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Damit klar ist, wo man den Hebel ansetzen muss
16.10.2023 Wie unterstützt unsere Forschungspartnerschaft die politische Arbeit der Caritas? Wie sind dabei die Rollen zwischen den beiden Partnern aufgeteilt? Und welche Vorteile ergeben sich daraus für die eigene Projektentwicklung? Aline Masé, Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik der Caritas, berichtet über die langjährige Zusammenarbeit.
Frau Masé, vor dreieinhalb Jahren begann mit dem Projekt «Armutsmonitoring» eine erfolgreiche Forschungspartnerschaft zwischen der Caritas und der BFH. Wie kam es dazu?
Der Ausgangspunkt dafür liegt im Jahr 2018, als der Bundesrat es im Rahmen der Nichtfortführung der «Nationalen Plattform gegen Armut» ablehnte, das dringend empfohlene Armutsmonitoring einzuführen. Daher wurde Caritas auf der kantonalen Ebene aktiv, da dort bei der Armutsbekämpfung die entscheidenden politischen Kompetenzen liegen. Aufgrund bestehender Kontakte wurden wir auf das Nationalfonds-Projekt der Berner Fachhochschule aufmerksam, das mittels verknüpften Steuerdaten Armutssituationen aufzeigen konnte. Im Gespräch wurde meiner Vorgängerin rasch klar, dass dies eine hervorragende Datenbasis für ein Armutsmonitoring darstellen würde.
Mittlerweile wurde das Modell in Basel-Land eingeführt. Der Kanton Wallis steht unmittelbar vor der Umsetzung und weitere Kantone sind interessiert. Welchen Nutzen zieht die Caritas daraus und inwiefern hat dies Ihre Arbeit in den Kantonen verändert?
Im Kanton Basel-Land stellt das Armutsmonitoring für uns einen Einstiegspunkt dar, um mit konkreten Themen mit der Verwaltung ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel merkte ich, dass Statistische Ämter – mit denen ich zuvor wenig Kontakt hatte – sehr offen sind für Projekte und Auswertungen im Bereich Armut. Das Kapitel zum Nichtbezug von Sozialhilfe löste im Kanton einige Diskussionen aus. Inwiefern sich nun die Situation für Armutsbetroffene verbessert, lässt aber erst mit der Zeit sagen, wenn die getroffenen Massnahmen greifen.
Aline Masé ...
...leitet seit 2019 die Fachstelle Sozialpolitik und zusätzlich seit 2022 das Team Grundlagen der Caritas Schweiz. Sie studierte in Basel und Utrecht Geschichte und promovierte 2018 an der Universität Bern. Im NFP-Projekt «Armut und Soziale Sicherheit» der BFH vertritt sie die Caritas als Hauptpraxispartnerin.
Die Caritas ist nun auch Praxispartner beim NFP-80 Projekt «Armut und Soziale Sicherheit», das bis 2026 läuft. Was ist die Rolle von Caritas in diesem Projekt und was verspricht sich die Caritas durch die Zusammenarbeit mit der BFH?
Wir sind Hauptpraxispartnerin und liefern Erfahrungsdaten sowie Expert*innenwissen in Interviews. Vom Projekt erhoffen wir uns Erkenntnisse, was staatliche und zivilgesellschaftliche Unterstützungsleistungen bewirken und wie sie zusammenspielen. Das ist unter anderem fürs zukünftige Krisenmanagement entscheidend, wenn eine rasche und gezielte Entlastung nötig ist. Das Projekt hilft uns auch intern, unsere eigenen Daten besser zu erheben und noch schneller zu erkennen, wenn die Armut zunimmt oder neue Personengruppen erreicht.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen einer NGO und einem Hochschulinstitut? Inwiefern befruchteten die unterschiedlichen Perspektiven einander?
Im aktuellen Projektteam um Oliver Hümbelin sind sehr wenig «Übersetzungsleistungen» unsererseits notwendig, da neben dem wissenschaftlichen Interesse auch das Verständnis für die politische Relevanz der Fragestellungen vorhanden ist. Dies ist nicht selbstverständlich. So kamen uns im Ping-Pong neue Ideen fürs Projekt. Dabei profitiertet die Caritas auch vom Wissen über aktuelle Forschungslücken oder übers Analysepotenzial bestehender Daten.
Jedoch haben wir als Caritas gerade kommunikativ eine andere Rolle. Anhand des Forschungsberichts können wir nach aussen auch eine einfache, pointierte Übersetzung der Inhalte formulieren und direkter politische Forderungen stellen. Da die Caritas den Anspruch hat evidenzbasiert zu arbeiten, ergeben sich daraus jedoch keine Divergenzen, sondern eine gute Rollenteilung. Entsprechend ist es mir wichtig, den Austausch mit der Forschung laufend auszubauen.
Nur wenn klar ist, welche politischen Massnahmen greifen, weiss man auch, wo man den Hebel für Änderungen ansetzen muss.
Wie beurteilen Sie das Potenzial evidenzbasierter Sozialpolitik in der Schweiz generell. Gibt es Bereiche, in denen Sie sich eine bessere Faktenlage für ihre Arbeit wünschen?
Gerade im Bereich Armut gibt es zu wenige Daten und somit auch zu wenig Wissen. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass die Daten auf Kantonsebene erfasst werden und grosse Unterschiede bei der Qualität und Analyse der Daten bestehen. Zudem sind es teilweise auch hochkomplexe Fragen, die es zu beantworten gibt. Insbesondere beim Nichtbezug von Bedarfsleistungen wie Sozialhilfe oder EL sehe ich noch viel Potenzial. Denn wenn der Sozialstaat einen erheblichen Teil seiner Zielgruppe nicht erreicht, haben wir ein Problem. Auch kennen wir zwar bestimmte Armutsrisiken, z.B. bei Personen, die einen Migrationshintergrund haben oder alleinstehend sind, können aber nicht sagen, was nun die exakten Gründe dafür sind. Ebenso sind die Auswirkungen von klimapolitischen Massnahmen auf ärmere Haushalte weitgehend unerforscht. Möglichkeiten, die Forschungspartnerschaft mit der BFH weiterzuführen, sind somit noch für längere Zeit vorhanden.
In Zusammenarbeit mit der Caritas entstandene Studien und Projekte
Rubrik: Forschung, Dienstleistungen