Neuauflage des Leitfadens Mediation im Kindesschutz

25.01.2024 Der von der BFH 2018 aufgelegte Leitfaden Mediation im Kindesschutz wird noch immer häufig nachgefragt und rege genutzt. Zurzeit überarbeitet die BFH den Leitfaden, um die Erfahrung der Praxis noch stärker einzubeziehen. Wie sich dieser Prozess gestaltet, wo der Optimierungsbedarf zu finden ist und was Sie vom Leitfaden erwarten dürfen, lesen Sie hier.

Titelbild Letifaden Mediation im Kindesschutz

Stellen Sie sich vor: Die geschiedenen Eltern von Dana streiten sich, und zwar so, dass die Eltern nur noch über die Beiständin miteinander kommunizieren, die Übergabe von Dana auf einem öffentlichen Parkplatz stattfindet und die Eltern sich aufgrund von Misstrauen und Unzufriedenheit regelmässig den für Dana beschlossenen Regelungen widersetzen. Es kommt so weit, dass Dana beispielsweise keine neue Brille bekommt, weil sich die Eltern darüber streiten: darüber, ob sie eine neue Brille braucht oder nicht. Und wenn sie eine braucht, wer sie bezahlt. Auch die Ferienaufteilung gibt immer wieder Anlass für Streitereien. Die Eltern reden schlecht übereinander. Dana befindet sich mitten in diesem Kreuzfeuer und reagiert darauf. Es kommt zu einer Gefährdungsmeldung.

Solche und ähnliche Elternkonflikte im Zusammenhang mit Trennungen und Scheidungen und deren Auswirkungen auf die Kinder sind für die Soziale Arbeit ein wiederkehrendes und leider häufiges Thema. Trotz der Häufigkeit ist jeder Fall individuell anders und immer wieder ist es eine Herausforderung, mit diesen elterlichen Streitigkeiten umzugehen. Besonders schwierig wird es, wenn die Konflikte andauern, sich verschärfen beziehungsweise eskalieren.

Wir freuen uns über Ihr Feedback.

Es wird unseren Leitfaden verbessern, wenn wir wissen, was Ihnen gefällt und hilfreich ist. Noch wichtiger ist es für uns, zu erfahren, was fehlt oder genauer erklärt werden muss. Gerne nehmen wir auch allgemeines Feedback entgegen: Was scheint Ihnen noch wünschenswert? Herzlichen Dank an alle, die ihre Erfahrungen mit dem Leitfaden mit uns teilen.

Hier geht es zur Online-Umfrage.

Was hilft bei andauernden Konflikten?

Studien zeigen, dass «Zwistigkeiten und erbitterte Konflikte zwischen den Eltern meist negative Auswirkungen auf die Kinder und ihre psychosoziale Entwicklung haben» (Asen, Eia & Morris, Emma, 2021, S. 20). Die Kinder zeigen beispielsweise Verhaltensprobleme wie aggressives oder feindseliges Verhalten, kognitive Dissonanzen, psychosoziale Anpassungsschwierigkeiten oder die Kinder leiden unter Depressionen und Ängsten (Asen, Eia & Morris, Emma, 2021). Obwohl die Eltern zumeist rational wissen, dass ihre Streitigkeiten die Kinder stark belasten und negative Auswirkungen auf ihre psychosoziale Entwicklung haben können, ist es den Eltern oft nicht möglich, sich ohne professionelle Hilfe aus diesen konflikthaften Situationen zu befreien (van Lawick & Visser, 2017). 

