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Digitales Geld und Datenschutz: Welche Alternativen zu Libra gibt es?
24.09.2019 Libra heisst die neue Internetwährung von Facebook, welche ab Sommer 2020 die Welt erobern soll. Eine Abschätzung zu Libra liefern BFH-Professor Dr. Christian Grothoff und mit Prof. Alex Pentland in ihrem am Massachusetts Institute of Technology publizierten Artikel.
Libra, das neue globale Zahlungssystem, das Facebook, Mastercard, Visa, PayPal und andere wichtige Akteure im Jahr 2020 auf den Markt bringen wollen, dominiert in diesen Tagen die Nachrichten. Politiker und Regulierungsbehörden sind damit beschäftigt, eine Antwort auf die neue Zahlungsplattform zu finden, die scheinbar nach dem Vorbild der dystopischen E-Corp aus der Serie Mr. Robot aufgebaut ist. Nationale Regulierungen könnten allerdings angesichts der Marktnachfrage nicht ausreichen: Konsumenten sehnen sich nach einem benutzerfreundlicheren Online-Zahlungssystem und Händler hoffen auf einen kostengünstigeren Ersatz der derzeitigen kreditkartenbasierten Systeme. Eine Alternative ist das an der BFH gehostete «GNU Taler». Es bietet eine gesellschaftlich akzeptablere und dennoch ebenso transformative Zahlungstechnologie.
Was ist Libra?
Während Facebook Libra als «Kryptowährung» bezeichnet, hat deren Design wenig mit Bitcoin und anderen dezentralisierten Peer-to-Peer-Zahlungssystemen gemeinsam. Libra stellt im Grunde einen Anteil an einem Reservefonds, einem Korb aus etablierten Währungen, dar und ist somit ein sogenanntes «Stablecoin». Die genaue Zusammensetzung des Korbes wird durch das Libra-Konsortium festgelegt und gegebenenfalls geändert. Das Konsortium hat seinen Sitz in Genf und könnte daher durch die Schweizer Finanzbehörden reguliert werden. Die Schweizer Regulierungsbehörden sind dafür bekannt, dass sie keinen restriktiven Ansatz zur Regulierung von Kryptowährungen verfolgen. Transaktionen zwischen Libra-Wallets werden in einem Register unter Verwendung einer privaten Blockchain, einer vom Libra-Konsortium betriebenen Datenbank, gespeichert. Die Transaktionen werden von den Nutzern, die eine Zahlung tätigen, digital unterzeichnet. Nutzer werden Libra gegen etablierte Währungen über das Libra-Konsortium erwerben können. Facebook rechnet damit, die Kosten für den Betrieb des Systems durch die Zinsen aus dem Reservefonds decken zu können. Dies könnte allerdings angesichts des aktuellen Zinsniveaus in Europa schwierig werden – es sei denn, es wird ein grosser Anteil des Währungskorbes in US-Dollar gehalten.
KYC/AML vs. Datenschutz
Libra muss seine Nutzer ordnungsgemäss identifizieren, um die Einhaltung der Richtlinien zur Feststellung der Kundenidentität (Know-your-customer, KYC) und zur Bekämpfung der Geldwäsche (Anti-money-laundering, AML) sicherzustellen. Daher wird die Möglichkeit, mehrere Accounts zu erstellen, aus Datenschutzsicht bedeutungslos sein, da sowohl die Libra-Betreiber als auch die Behörden in der Lage sein werden, die Nutzer von Libra zu verfolgen. Diese Daten wären zwar für das zielgerichtete Werbegeschäft von Facebook und die Strafverfolgung von Vorteil, ermöglichen aber auch eine Bevölkerungskontrolle in noch nie da gewesenem Ausmass: Libra weiss, wo sich die Nutzer aufhalten, sieht ihre Transaktionen und kann Transaktionen auch nach Belieben blockieren. Es wird eine echte Herausforderung für die Regulierungsbehörden, sicherzustellen, dass diese Macht nicht durch wettbewerbswidriges Verhalten missbraucht wird. Libra-Bestände von ausländischen Staatsangehörigen können gefährdet sein, wenn die US-Regierung umfassende Sanktionen verhängt.
