrovers diskutiert. Die Hebammenausbildung in Norwegen ist eine Weiterbildung auf Masterniveau, welche einen Bachelor und Berufserfahrung in Pflege voraussetzt. Dies bietet den Vorteil eines breiteren medizinischen Fachwissens und routinierteren Abläufen, jedoch birgt es auch die Gefahr, dass die Geburtshilfe in einer therapeutischen Landschaft angesiedelt wird. Was auffällt, ist der kollegiale Umgang im Spital - auch wenn Spitäler eine der wenigen, noch hierarchisch geprägten Organisationsstrukturen in Norwegen aufweisen, ist es eine auffallend flache Hierarchie im Gegensatz zu dem, was ich bisher in der Schweiz erlebte. Es wird stets rege und per Du diskutiert, wobei Hebammen- und Ärzteschaft mit Respekt auf das gegenseitige Wissen zugreifen können um eine gute Zusammenarbeit für die Frauen zu gewährleisten. Hut ab vor dem. Wünschenswert wäre auch die Nachahmung skandinavischer Regelungen für Mutter- und Vaterschaftsurlaub von 49 Wochen mit 100% Lohn, wobei 15 davon fix dem Vater zugeteilt sind. Ich blicke auf eine lehrreiche und wertvolle Lernzeit in Norwegen zurück und danke dem Team in Skien für ihr Engagement.
Skien ist nicht der urbanste oder belebteste Ort Norwegens. Umgeben von Wäldern und Seen ist es eine eher ruhige und idyllische Kleinstadt. Die Region Telemark, südwestlich von Oslo ist bekannt für ihren breiten Dialekt, Wintersport und ihre Gemütlichkeit. Skien ist die Heimatstadt von Henrik Ibsen, was daran zu erkennen ist, dass es ein grosses Theaterabgebot gibt und fast jede zweite Strasse nach ihm benannt wird. Ansonsten schlummert die Stadt insofern, als dass die Cafés oft schon kurz nach Feierabend schliessen und die Leute sich insbesondere in dieser Jahreszeit in ihre ewig zu renovierenden Häuser und Wohnungen zurückziehen. Ich war privilegiert, dass ich schon Norwegischkenntnisse hatte und eine Handvoll wundervolle Leute in der Umgebung kannte, ansonsten hätte ich mich eventuell etwas gelangweilt.
Ich bin unglaublich froh, dass ich die Chance ergriffen habe und mich für ein Austauschpraktikum beworben habe. Natürlich muss ich mich jetzt erneut mit der schweizerischen Handhabung vertraut machen, dennoch bereue ich den Aufenthalt nicht eine Sekunde. Ich bin in meiner Identität und meinem Selbstvertrauen als Hebamme gewachsen. Herzlichen Dank der BFH und dem International Office für die Unterstützung dieses Praktikums!
Mehr Informationen zu Auslandmöglichkeiten.