Für den Umgang mit Elternstreitigkeiten gibt es verschiedene Interventionen. Wie der Artikel von Jenzer, Stalder und Hauri (2018) zeigt, gibt es verschiedene Gruppen von Interventionen, die auf die Arbeit mit Eltern fokussieren: Verfahren zur Lösungsfindung durch Betroffene, Beratungsansätze und Elternkurse. Zur Gruppe der Verfahren zur Lösungsfindung durch Betroffene gehören die Mediation und der Elternrat, zu den Beratungsansätzen zählen die kindfokussierte Beratung, die angeordnete Beratung sowie die lösungsorientierte Begutachtung. Als Beispiel für einen Elternkurs wird der Kurs «Kinder im Blick» genannt (Jenzer et al., 2018). Zusätzlich zu diesen Angeboten gibt es auch auf die Kinder ausgerichtete Ansätze, zum Beispiel sogenannte Kurse für Scheidungskinder oder Gruppentherapien für Kinder, die von Sozialberatungsstellen angeboten werden. Welche Intervention zielführend ist beziehungsweise welche Kombination von Interventionen zielführend sein könnte, ist jeweils Bestandteil der Abklärungen, die Fachpersonen im Rahmen des eröffneten Abklärungsverfahrens im Zusammenhang mit der Gefährdungsmeldung durchführen.

Zu den bereits gut etablierten Interventionen zur Klärung von Konflikten in familiären Systemen zählt sicher die Familienmediation. Sie birgt auch bei solch schwierigen Voraussetzungen Potenzial, die Situation zu verbessern und damit eine mögliche Kindeswohlgefährdung zu vermeiden oder zu reduzieren. Dieser Ansicht war zumindest 2015 eine Gruppe von Mediator*innen aus dem Kanton Bern, die ganz unterschiedliche Funktionen innehatten: Behördenmitglieder der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB), Sozial­arbei­ter*­innen in abklärender und beratender Funktion, Berufs­bei­ständ*­innen, Dozent*innen der BFH mit Schwer­punkt Familien­mediation und freischaffende Familien­media­tor*innen. Doch fragten sich alle Beteiligten: Wird diese Methode immer optimal angewendet? Was sollten die Leitlinien zur Anwendung dieser Methode sein?

Der bisherige Leitfaden Mediation im Kindesschutz

Wer sich den Leitfaden Mediation im Kindesschutz 
genauer anschauen möchte, findet den Leitfaden hier.

So entstand der Leitfaden

Deshalb trafen wir uns in dieser Gruppe über drei Jahre hinweg regelmässig zu Workshops und erarbeiteten den ersten Leitfaden für Mediationen im Kindesschutz – immer mit dem Ziel vor Augen, die Zusammenarbeit zwischen den KESB beziehungsweise Zivilgerichten und den Mediator*innen zu stärken und zu optimieren. Dazu gehörten nicht nur inhaltliche Fragen, sondern auch die Abläufe wie Auftragserteilung, Finanzierung, Vertraulichkeit und Transparenz wurden standardisiert und die Qualitätssicherung gezielt vereinheitlicht (Allemann et al., 2018, S. 4). Schliesslich konnten wir die erste Version des Leitfadens 2018 «als Empfehlung und Anregung zu einer Best Practice» (Allemann et al., 2018, S. 4) publizieren. Seither sind ein paar Jahre vergangen und der Leitfaden hat sich langsam, aber sicher verbreitet. Inzwischen konnte das Zielpublikum einige Erfahrungen damit machen.

Bereits im Sommer 2020 tauschten die Autor*innen erste Erfahrungen aus, ob und wie der Leitfaden genutzt wird und ob dieser nutzbringend gestaltet ist. Aufgrund der Rückmeldungen wurden verschiedene Ideen entwickelt, wie der Leitfaden optimiert und für die Zielgruppe nützlicher gestaltet werden könnte. Haupterkenntnis war, dass der Leitfaden noch kompakter und übersichtlicher sein könnte. Zudem sollten einige Themen präzisiert oder ergänzt werden. Beispielsweise müsste noch genauer geklärt werden, wie mit der Vertraulichkeit umgegangen wird. Dies ist wichtig, damit die verschiedenen Akteur*innen KESB oder der Gerichte und Media­tor*innen oder Sozialarbeitende nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Auch wurde eine vertiefte Hilfestellung gewünscht, wie die KESB und das Gericht den konkreten Auftrag ausformulieren müssen.

Wir möchten Sie weiterhin einladen, uns Feedback zu geben, denn für uns ist jeder Input wertvoll.

Tanja Lutz
Tanja Lutz Dozentin Mediation und Konfliktmanagement

Was liegt noch drin?

