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Drei gute Gründe für Alpine Solaranlagen – und vier dagegen
26.02.2024 Alpine Solaranlagen sind seit der Energiemangellage im Winter 2022 eine wiederholt diskutierte Option, die Energiewende zu bewirken. Wir zeigen, was für und was gegen Solargrossprojekte in den Bergen spricht.
Der Ruf nach alpinen Solaranlagen ist seit dem Herbst 2022 nicht mehr zu überhören. Mit dem Beginn des bewaffneten Konflikts in der Ukraine im Frühling, den Sanktionen des westlichen Europas gegen Russland und der postwendenden Bedrohung, dass Russland seine Gaslieferungen nach Europa einschränken könnte, kam zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg die Angst auf, dass auch in der Schweiz der Strom ausgehen könnte.
Emotionale Solaroffensive
Dieses Strommangelszenario hätte gravierende Auswirkungen auf Betriebe, Haushalte und Menschen in der Schweiz gehabt. Um es abzuwenden, hat der Bund eine Reihe von drastischen Massnahmen ergriffen. Darunter auch die «Solaroffensive». Als das Parlament die Solaroffensive am 1. April 2023 in Kraft setzte, brachte dies die Goldgräberstimmung in den Bergen vollends ins Rollen.
Die Diskussion der alpinen Solaranlagen war von Anfang an auch eine emotionale. «Run auf alpine Standorte in Graubünden» titelte der Tagesanzeiger, «Keiner will den Boom verpassen» die NZZ. Heute, mit etwas zeitlichem Abstand zu den Anfängen der Solaroffensive, eröffnet sich ein anderer, nüchterner Blick auf die Idee der alpinen Solaranlagen.
Die BFH-Solarexperten Christof Bucher und Dominik Füglistaller helfen dabei, das Thema ganz sachlich neu einzuordnen. Wir haben aus den Gesprächen mit ihnen die Vor- und Nachteile alpiner Solaranlagen aufgelistet und erklärt.
Vorteile Alpiner Solaranlagen
Wenig Optionen
Die Schweiz will punkto Energieversorgung unabhängiger und nachhaltiger werden. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten relativ begrenzt, wenn es darum geht, die Energieversorgung neu zu gestalten: Atomstrom ist gesellschaftlich schlecht akzeptiert, traditionelle Kraftwerke sind nicht nachhaltig, Windenergie ist je nach Standort umstritten und Wasserkraft nur noch beschränkt ausbaubar. Grosse Solarkraftwerke in den Alpen sind entsprechend eine willkommene Option, um künftig im grossen Stil nachhaltigen Strom zu produzieren.
Wertvoller Winterstrom
Ein weiterer Vorteil alpiner Solaranlagen besteht darin, dass ein Solarmodul in der Höhe übers Jahr rund anderthalbmal mehr Energie produziert als ein vergleichbares Modul im Flachland. Und – das ist entscheidend – alpine Solaranlagen liefern im Winter ungefähr 4 bis 5 Mal mehr Strom als Flachland-Paneele. Damit sind sie relativ gut dazu geeignet, winterliche Stromlücken zu füllen. Zudem dürfte der Anteil Winterenergie auch ökonomisch wertvoll sein.
Schnell mehr Strom
Das letzte und vielleicht wichtigste Argument für grosse Solarkraftwerke in den Alpen ist die Möglichkeit, relativ schnell viel zusätzliche Kapazität zuzubauen. Anders als bei Solarbauten auf bestehenden Dächern, wo die geringe Sanierungsrate, Interessenskonflikte oder fehlende Investitionsbereitschaft den Ausbau bremsen können, kommen bei alpinen Grossprojekten neue, finanzkräftige Investoren ins Spiel, die Erfahrung mit der raschen Umsetzung von Grossprojekten haben. Mit alpinen Solaranlagen beschleunigt man also – zumindest in der Theorie – die Energiewende.
Nachteile Alpiner Solaranlagen
Neue Anlagen
Normalerweise wird Solarstrom auf bestehenden Dächern aufgebaut. Dadurch entstehen geringe Aufwände für den Unterbau der Paneele. Bei alpinen Solaranlagen sieht dies anders aus. Diese können nirgends hinzugefügt, sondern müssen vom Fundament auf neu gebaut werden.
Hohe Kosten
Der grosse Aufwand für die baulichen Vorbereitungsarbeiten, welche Wind und Wetter in hochalpinen Lagen standhalten müssen, machen alpine Solaranlagen teuer – im Bau und im Betrieb. Christof Bucher schätzt, dass Strom aus alpinen Solaranlagen deswegen um einen Faktor 2 bis 4 teurer wird als Solarstrom aus dem Flachland.
Grosser Flächenbedarf
Eine alpine Solaranlage hat gesetzlich die Auflage, mindestens 10 Gigawattstunden Strom zu produzieren. Für die Produktion einer Gigawattstunde Solarstrom rechnet Dominik Füglistaller mit etwa einer Hektare Platzbedarf. Für ein «kleines» alpines Solarkraftwerk bräuchte man also 10 bis 12 Mal die Fläche des Rasens des Berner Wankdorfs.
Mangelnde Akzeptanz
Ihre hohen Kosten und ihr oft als störend wahrgenommener Einfluss auf die lokale Bergwelt führen dazu, dass alpine Solarkraftwerke – anders als kleinere, dezentral installierte Solaranlagen – zunehmend auch unter Akzeptanzmangel leiden.
Das alpine Solarkraftwerk als schnelle Lösung der Energiemangellage verliert bei Umweltverbänden, öffentlichen Geldgeber*innen und privaten Investor*innen immer mehr von seinem ursprünglichen Glanz. Christof Bucher geht davon aus, dass in den nächsten Jahren zwar einzelne alpine Solarkraftwerke realisiert werden. «Entscheidend werden aber die Kosten sein», ist er überzeugt, «am Schluss dürfte der Solarstrom aus den Alpen zu teuer sein und wird dadurch nicht der grosse Game Changer auf dem Weg zur Energiewende werden».
Wir haben nicht sehr grosse Flächenreserven.
Alternative AgriSolar
Die Frage nach nachhaltigen Alternativen drängt sich also wieder auf. Mit Agri-Photovoltaik treiben die beiden Forscher einen möglichen Lösungsansatz gemeinsam voran: Dabei werden landwirtschaftliche Flächen oder Gewächshäuser wie gewohnt für die Produktion von Obst, Beeren oder Gemüse genutzt. Gleichzeitig produzieren Solarpaneele über den Pflanzen elektrische Energie, dienen als Sonnen-, Wind- und Wetterschutz, kühlen und können Schädlinge unterdrücken, erklärt Dominik Füglistaller das Konzept Agri-Photovoltaik.
Möglich wurde diese innovative Mehrfachnutzung mit der Änderung der Raumplanungsverordnung 2022. «Im Vergleich zu neuen Anlagen in den Bergen ist Agri-Photovoltaik sehr viel einfacher umsetzbar», ergänzt Christof Bucher. Er ist überzeugt, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn wir bestehende Infrastruktur besser für die Produktion von Solarenergie nutzen, denn: «Wir haben nicht sehr grosse Flächenreserven.»
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