Agrarpolitik erlebbar machen

05.12.2024 Agrarpolitik ist komplex, ihre Mechanismen sind oft schwer zu durchschauen. Ein neues Spiel soll nun im Unterricht helfen, Zusammenhänge zu verstehen. Zu Besuch bei den Spielmacher*innen.

Agronia, eine malerische Insel inmitten des Ozeans, lebt vor allem von der Bananenproduktion. Doch das Land steht vor grossen Herausforderungen: Die Bevölkerung wächst, die Ressourcen schwinden, und der ökologische Fussabdruck wird immer grösser. Dies ist die Ausgangslage des Inselstaates im Spiel «Agronia». Jetzt kommen die Spielerinnen und Spieler ins Spiel – und bald die Studierenden der Agronomie.

Gemeinsam sollen sie eine neue Agrarpolitik entwickeln. Ihre Entscheidungen bestimmen, ob Agronia ein Vorbild in den Bereichen Ernährungssicherheit, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit wird. Das gelingt nur durch gute Zusammenarbeit, kluge Strategien und eine nachhaltige Neuausrichtung der Landwirtschaft. Hierbei sind viele Diskussionen und effiziente Entscheidungsprozesse nötig, das Brettspiel mit vielen Spielkarten kann beginnen: Neue Gesetze müssen umgesetzt, Aufträge ausgeführt und die Bevölkerung darauf vorbereitet werden, mit den Auswirkungen von Naturkatastrophen umzugehen.

Praktischerweise zeigt die Rückseite jeder Spielkarte die Auswirkungen neuer Gesetze. Jedes Gesetz wird im Parlament debattiert, verabschiedet und in Kraft gesetzt – fast wie in der Realität. Auch die Spielziele ähneln den echten Herausforderungen der Schweizer Landwirtschaft: Ernährungssicherheit gewährleisten, den ökologischen Fussabdruck reduzieren und die sozialen Perspektiven verbessern. Diese Ziele basieren auf der nächsten grösseren Reform des Schweizer Landwirtschaftsgesetzes AP 2030.
 

«Agronia» hilft agrarpolitische Zusammenhänge zu verstehen.
«Agronia» hilft agrarpolitische Zusammenhänge zu verstehen.

Viele Testläufe nötig

Die Idee, die Dynamiken der Agrarpolitik erlebbar zu machen, stammt von Hansjürg Jäger, Dozent für Agrarpolitik und Märkte an der BFH-HAFL, und Cécile Bachmann, Spielentwicklerin und Dozentin für Informatik und Projektmanagement am Feusi Bildungszentrum. «Die Idee entstand spontan bei einem Mittagessen», erzählt Cécile Bachmann. «Das Konzept war schnell skizziert, aber es brauchte acht oder neun Testläufe, um herauszufinden, welche Regeln funktionierten, welche zu kompliziert waren und welche uns nicht weiterbrachten», erklärt Hansjürg Jäger. Ein grosser Testlauf konnte an der BFH-HAFL mit Agronomie-Studierenden, Personen aus dem Kompetenzzentrum für Bildung, Beratung und Tagungen im Kanton Bern (Inforama) sowie der Stiftung zur Förderung der landwirtschaftlichen Bildung durchgeführt werden.

Spielend lernen mit der BFH-HAFL

  • Parcours – das Spiel zur Hofübergabe: In Zusammenarbeit mit Bauernfamilien, landwirtschaftlichen Beratungs- und Lehrpersonen sowie Fachleuten aus der Agrotreuhand entstand im Rahmen eines Projekts unter der Leitung von Sandra Contzen das Brettspiel «Parcours», um Bauernfamilien bei der Hofübergabe zu unterstützen.
  • Strategie- und Rollenspiele zu Umweltfragen: Claude Garcia, Leiter der Gruppe «Waldpolitik und internationales Waldmanagement», hat Strategie- und Rollenspiele zu komplexen Umweltfragen sowie zu den Wertschöpfungsketten und zur Entwaldung entwickelt.
  • «The Big Debate»: Die Agronominnen Célia Bühler und Ingrid Fromm vom HAFL Institut Hugo P. Cecchini (HPCI) haben das Rollenspiel «The Big Debate» entwickelt, welches sich um die Frage dreht, ob Agrarökologie der richtige Ansatz für nachhaltigen Kaffee in Burundi ist.
  • Brettspiel zur Agrarökologie: Das Brettspiel «Snakes and Ladders on the way to Agroecology» integriert praktische Informationen über agrarökologische Praktiken in baumwollbasierte Anbausysteme. Projektleiter ist Gurbir Singh Bhullar, Dozent für internationale Landwirtschaft und ländliche Entwicklung an der BFH-HAFL.

Menschen an einen Tisch bringen

Der erste Praxiseinsatz fand im Rahmen des Schweizer Agrarpolitikforums an der BFH-HAFL statt – mit Teilnehmenden aus Branche, Unternehmen, öffentlichen Stellen. Die Teilnehmenden konnten im Spielverlauf wichtige Erkenntnisse gewinnen: Allen voran, dass alle Anspruchsgruppen verantwortlich sind, eine Vereinfachung der Agrarpolitik zu erreichen, und dass Dialog sowie eine gewisse Kompromissbereitschaft von zentraler Bedeutung sind.

Im Vorfeld des ersten Praxiseinsatzes wurde die Farbgebung nochmals angepasst, da Menschen mit Rot-Grün-Sehschwäche die roten und die grünen Spielsteine kaum unterscheiden konnten. «Um das Spiel barrierefrei zu gestalten, werden die Farben angepasst und zusätzlich Symbole verwendet, um die Zuordnung klarer zu machen», berichtet Cécile Bachmann. Sie hat im Bachelorstudiengang «Game Design» gelernt, Inhalte in spielerische Form zu übertragen. Sie erklärt, warum ein analoges Brettspiel in Zeiten des digitalen Gamings Sinn ergibt: «Einerseits war es uns wichtig, Menschen an einen Tisch zu bringen, um Diskussionen anzuregen. Andererseits konnten wir das Spiel so innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens entwickeln.»
 

Bei Testläufen zeigten sich die Stärken und Schwächen des Spiels.
Bei Testläufen zeigten sich die Stärken und Schwächen des Spiels.

Durchblick im Regeldschungel

«Der Entwicklungsprozess war spannend, lehrreich und unterhaltsam», blickt Hansjürg Jäger zurück. «Das Spiel wird bald in Deutsch und Französisch auf den Markt kommen. Wir arbeiten nun am Marketing und klären Distribution und Verkaufsprozesse», erklärt Jäger. Zielgruppen sind landwirtschaftliche Schulen, Verbände und Lehrgänge in Umweltwissenschaften – und natürlich die Studierenden in Hansjürg Jägers Modul «Agrarpolitik und Märkte» des Bachelorstudiengangs Agronomie an der BFH-HAFL.


Der Artikel stammt aus: focusHAFL 2/24

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Fachgebiet: Life Sciences + Lebensmittelwissenschaften