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Die Zukunft ist grün
27.08.2024 Sie sind sehr unkomplizierte Wasserlebewesen: Mikroalgen. Warum sie für unsere künftige Ernährung wichtig sein könnten, weiss Lebensmittelwissenschaftlerin Dr. Bárbara Franco Lucas.
Es riecht würzig, ein bisschen nach Meer. Nur ein kleiner Kaffeelöffel des Spirulina-Pulvers kommt in den Mango-Bananen-Smoothie und schon färbt sich dieser satt grün. Das Auge scheint zuerst etwas irritiert, doch das Getränk schmeckt weiterhin süss, die Mikroalge ist praktisch nicht wahrnehmbar. Als Nahrungsergänzungsmittel kennen wir Mikroalgen wie Spirulina schon länger; seit Kurzem rücken Mikroalgen auch als nachhaltiger Rohstoff stärker in den Fokus, um daraus innovative Lebensmittel mit verbessertem Nährstoffgehalt zu entwickeln.
Künftige Nährstoffquelle
Mikroalgen kommen weltweit in Süss- und Meerwasser vor. Sie wandeln mittels Photosynthese Sonnenlicht und Kohlendioxid in Biomasse um, genau wie Pflanzen. So weit nichts Aussergewöhnliches. Aber: «Die Biomasse von essbaren Mikroalgen besteht aus einer Vielzahl wertvoller Nährstoffe wie Proteine, Mineralien und Vitamine. Und enthalten ebenfalls hochwertige bioaktive Verbindungen wie Carotinoide und mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die mit der Vorbeugung von Gesundheitsproblemen in Verbindung gebracht werden», erklärt Dr. Bárbara Franco Lucas, Lebensmittelwissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der BFH-HAFL.
Insbesondere mit ihrem hohen Proteingehalt von rund 60 Prozent könnten Mikroalgen wie Spirulina – in der Fachsprache Arthrospira – künftig als nachhaltige Quelle zur Ernährung der Weltbevölkerung dienen; diese wächst ja immer weiter. Mikroalgen sind auch deshalb interessant, weil ihr Anbau kein Ackerland erfordert und so anderen Nahrungspflanzen nicht konkurrenzieren. Bárbara Franco Lucas: «Ausserdem verbraucht die Produktion von Mikroalgen weniger Wasser als die Viehzucht oder der Anbau von Pflanzen. Und sie wachsen äusserst schnell.» Da sie CO2 aus der Umwelt binden, sind sie vorteilhaft fürs Klima und wegen ihres regionalen Anbaus sind die Transportwege kurz.
Mit wenig zufrieden
Ein offenes Becken oder ein geschlossener Behälter mit Wasser, Licht sowie ein paar Nährstoffen: Es braucht nicht viel, um Spirulina anzubauen. Die Produktionsbecken ähneln flachen Schwimmbädern; die geschlossenen Behälter – auch Photobioreaktoren genannt – können die Form von flachen Platten- oder Röhrensystemen haben. «Für Spirulina sind alkalische Wasser und eine Temperatur um 30 Grad Celsius ideal», so die Mikroalgen-Expertin. Als Lichtquelle können sowohl Sonnenlicht als auch eine künstliche Beleuchtung dienen.
Damit die Kultur gut gedeiht, braucht es zusätzlich Nährstoffe wie Stickstoff, Kohlenstoff und Phosphor. «Je nachdem, was und wie viel hinzufügt, beeinflusst dies die Zusammensetzung der Biomasse. In einem Medium mit viel Stickstoff reichern die Mikroalgen zum Beispiel mehr Eiweiss an.» Ebenfalls wichtig ist eine konstante Strömung, damit das Wasser in Bewegung bleibt und die Zellen mit Licht und CO2 versorgt werden.
Geerntet wird in der Schweiz vor allem mittels Filtration. Das Wasser mit den Mikroalgen wird dabei durch ein feines Sieb gepumpt; die grün-glibberige Algenmasse bleibt hängen, das Wasser kommt zurück ins Becken. «Danach wird die Spirulina-Biomasse bei niedrigen Temperaturen oder durch Gefriertrocknung getrocknet, um die bioaktiven Stoffe so gut wie möglich zu erhalten», erklärt Bárbara Franco Lucas. Vermarktet wird Spirulina zurzeit in erster Linie in Pulverform sowie als Zutat oder als natürlicher Farbstoff in verschiedenen Rezepturen für Lebensmittel. Als Nahrungsergänzungsmittel werden auch Kapseln oder Flocken verkauft.
Mehr als nur Ergänzung
Mit ihren zahlreichen gesunden Inhaltsstoffen können Mikroalgen eine wichtige Rolle in unserer künftigen Ernährung spielen. «Mikroalgen liessen sich zum Beispiel als Zutat für Fleischersatzprodukte oder Proteinriegel verwenden», erklärt Bárbara Franco Lucas. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach proteinreichen Lebensmitteln sowie dem zunehmenden Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten an gesünderen, nachhaltig hergestellten Nahrungsmitteln zeigt die Mikroalge vielversprechende Perspektiven auf. Genau auf diesem Gebiet forscht die BFH-HAFL.
Bárbara Franco Lucas bringt da viel Expertise aus ihrer Forschung im Heimatland Brasilien mit: In einer Studie mit Schulkindern hatte sie etwa untersucht, mit wie viel Spirulina ein Snackriegel angereichert werden kann, ohne dass der Geschmack sich ändert. «Die Riegel enthielten bis zu 6 Prozent Spirulina und damit fast 30 Prozent mehr Eiweiss», erklärt die Wissenschaftlerin. «Die Kinder schmeckten im Vergleich zu Riegeln ohne Mikroalgen keinen bedeutenden Unterschied.»
Ähnlichen Fragestellungen zu Mikroalgen – von der Kultivierung bis zu Verbraucherstudien – geht man auch an der BFH-HAFL nach. «In Zukunft möchten wir Mikroalgen noch besser als wichtige Zutat für Fleischersatzprodukte und auch als natürlichen Farbstoff untersuchen», erläutert Bárbara Franco Lucas, «und damit mehr Wissen generieren.» Denn: Obwohl eigentlich nachhaltig und gesund, werden Mikroalgen wie Spirulina in der Schweiz eher selten konsumiert. Warum? In Konsumentenstudien fand man an der BFH-HAFL heraus, dass vor allem Personen, die über die Vorteile neuer Lebensmittel wie Mikroalgen gut informiert sind, diese auch eher verzehren. Bárbara Franco Lucas: «Den Schweizerinnen und Schweizern fehlt es an Wissen über Mikroalgen als Nahrungsmittel und deren positive Eigenschaften. Hier müssen wir ansetzen.»
Der Artikel stammt aus: focusHAFL 1/24