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Spitalvergleich bei elektiven Eingriffen: Neue Messmethode für mehr Transparenz

28.05.2024 Wie misst man Krankenhausqualität in Routinedaten? Die Berner Fachhochschule hat im Auftrag der SWICA eine neue Messmethode entwickelt, um die Spitalqualität bei elektiven Eingriffen zu erfassen. Basis dazu waren bereits erprobte Qualitätsindikatoren aus dem Ausland.

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Berner Fachhochschule entwickelte im Auftrag der SWICA eine neue Methode zur Bewertung der Spitalqualität bei elektiven Eingriffen.
  • Im Schweizer Gesundheitssystem sollen Patient*innen das Spital nach Qualität auswählen können, um Wettbewerb und bessere Leistungen zu fördern.
  • Die neue Methode berücksichtigt internationale Qualitätsindikatoren und passt sie für Schweizer Spitäler an, unter Berücksichtigung von Patientenrisiken mittels Machine Learning.

Das Schweizer Gesundheitssystem setzt – wie viele Industrieländer – auf den Qualitätswettbewerb. Patient*innen haben grundsätzlich die Möglichkeit das Spital auszuwählen, wo sie behandelt werden sollen. Diese Wahlfreiheit wirkt sich auch auf den Wettbewerb unter den Spitälern aus und führt – so die ökonomische Überlegung – zu ganzheitlich besseren Leistungen im Gesundheitswesen. Spitäler mit tiefer Behandlungsqualität verlieren Patient*innen, die besten Krankenhäuser hingegen werden mit höherem Marktanteil belohnt. 

Spitalvergleich bei elektiven Eingriffen

Kein verlässliches Messsystem und fehlende Transparenz

«Dass dieser Mechanismus funktionieren kann, braucht es im ersten Schritt eine verlässliche Messmethode mit relevanten Indikatoren zur Behandlungsqualität der Spitäler, und im zweiten Schritt Transparenz über die Ergebnisse», erklärt Tobias Müller, Professor für Gesundheitsökonomie an der BFH. Aber diese zwei Voraussetzungen seien im Schweizer Gesundheitssystem aktuell nur bedingt erfüllt. Zwar veröffentlicht u. a. das Bundesamt für Gesundheit (BAG) standardisierte Sterblichkeitsraten je Spital, diese sind aber bei elektiven Eingriffen wie Leistenbruchoperationen oder Hüftgelenkersatz weitgehend bedeutungslos, da der Tod ein Extremfall ist, der bei diesen Eingriffen ohnehin nur selten auftritt. «Die verfügbaren Qualitätsindikatoren sind also wenig hilfreich für die Spitalentscheidung von vielen Patient*innen», resümiert Tobias Müller. 

Untersuchungen zeigen, dass Patient*innen aktuell für eine Operation ihr Spital primär aufgrund von nicht-klinischen Faktoren, wie z. B. der Distanz zu ihrem Wohnort oder Spitalkomfort auswählen und nicht aufgrund von Qualitätsmerkmalen wie Komplikations- oder Infektionsraten nach einem Eingriff. «Die Nähe ist allerdings ein problematischer Indikator, der generell wenig mit der Behandlungsqualität zu tun hat», erläutert Tobias Müller. Ein wichtiger Grund, warum Qualitätsüberlegungen hierzulande wenig Einfluss auf die Spitalwahl haben, dürfte an der Intransparenz der Daten und der fehlenden Übersetzung in eine verständliche Skala liegen: «Für eine echte Wahl fehlt schlicht an relevanten und verständlich aufbereiteten Auswahlkriterien.»

Neue Messmethode für mehr Klarheit

Fakt ist: Schweizer Spitäler unterscheiden sich stark in der Qualität voneinander, und es besteht Potential für Verbesserungen zum Wohle der Patient*innen. «Niemand will sich aufgrund von missglückten Eingriffen erneut operieren lassen oder sich einen Infekt einholen», macht Tobias Müller das Ausmass deutlich. Zusammen mit weiteren Forscher*innen hat er im Auftrag der Krankversicherung SWICA auf Basis der internationalen Literatur eine neue Messmethode entwickelt, die die Behandlungsqualität von Spitälern bei elektiven Eingriffen abbildet.

Im Pilotprojekt wurden Qualitätsindikatoren für Leistenbruchoperationen und Hüftgelenkersatztherapien für über 100 Spitäler berechnet (siehe Ausführungen unten). Die Methodik wurde im Februar 2024 in der renommierten Wissenschaftszeitschrift «Health Services Research» publiziert und berücksichtigt bei der Qualitätsmessung die Unterschiede der Patientenrisiken u. a. mit Hilfe von Methoden aus dem Machine Learning. Heisst: Einige Krankenhäuser behandeln aufgrund ihrer Grösse komplexere Fälle als andere Krankenhäuser, was sie in einem direkten Vergleich benachteiligen würde. «Ohne eine Risikoadjustierung gäbe es ein verzerrtes Qualitätsbild», so Müller.

3-Sterne-Rating für Hüftgelenkoperationen in der Schweiz

3-Sterne-Rating für Hüftgelenkoperationen in der Schweiz

Die BFH hat für die Studie die Daten von über 100 Schweizer Spitälern zu den häufig vorkommenden Eingriffen Leistenbruchoperation und Hüftgelenkersatz verglichen. Die obenstehende Grafik zeigt die Revisionsrate bei Hüftgelenkersatz-Operationen. Sie weist aus, ob und wie häufig es nach der Operation zu Komplikationen und weiteren Eingriffen gekommen ist. Jeder Punkt entspricht einem Spital, die Grösse der Punkte zeigt die Fallzahl pro Jahr. Je grösser der Punkt, desto mehr Hüftgelenk-Operationen gab es im Spital.

Der Index auf der x-Achse nimmt einen Wert von 1 an fürs Durchschnittsspital in der Schweiz (rote vertikale Linie). Spitäler mit einem Index, der grösser ist als 1, weisen überdurchschnittlich viele Revisionen bei Hüftgelenkersatz-Operationen auf, was einer tiefen Qualität entspricht.

Die Farbe der Punkte zeigt die Klassifikation der Spitäler (1 bis 3 Sterne). Grüne Punkte (3 Sterne) stehen für die besten Spitäler, die violetten Punkte (1 Stern) weisen die schlechtesten Spitäler aus.

Lesebeispiel: Ein Spital mit dem Index 1.4 hat eine 40 Prozent höhere Revisionsrate als das Durchschnittsspital. Umgekehrt hat ein Spital mit einem Index 0.5 eine 50 Prozent tiefere Revisionsrate.

Qualitätsmessung: Wie weiter?

Qualitätsmessung wird im Schweizer Gesundheitswesen ein wichtiges Thema bleiben, an dem viele Stakeholder mitarbeiten. Gemäss Tobias Müller wäre die Messmethode auf eine Vielzahl an Eingriffen übertragbar. Und spezielle Daten sind dafür auch nicht notwendig. Die bereits erhobenen Routinedaten zu Spitälern des BFS eignen sich zur Berechnung von Qualitätsindikatoren.
 

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