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Schleichender Transformationsprozess im Gesundheitswesen zeigt Wirkung – eine Zwischenbilanz
28.11.2022 Die Gesundheitsversorgung befindet sich in einem Transformationsprozess, der zwar langsam vor sich geht, nun aber Wirkung zu entfalten beginnt: Mit den Absolvent*innen des Master-Studiengangs Pflege kommen Personen auf den Arbeitsmarkt, die Aufgaben übernehmen können, die zwischen den ärztlichen und den pflegerischen Aufgaben liegen. Die Einführung dieser neuen Berufsrollen in die Gesundheitsversorgung der Schweiz wird durch den Kanton Bern unterstützt. Das Modell ist einzigartig in der Schweiz.
Während insbesondere in angelsächsischen Ländern Berufsrollen auf Master-Stufe in den Gesundheitsberufen seit Jahren etabliert sind, ist deren Einführungsprozess in der Schweiz noch jung. So ist 2022 beispielsweise erst die*der tausendste Absolvent*in mit MSc-Abschluss in Pflege diplomiert worden. Diese tausend Absolvent*innen suchen im Arbeitsmarkt nun ihren Platz. Sie sind Pionier*innen und tragen als Change Agents die neuen Versorgungsmodelle in die Praxis.
Aber auch auf struktureller Ebene wird der Transformationsprozess vorangetrieben. Im Rahmen eines Pilotprojekts erhalten Berner Praxispartner*innen bereits seit 2019 Ausbildungsvergütungen für die Praktika der MSc-Student*innen Pflege. Die Berner Gesundheits-, Sozial und Integrationsdirektion – GSI verleiht dem Prozess damit politischen Rückenwind. Der Kanton Solothurn bekundete 2022 ebenfalls erstes Interesse am Vergütungsmodell der GSI. Profitieren von diesen Vergütungen können Organisationen, die Studierende aus der Vertiefungsrichtung «Nurse Practitioner» oder «Psychiatric Mental Health Nurse Practitioner» einen Praktikumsplatz anbieten. Die Vertiefungsrichtung bezeichnet die neue Berufsrolle, die mit dem Studium erlangt werden kann. Da die neuen Berufsrollen aus dem angelsächsischen Raum kommen, sind die Bezeichnungen der unterschiedlichen Rollen in Englisch gehalten. Nurse Practitioner, kurz NP, sind Pflegeexpert*innen, bei denen der Fokus auf vertieften klinischen Handlungskompetenzen (Physiologie, Pathophysiologie und Pharmakologie) liegt («Advanced Practice»).
Es ist ein Alleinstellungsmerkmal des Master-Studiengangs Pflege an der BFH, dass Praxisplätze zur Verfügung gestellt werden. «Die Praxisorganisationen sind ein wichtiger Player innerhalb des Studiums. Sie ermöglichen die praktische Bildung. Dafür brauchen die Organisationen aber eine gewisse Reife – eine ‹organizational readiness›», sagt Karin Ritschard Ugi, zuständig für die Praxisplatzbewirtschaftung an der BFH.
Supervisor*innen aus dem eigenen Nachwuchs
Ausserdem braucht es vor Ort eine Person, die die klinische Ausbildung sicherstelle. Das könne zum Beispiel eine Person mit Facharztausbildung sein. Karin Ritschard Ugi: «Wir haben aber auch Praxispartner*innen, bei denen mittlerweile die ausgelernten Nurse Practitioner die Supervision gewährleisten und sie so als Rollenmodell für die nächste Generation dienen. Das ist für uns natürlich der Idealfall und das längerfristige Ziel – den eigenen Nachwuchs in der klinischen Ausbildung betreuen.» Die ausgebildeten NPs gewährleisten, dass die pflegerischen Anteile während der klinischen Ausbildung genügend Platz erhalten. Etwas, das in den NP-Rollen neben den medizinischen Tätigkeiten genauso wichtig sei. «Wie es der Begriff schon sagt: Es sind Nurse Practitioner, nicht Medical Practitioner. Die pflegerische Komponente findet sich in der Beratung, Edukation, beim Schnittstellenmanagement, bei der Begleitung von pflegenden Angehörigen, usw.»
Wichtiges Signal des Kantons
Im Rahmen eines Pilotprojektes gibt es seit Start der Vertiefungsrichtung Nurse Practitioner im Herbst 2019 (siehe Kasten) eine Vergütung seitens der GSI. Elisabeth Stalder-Riesen, Bereichsleiterin nichtuniversitäre Gesundheitsberufe bei der Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) sagt dazu: «Wenn man die Versorgungsnotwendigkeit betrachtet, wird klar, dass diese Vertiefungen Zukunft haben werden – und Zukunft haben müssen. Darum vergüten wir den Betrieben die Ausbildungsleistung, wie wir das bei den anderen nicht-universitären Gesundheitsberufen schon seit Jahren machen.» Ritschard Ugi dazu: «Darauf kann der Kanton Bern meines Erachtens sehr stolz sein. Eine innovative Leistung und ein wichtiges Signal für die NP-/PMHNP-Rollen.»