Um diese Ideen weiter zu konkretisieren und um die Erfahrungen der Zielgruppe noch genauer zu erfassen, haben wir im September 2023 eine Online-Umfrage bei den KESB, Zivilgerichten, Sozialdiensten und Media­tor*innen lanciert. Die Rücklaufquote war zwar sehr tief, aber dennoch erhielten wir sehr interessante Rückmeldungen. Es scheint, dass sich der Leitfaden insbesondere für Fachpersonen eignet, die noch wenig Erfahrung mit angeordneten Mediationen haben. Besonders dann scheint der Leitfaden eine nützliche Orientierung zu geben. Positiv herausgehoben werden zudem die Informationen, in welchen Fällen die Methode angewendet werden kann und in welchen nicht. Auch die Erklärungen zur Finanzierung und Kostenaufteilung sowie zum Ablauf an sich wurden gelobt. Präzisierungen bräuchte der Leitfaden insbesondere beim Thema Erfolg und Misserfolg. Es stellt sich die Frage, was genau unter Erfolg verstanden wird, wie sich Erfolg auch ohne Vereinbarung zeigen kann und wann eine Mediation tatsächlich «misslungen» ist. Zudem sind – wie schon von uns vermutet – Ergänzungen im Abschnitt zur Ausarbeitung von Vereinbarungen nötig.

Ein Kernteam der Autorenschaft wird nun diese Ergebnisse weiter auswerten und im Verlaufe des Jahres die Überarbeitung des Leitfadens in Angriff nehmen. Nachdem wir bei der Praxis bereits Rückmeldungen und Optimierungswünsche eingeholt haben, möchten wir Sie weiterhin einladen, uns Feedback zu geben (siehe Kasten), denn für uns ist jeder Input wertvoll.
Sobald der Entwurf des überarbeiteten Leitfadens vorliegt, wird es eine weitere Runde mit der Praxis geben, indem der Entwurf gezielt einzelnen Vertretungen der unterschiedlichen Zielgruppen zur Prüfung vorgelegt wird. Der Leitfaden Mediation ist und bleibt damit ein Instrument angeregt aus und entwickelt für die Praxis.

Was wir auch noch vorhaben: Wünschenswert wäre, den Leitfaden auch der französischsprachigen Schweiz zugänglich zu machen. Wer weiss, vielleicht wird es längerfristig auch eine interaktive Online-Version des Leitfadens geben. Die Ideen gehen uns nicht aus. Es gibt jedenfalls auch in Zukunft Optimierungspotenzial, sodass sich der Leitfaden stetig weiterentwickeln kann. Die Hoffnung besteht, dass für Kinder wie Dana möglichst rasch und gut überlegt entschieden wird, ob eine Mediation sinnvoll ist und was zu beachten ist, damit sie erfolgreich ist, denn wie sich in einer Studie der BFH zeigte, ist der Zeitpunkt der Mediation oft entscheidend für ihren Ausgang (Lutz & Frigg, 2017, S. 8–9). Wir bleiben motiviert. 

Literatur

Allemann, B., Borner, B., Domenig, C., Hasler-Arana, P., Kindler, A., Lutz, T., Riedl, K., Wermuth, E., & Williner, C. (2018). Leitfaden Mediation im Kindesschutz: Grundlagen, Indikation, Arbeitsweisen, Zusammenarbeit. Bern: Berner Fachhochschule.
Asen, E. & Morris, E. (2021). Kinder im Kreuzfeuer. Systemische Arbeit bei massiven Elternkonflikten. Heidelberg: Carl-Auer Verlag.
Jenzer, R., Stalder, J., & Hauri, A. (2018). Psychosoziale Interventionen bei Elternstreitigkeiten im zivilrechtlichen Kindesschutz. Zeitschrift für Kindes- und Erwachsenenschutz, 6, 427–454.
Lutz, T., & Frigg, M. (2017). Angeordnete Mediation im zivilrechtlichen Kindesschutz: Forschungsbericht. Bern: Berner Fachhochschule
van Lawick, J., & Visser, M. (2017). Kinder aus der Klemme: Interventionen für Familien in hochkonflikthaften Trennungen. Heidelberg: Carl-Auer Verlag.

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