Zentralisiert vs. dezentralisiert
Ein grundlegendes Problem von Libra ist die Existenz eines zentralisierten Registers unter der Kontrolle des Libra-Konsortiums, das festhält, wer wie viel besitzt. Dies steht im krassen Gegensatz zu dezentralen Zahlungssystemen wie Münzen, Bargeld oder Bitcoin, bei denen die Wertsachen von Einzelpersonen aufbewahrt werden. Infolgedessen ist die Beschlagnahmung dieser Wertsachen schwieriger, was die Einflussnahme der Regierung auf den Einzelnen einschränkt. Solche disintermediierten dezentralen Zahlungssysteme sind allerdings auch problematisch, da die Behörden keine Möglichkeit haben, Transaktionen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Geschäften zu verfolgen und zu blockieren.
Was ist die Alternative?
1990 bereitete das niederländische Unternehmen DigiCash den Weg für einen dritten Ansatz, der durch den Einsatz von sogenanntem nicht zurückverfolgbarem elektronischem Geld nicht von diesen Nachteilen betroffen ist. DigiCash bot asymmetrische Anonymität: Datenschutz für Käufer und Transparenz für Verkäufer. DigiCash ging zwar bankrott, aber eine moderne Umsetzung des Ansatzes wird von Taler Systems SA mit dem «GNU Taler»-Protokoll [2] als freie Software bereitgestellt. In Taler gibt ein Zahlungsdienstleister nicht zurückverfolgbare elektronische Münzen an die Konsumenten aus, die diese wertvollen Token in elektronischen Wallets auf ihren eigenen Geräten aufbewahren. Sie können diese Münzen dann wie Bargeld bei Händlern ausgeben, ohne ihre Identität preiszugeben. Zur Sicherstellung der Transaktion müssen die Händler die Münzen beim Zahlungsdienstleister hinterlegen und so ihr Einkommen dem Staat offenlegen. Diese Einkommenstransparenz macht das System unattraktiv für kriminelle Aktivitäten, während die Vermögenswerte in den Wallets der Privatpersonen deren persönliche Freiheit schützen. Zudem ist das Taler-System so effizient, dass es Mikrozahlungen im Rappenbereich ermöglicht. Es hat dadurch das Potenzial, in vielerlei Hinsicht revolutionär zu werden.
Geldpolitik: nationales Geld vs. grenzüberschreitendes Geld
Libra und Taler unterscheiden sich auch in ihren Auswirkungen auf die nationale Souveränität: Libra soll mit einem Währungskorb arbeiten und so de facto eine neue Währung schaffen, die sich möglicherweise auf die Geldpolitik der zugrunde liegenden Währungen auswirkt, wenn sie gross genug wird. Während Konsumenten die Einfachheit der Verwendung einer Währung für Transaktionen weltweit geniessen mögen, zeigt die Eurozone die schwierigen Herausforderungen, welche sich aus der Einführung einer grenzüberschreitenden Währungspolitik in Ländern mit divergierender Volkswirtschaft ergeben. Mit dem Libra-Konsortium wird ein privates Unternehmen die Zusammensetzung der Vermögenswerte bestimmen, die Libra stützen, und so möglicherweise erhebliche politische Macht erlangen.
Im Gegensatz dazu kann Taler mit vielen verschiedenen Währungen eingesetzt werden und ermöglicht die Verwendung verschiedener Strategien für die Vermögenssicherung. So könnte Taler beispielsweise in einer nationalen Währung denominiert sein und den Gesetzen und Vorschriften des entsprechenden Landes unterliegen. Ein solcher Einsatz könnte von Geschäftsbanken angeboten werden, die die damit verbundenen regulatorischen Anforderungen erfüllen, oder von der jeweiligen Zentralbank instanziiert und als digitale Zentralbankwährung (central bank digital currency, CBDC), d. h. als Verbindlichkeit der Zentralbank, ausgegeben werden. In diesem Fall wäre Taler das digitale Äquivalent einer Banknote.