Aktuell evaluiert Ritschard Ugi diese Zusammenarbeit und die Praktika bei der Vertiefung NP. «In der Evaluation stellten wir fest, dass die Vergütung für die Praxispartner*innen wichtig ist, aber nicht die primäre und einzige Motivation. Noch wichtiger wäre für sie, wenn die NP-Tätigkeiten nach Ausbildungsabschluss vergütet würden.» Die Praxisbetriebe erkennen, dass die NPs gut eingesetzt werden könnten, stossen aber organisatorisch und finanziell an ihre Grenzen, da insbesondere im ambulanten Bereich die korrekten und kostendeckenden Abrechnungsmöglichkeiten für diese neue Funktion fehlen. Dazu Elisabeth Stalder-Riesen: «Die Vertiefung selbst und die Arbeit, die die Nurse Practitioner leisten, ist ganz klar zukunftsweisend. Leider gibt es hier politische Hürden. Dass die Fachpersonen entsprechend abrechnen dürfen, muss auf Bundesebene initiiert werden.»
Die Daseinsberechtigung der NP-Rollen in der zukünftigen Grundversorgung stellten laut Karin Ritschard Ugi die befragten Praxisbetriebe nicht in Frage. Eher bestünden Fragen zur Positionierung, den Aufgaben und Kompetenzen, und eben: zur Leistungsabrechnung: «Dafür ist Praxisentwicklung und Organisationentwicklung wichtig. Wir als Bildungsinstitution können das nicht allein stemmen. Es braucht Politik und Praxis, um zu definieren, was fehlt und was es braucht.» Diese Zusammenarbeit hebt auch Elisabeth Stalder-Riesen hervor. «Bis sich etwas etabliert, vergeht immer Zeit.» Mit ein Grund, weshalb das GSI der Praxisvergütung zustimmte. «Damit wir im Kanton Bern die Versorgung gewährleisten können, ist das Zusammenspiel Praxis-Bildung-Politik zentral.»
Nutzen für die Praxisbetriebe
Hochaktuell bleibt auch die Suche nach neuen Praxispartner*innen an der BFH – die Nachfrage nach Studienplätzen ist gross. Die Ausbildungsentschädigung sei ein attraktiver Aspekt, um Plätze zu generieren. Dazu gesellen sich gemäss Karin Ritschard Ugi weitere Punkte, warum es sich lohnt, einen Platz anzubieten: «Es ist ein erstes Kennenlernen des Berufsbildes Nurse Practitioner oder PMHNP. Mögliche Themen und Arbeitsfelder für die NPs/PMHNPs können ausgetestet werden. So ist es eine Art unverbindliches Pilotprojekt für die Praxisbetriebe.»
Vertiefungsrichtungen NP und PMHNP
Im Herbst 2019 startete der Master-Studiengang Pflege der Berner Fachhochschule mit der ersten Durchführung der Vertiefungsrichtung Nurse Practitioner (NP). Die Vertiefungsrichtung Psychiatric Mental Health Nurse Practitioner (PMHNP) wurde im Herbst 2021 erstmals angeboten. Mit der konzeptionellen Neuausrichtung des Master-Studiengangs Pflege orientiert sich die BFH an den Bedürfnissen und Anliegen der Praxis. Die Studiengänge berücksichtigen aktuelle und neue Versorgungsmodelle und sollen die Master-Absolvierenden für anspruchsvolle Rollen als NP/PMHNP in den verschiedenen Praxissettings oder in der Forschung befähigen.
Durch die Impulse, welche die Vertiefungsrichtungen des MSc Pflege in der Praxis setzen, steigen die Ausbildungszahlen in beträchtlichem Masse. So sind zum Herbstsemester 2022 knapp 150 Studierende im MSc Pflege immatrikuliert.
Das Wichtigste in Kürze
Voraussetzungen, um Praxisbetrieb zu werden:
- Betrieb im Gesundheitsbereich mit Patient*innenkontakt (Arztpraxis, Alters- und Pflegeheim, Spital, Spitex, Psychiatrie, etc.)
- Supervisor*in vor Ort (Fachärzt*in, Nurse Practitioner)
Voraussetzungen, um die kantonalen Praxisvergütungen zu erhalten:
- Praxisort und Ausbildungsort im Kanton Bern
- Supervisionsvertrag (bei grösseren Betrieben mit unterschiedlichen Ausbildungsplätzen zusätzlich noch ein Rahmenvertrag) und jährliche Vereinbarung zwischen BFH und Praxisbetrieb