- Story
Reha-Nachsorge: «Es braucht skalierbare und kostengünstige Lösungen»
28.03.2024 Dr. Thimo Marcin leitet die Forschung am Berner Reha Zentrum in Heiligenschwendi und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Inselspital Bern. Im Interview spricht er über die Gründe, warum sich die Verfassung einiger Patient*innen wieder verschlechtert, sobald sie aus der Reha ausgetreten sind, und über die Frage, welches Potenzial die Reha-Zentren bei der Begleitung der Patient*innen in ihrem Zuhause haben.
Warum ist die Reha bei Krankheitsbildern wie Lungenkrebs oftmals nicht nachhaltig?
Thimo Marcin: Einerseits liegt es in der Natur einiger chronischer Erkrankungen, dass sich diese weiter verschlechtern können. Andererseits fällt es betroffenen Personen oft schwer, ihre Gewohnheiten zu ändern und sich für einen gesünderen Lebensstils einzusetzen. Stationäre Rehabilitationsprogramme bieten Unterstützung in Form von Aufklärung und Beratung, aber die übliche Dauer von etwa drei Wochen ist oft zu kurz für langfristige Verhaltensänderungen. Der Fokus der Reha liegt häufig auf der Verbesserung des Gesundheitszustandes und der Wiedereingliederung. Patient*innen müssen sich nach dem stark betreuten Umfeld in der Reha erst zurechtfinden und neu organisieren. Unter diesen Umständen rücken für sie gute Vorsätze, die den Lebensstil betreffen, nach dem Austritt in den Hintergrund.
Wir unterscheiden die Lebensstilbereiche Schlaf, Ernährung, Bewegung, Achtsamkeit, soziale Beziehungen und Unabhängigkeit von Substanzen. In welchen Lebensstil-Bereichen könnten Interventionen zu Hause nach einer Reha unterstützen?
Thimo Marcin: Lebensstil-Interventionen können in allen Bereichen unterstützen, aber der Bedarf variiert individuell. Manche Patient*innen bewegen sich bereits häufig, könnten aber von einem Stressmanagement profitieren. Andere fühlen sich ohne fachliche Supervision unsicher beim Heimtraining oder benötigen Hilfe, um langfristig aktiver zu sein.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Reha-Zentren, die Menschen auch in ihrem Zuhause bei der Führung eines gesunden Lebensstils zu begleiten? Ist es die Aufgabe der Reha-Zentren?
Thimo Marcin: In den Reha-Zentren wären die notwendige Fachkompetenz und das Interesse sicherlich vorhanden. Wir kennen die Patient*innen mit ihrer Krankheitsgeschichte, was eine angemessene Beratung und Unterstützung ermöglicht. Solche telemedizinischen Angebote sind aber im aktuellen stationären Vergütungsmodell nicht abrechenbar.
Entscheidend bei allen Interventionen ist, dass schon bei der Entwicklung solcher Nachsorgeprogramme Betroffene und Gesundheitsfachpersonen miteinbezogen werden.
Welche Form müssten solche Lebensstil-Interventionen haben?
Thimo Marcin: Es braucht skalierbare und kostengünstige Lösungen, die angesichts des Fachkräftemangels einen möglichst geringen Personaleinsatz erfordern. Digitale Interventionen haben das Potenzial dazu – dementsprechend gibt es bereits zahlreiche Apps und Plattformen. Die technologische Kompetenz unserer Patient*innen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Idealerweise würden die Patient*innen bereits während der Reha im Umgang mit diesen digitalen Lösungen geschult. Viele bevorzugen aber nach wie vor den persönlichen Austausch mit einer Fachperson. Insofern könnte eine Kombination aus einer digitalen und möglichst automatisierten Intervention und einer punktuellen fachlichen Unterstützung am erfolgversprechendsten sein.
In welchem Lebensstil-Bereich nehmen Sie aktuell die grösste Dringlichkeit wahr? Und wo liegt das grösste Entwicklungspotenzial?
Thimo Marcin: Das lässt sich so pauschal nicht sagen, weil die Bedürfnisse sehr individuell sind. Umso wichtiger erscheint es mir, dass die Interventionen auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten werden können. Gerade die generative künstliche Intelligenz bietet hier spannende neue Möglichkeiten. Entscheidend ist aber bei allen Interventionen, dass Betroffene und Gesundheitsfachpersonen schon bei der Entwicklung solcher Nachsorgeprogramme miteinbezogen werden. Hier möchten wir am Berner Reha Zentrum neue Wege gehen und mit einem sogenannten Patient Innovation Lab einen Ort schaffen, an dem Forscher*innen und Entwickler*innen zusammen mit Betroffenen ihre Lösungen im Sinne dieses Co-Creation Ansatzes weiterentwickeln können.
Lebensstil-Interventionen im Fokus
Die Förderung eines gesunden Lebensstils gewinnt zunehmend an Bedeutung bei der Prävention von Krankheiten und bei der Rehabilitation nach Krankheitsfällen. Deshalb veröffentlichen wir an dieser Stelle eine Reihe von Beiträgen zu unserem Forschungsfeld Lebensstil-Interventionen. Auch das Symposium Fokus Gesundheit widmet sich diesem Schwerpunktthema mit ausgewiesenen Fachexpertinnen und Fachexperten.