Egoistische Richtlinien mit TradeCoin beseitigen
Für grenzüberschreitende Zahlungen könnte ein internationaler Taler-Nennwert geschaffen werden, welcher beispielsweise durch reale Vermögenswerte gestützt wird. Wie bei Libra entstünde bei einer simplen Umsetzung das Problem, das ein Unternehmen die Vermögenssicherung dazu nutzen könnte, Vermögenswerte in eigennütziger Weise zu kontingentieren. Eine mögliche Lösung dafür ist TradeCoin, eine Permissioned-Blockchain, die zurzeit am MIT [3] entwickelt wird. Mit TradeCoin könnten sich Allianzen von beispielsweise breit angelegten Vermögensverwaltern wie Pensionskassen oder Staatsfonds zusammenschliessen, um ihren eigenen Nennwert einzuführen und ihre Ressourcen und ihren Ruf gemeinsam zu nutzen, um mit den etablierten nationalen Währungen zu konkurrieren. TradeCoin würde dann verwendet werden, um grössere Transaktionen in dem von TradeCoin bereitgestellten Register zu erfassen, während die Kombination mit Taler den Konsumenten private Mikrotransaktionen ermöglicht.
Eine offene Herausforderung für Libra und TradeCoin ist die weltweite Einhaltung von Richtlinien zur Feststellung der Kundenidentität (Know-your-customer, KYC) und zur Bekämpfung von Geldwäscherei (Anti-money-laundering, AML), ohne auf ein bestehendes Bankensystem angewiesen zu sein. Dies ist besonders schwierig, da aktuell KYC- und AML-Vorschriften aus der Politik einiger grosser Länder hervorgehen.
Das Libra-Konsortium und Entwicklungsländer
Das Libra-Konsortium, das bisher grösste Konsortium von Mega-Unternehmen, bedroht auch die aufstrebenden Bankensysteme von Entwicklungsländern. Für die Konsumenten kann der Transfer von Ersparnissen in ein Libra-Wallet eine Sicherheit gegenüber den Banken mit ihren hohen Gebühren und traditionellen Prozessen bieten. Wir sollten jedoch nicht erwarten, dass Visa, Mastercard und PayPal ihre äusserst lukrativen Geschäfte einfach aufgeben, insbesondere wenn sie durch den Zusammenschluss im Libra-Konsortium nicht mehr miteinander konkurrieren.
Taler hat sich ebenfalls zum Ziel gesetzt, ein globaler Standard zu werden. Allerdings würde Taler dadurch, dass mehrere Banken in der Lage wären, durch die Nutzung freier Software ihre eigene Zahlungsverarbeitung einzusetzen, einen wettbewerbsfähigen Markt für Bezahlungsdienstleistungen fördern statt diesen zu gefährden. Schliesslich würde eine Kombination mit TradeCoin Gruppen kleinerer Nationen befähigen, eine souveräne Geldpolitik zum Wohle ihrer eigenen Volkswirtschaften zu verfolgen.
Fazit
Die nächsten Jahre werden zeigen, wer sich in diesem Kampf der kryptographischen Zahlungssysteme der dritten Generation durchsetzen wird. Facebook hat zwar die Benutzerbasis, wird aber durch seine Vorgeschichte in Bezug auf Datenschutz gebremst. Ausserdem wird das Libra-Design von der Geldpolitik bis zur Kartellregulierung mit grossen Herausforderungen konfrontiert sein. Mit dem Taler-System könnten die Banken dennoch einen Weg finden, um im Online-Zahlungsverkehr zu konkurrieren, indem sie ihre bestehenden Kernkompetenzen, wie das Vertrauen der Kunden in das Bankgeheimnis und die nationalen Vorschriften, für sich nutzen.