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«Als Ingenieurin mit einer körperlichen Behinderung habe ich zwei Perspektiven»
28.08.2023 Diana Guimaraes ist Doktorandin, Ingenieurin und im Alltag auf den Rollstuhl angewiesen. Sie bringt wertvolle Erfahrungen mit für die Entwicklung von Produkten, die das Leben von Menschen mit einer Behinderung erleichtern. Drei Monate lang war die Portugiesin aus Porto Praktikantin im Labor für Rehabilitationstechnik der Berner Fachhochschule BFH.
Diana, du hast Elektrotechnik studiert und promovierst aktuell an der Universität von Porto. Was hat dich dazu bewogen, ein Praktikum an der BFH zu absolvieren?
Vor ein paar Jahren habe ich vom Cybathlon gehört, einem internationalen Wettbewerb, bei dem sich Menschen mit körperlichen Behinderungen beim Absolvieren alltagsrelevanter Aufgaben messen. Unterstützt werden sie dabei von modernsten technischen Assistenzsystemen. Ich dachte mir, dass meine Fähigkeiten als Elektroingenieurin nützlich sein könnten, also habe ich mich über die teilnehmenden Teams informiert und die BFH war eines davon. Ich kontaktierte Kenneth Hunt, Leiter des Teams BFH-CybaTrike, das in der Disziplin «FES – Functional Electrical Stimulation Bike Race» antritt, und Leiter des Labors für Rehabilitationstechnik (rehaLab). Er hat sofort geantwortet und mir eine Praktikumsstelle angeboten. Während den drei Monaten habe ich dann nicht nur mit dem Team vom rehaLab gearbeitet, sondern auch mit dem vom SCI-Mobility Labor. Die beiden Labors liegen nicht nur direkt nebeneinander, sondern arbeiten oft auch eng zusammen.
Warum interessierst du dich besonders für die funktionelle Elektrostimulation?
Weil sie nicht nur Bewegung ermöglicht, sondern auch für die Gesundheit der Nutzenden von Vorteil ist, da wir die Muskeln direkt ansprechen und aktivieren. Ausserdem findet auch eine Übertragung von den Muskeln zum Gehirn statt. Das bedeutet, dass das Gehirn möglicherweise wieder ein Bewusstsein für die Bewegung entwickelt, das Muster für das Gehen oder Radfahren erlernt und anfängt, mitzuarbeiten.
Was hat dir an der Arbeit im rehaLab und dem SCI-Mobility-Lab besonders gefallen?
An der Universität Porto bin ich die Einzige, die im Bereich der Entwicklung von Lösungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität arbeitet. Hier beschäftigt sich ein ganzes multidisziplinäres Team mit dem Thema. Wenn Studierende die Möglichkeit haben, in diesem Team mitzuarbeiten, sollten sie das meiner Meinung nach unbedingt tun. Sie können viel von den Menschen, die hier arbeiten, lernen und gleichzeitig dazu beitragen, das Leben der zukünftigen Generation von Menschen mit Behinderungen zu erleichtern.
In deiner Doktorarbeit arbeitest du an einem neuen Produkt. Was genau entwickelst du?
Das Thema meiner Doktorarbeit lautet «Entwicklung von Systemen zur Unterstützung der Fortbewegung für Menschen mit Behinderungen». Ich versuche, ein tragbares FES-System zu entwickeln, das die Bewegung erkennt und den richtigen Muskel aktiviert. Das System sollte ausserdem so klein sein, dass es direkt am Körper getragen werden kann und den/die Benutzer*in nicht stört.
Was hat dich dazu bewogen, deine Karriere diesem Bereich zu widmen?
Das ist meine Art, hilfreich zu sein, anstatt nur zu kritisieren. Denn ich denke, dass die Produkte für Menschen mit Behinderungen besser sein müssen. Die Technologie ist vorhanden, aber die Produkte sind oft unzureichend. Ich wurde mit einer Cerebralparese geboren und bin selbst auf den Rollstuhl angewiesen. Es kann frustrierend sein, all die verfügbaren Technologien zu sehen, nur um festzustellen, dass die spezifischen Produkte für viele Menschen, mich eingeschlossen, oft nicht funktionieren, und dass kleine und einfache Änderungen einen grossen Unterschied machen könnten.
Woran liegt das deiner Meinung nach?
Natürlich ist jede Behinderung sehr unterschiedlich, und selbst innerhalb einer Gruppe von Behinderungen ist jeder Mensch anders. Das macht die Entwicklung von Produkten schwieriger. Dennoch glaube ich, dass die Unternehmen die Perspektive der Nutzenden und die praktischen Aspekte oft nicht ausreichend in den Entwicklungsprozess einbeziehen. Das führt zu einer Kluft zwischen der technischen Seite und der Nutzerseite. Das ist der Grund, warum die Zusammenarbeit mit Sebastian Tobler vom SCI-Mobility Lab so besonders ist: Er ist wie ich ein Nutzer und ein Ingenieur, hat also beide Perspektiven.