Familien(er)leben in Erwerbsarmut. Perspektiven von Kindern und Eltern

Erwerbstätigkeit schützt nicht zwingend vor Armut. In der Schweiz sind 7.4% aller Erwerbstätigen armutsgefährdet. In zwei Dritteln der betroffenen Haushalte leben Kinder. Wie erleben Kinder und Eltern diese Situation?

Steckbrief

Ausgangslage

Erwerbstätigkeit – lange als Mittel zur Reduktion des Armutsrisikos verstanden – schützt nicht mehr zwingend vor Armut. Besonders Personen mit einem tiefen Bildungsabschluss, Selbständigerwerbende, Alleinerziehende oder Paare mit drei und mehr Kindern, Personen, die eine ausländische, nichteuropäische Staatsangehörigkeit haben, in Niedriglohnbranchen oder unter atypischen Beschäftigungsformen arbeiten, sind von Erwerbsarmut betroffen. In der Schweiz waren im Jahr 2021 4.2 % aller Erwerbstätigen, das sind rund 157’000 Personen, von Erwerbsarmut betroffen. Schliesst man die armutsgefährdeten Erwerbstätigen ein, so erhöht sich diese Zahl auf 7.4 % der Erwerbstätigen oder 279’000 Personen. Diese Personen leben zu einem grossen Teil in Mehrpersonenhaushalten und in rund zwei Dritteln der Haushalte leben Kinder. Die Lebenssituation betroffener Familien ist durch Einkommensschwäche, durch somatische und psychische Beeinträchtigung und wenig zeitliche Ressourcen aufgrund eines hohen Erwerbsaufwands erschwert. Das Risiko sozialer Konflikte ist erhöht und die familiäre Situation hat Implikationen für das Aufwachsen von Kindern.

Vorgehen

In der Schweiz sind die Auswirkungen von Erwerbsarmut auf das Familien(er)leben, insbesondere die damit verbundene Sorgearbeit sowie die Perspektive der Kinder und Eltern kaum erforscht. In dieser Forschungslücke situiert sich das Projekt und fragt nach dem subjektiven Erleben der Familienmitglieder, die von Erwerbsarmut betroffen sind. Es erlaubt Einblicke in das Familien(er)leben, den Umgang mit den Anforderungen der Erwerbsarbeit und deren Auswirkungen auf die Sorgearbeit. Forschungsziele sind, die gegenwärtigen Auswirkungen der Transformationen des Arbeitsmarktes auf das Familien(er)leben, insbesondere auf Erziehung und Fürsorge der Eltern sowie das subjektive Erleben der Kinder zu erforschen. Anliegen des Forschungsprojektes ist es, Sorgearbeit im Zusammenhang mit Transformationen der Erwerbsarbeit zu denken. Hierfür wird ein qualitatives, multiperspektivistisches Vorgehen gewählt, um die unterschiedlichen Perspektiven der Familienmitglieder zu erfassen. Im Sinne der Ethnographie wird mittels teilnehmender Beobachtung in den Familien, problemzentrierter Interviews mit Eltern und dem «freien Gespräch» mit den Kindern das Familien(er)leben von 42 Haushalten erfasst. Das Datenmaterial wird anhand der tiefenhermeneutischen Kulturanalyse ausgewertet. Gerahmt werden die Analysen durch die Erfassung der rechtlichen, arbeitsrechtlichen, institutionellen und arbeitsmarktlichen Kontextbedingungen und durch eine Diskursanalyse der parlamentarischen Debatten.