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Aus freien Stücken – oder?
05.12.2024 Ob wir uns gesund ernähren, hängt von Motivation und Selbstdisziplin ab. Nicht nur, wie Prof. Dr. Thomas Brunner, Experte für Konsumentenverhalten an der BFH-HAFL, in seiner Forschung aufzeigt. Auch unsere Umgebung beeinflusst uns. Lassen sich die Erkenntnisse im Alltag nutzen?
Jeden Tag treffen wir rund 200 Entscheidungen, wenn es ums Essen geht. Die meisten sind automatisiert und durch Gewohnheiten geprägt – und genau hier lassen wir uns oft beeinflussen. Durch äussere Reize zum Beispiel.
Richtig motiviert
Unsere Bedürfnisse, in der Psychologie spricht man von «Motiven», steuern unser Handeln – mal bewusst, mal unbewusst. Diese Motive können grundlegend sein wie Hunger und Schlaf, aber auch Belohnung, körperliches Wohlbefinden oder Anerkennung abbilden. «Nurwenn ein entsprechendes Motiv in uns vorhanden ist, können wir in diese Richtung beeinflusst werden», erklärt Prof. Dr. Thomas Brunner, Psychologe und Dozent für Konsumentenverhalten.
Ein Motiv kann auch unbewusst in uns schlummern. Ein Fakt, der insbesondere bei der Ernährung interessant ist. «Nur ein wenig Hunger – und das haben wir relativ schnell nach der letzten Mahlzeit – und schon sind wir wieder empfänglich für alles, was mit Essen zu tun hat», erklärt Brunner. Was wir dabei oft unterschätzen: Wie stark uns äussere Reize wie beispielsweise der Duft von frischen Brötchen (ver-)leiten.
Giacometti-Projekt
Den Einfluss äusserer Reize auf unser Verhalten untersuchten Thomas Brunner und sein Team in einem gross angelegten Projekt. Daran ebenfalls beteiligt: die bekannten langgezogenen Figuren des Schweizer Künstlers Alberto Giacometti. In verschiedenen Studien fanden die Forschenden heraus, dass bereits ein kurzer Blick auf diese Figuren ein Motiv in uns aktiviert.
Der Psychologe konkretisiert: «Werden uns die sehr schlanken Giacometti-Figuren gezeigt, rückt das Motiv Gewicht und Gewichtskontrolle bei unseren Essensentscheidungen in den Vordergrund und beeinflusst unser Verhalten.»
Dieser unbewusste Vorgang ist auch als «Priming» bekannt. Das Ergebnis: Wir essen weniger.
Experiment 1: die Schokoladendegustation. Beim Betreten des Raumes läuft eine Gruppe an einem Laptop mit einem «Giacometti»-Bildschirmschoner vorbei, bei der anderen Gruppe ist es ein abstraktes Bild von Rothko. Die Giacometti-Gruppe ass daraufhin deutlich weniger Schokolade. Besonders interessant: Die Teilnehmenden verneinten einhellig, dass sie sich von Bildern beeinflussen lassen.
Experiment 2: der Snackautomat im Bundesamt für Gesundheit (BAG). Normalerweise werden hier 80 Prozent ungesunde und 20 Prozent gesunde Snacks verkauft. Ein Bild der Giacometti-Figuren auf dem Automaten führte dazu, dass der Verkauf gesunder Snacks auf 60 Prozent stieg. Warum hat das so gut funktioniert? Brunner vermutet: «Die Mitarbeitenden des BAG sind nicht nur des Berufes wegen sensibilisiert, sondern auch persönlich besonders empfänglich für das Motiv Gesundheit, was ein gesundes Körpergewicht inkludiert.»
Experiment 3: die Langzeitstudie. Was passiert, wenn wir uns des unbewussten Effekts bewusst werden? In einer Langzeitstudie erhielten Abnehmwillige ein Büchlein mit entweder einem Bild von Rothko oder von einer Giacometti-Figur. Die Hälfte der Teilnehmenden wurde über den Effekt von Bildern informiert, die andere nicht. Das Ergebnis: Die Giacometti-Figuren beeinflussten das Essverhalten unabhängig vom Wissen. Aber: Auch das Rothko-Bild wirkte, wenn die Teilnehmenden den Zusammenhang mit Gesundheit gelernt hatten.
Zu viel Aufwand
Von verpackten Schokoladenbonbons essen wir weniger – weil wir sie zuerst auspacken müssen. Zu diesem Resultat kam dieselbe Forschungsgruppe in einer Studie zum Thema «Aufwand». Um sicherzugehen, dass es nicht an der Sichtbarkeit der Schokolade lag, führten sie das Experiment mit Schokoladenstückchen und einer Zange, mit der man Würfelzucker greift, durch. Das Ergebnis: Wer keine Zange benutzen musste, ass mehr Schokolade. Liegt es am Aufwand oder daran, dass man durch die Zange die Handlung bewusster ausführt? Brunner: «Wir wiederholten den Versuch mit etwas Gesundem, nämlich getrockneten Aprikosen. Auch hier führte der minimale Zusatzaufwand dazu, dass weniger gegessen wurde.»
Nützt zu Hause …
Brunners Forschung zeigt, wie unsere Umgebung unsere Entscheidungen beeinflusst. Diese Resultate lassen sich nutzen, ganz konkret zu Hause: «Ein Bild an den Kühlschrank zu kleben, das uns an gesunde Ernährung erinnert. Oder Süssigkeiten hoch oben im Schrank zu verstauen, damit sie ausser Sichtweite und greifbarer Nähe sind», schlägt Brunner vor. Ebenso hilfreich kann es sein, Pfannen nicht auf den Esstisch zu stellen, so dass man für eine zusätzliche Portion aufstehen muss.
… und in der Schule
Für Institutionen wie Schulen zeigt sich der Nutzen der Forschung in der «Architektur der Wahl». Der Experte: «Die Reihenfolge der Speisen am Buffet beeinflusst den Konsum. Was zuerst kommt, davon schöpfst du mehr.» Zudem verleiten grössere Teller zu grösseren Portionen. Gesunde Snacks sollten am besten gut sichtbar auf Augenhöhe platziert werden; ungesunde darunter. «In unserer Mensa könnte es beispielsweise einen positiven Effekt haben, die beiden vegetarischen Gerichte im Menüplan und an der Theke nach vorne zu setzen.»
Anders motiviert
Dieses Wissen gilt nicht nur für das Motiv Gesundheit. «Man muss lediglich den passenden Reiz für das gewünschte Verhalten finden; und das persönliche Bedürfnis muss vorhanden sein», sagt Thomas Brunner. Zwischen den Motiven gibt es aber Unterschiede: Gesundheit ist ein Grundbedürfnis; wir alle möchten gesund bleiben. Darum funktioniert dieser Reiz besonders gut. Ein Motiv wie Nachhaltigkeit hingegen ist oft sozial erwünscht, betrifft die einzelne Person nicht so direkt wie Gesundheit. Brunner: «Viele möchten zwar nachhaltig handeln, doch die Umsetzung fällt schwerer, weil das Motiv der Einzelnen weniger stark ist.»
Wissen für die Zukunft
Das Wissen zu Motiven soll an der BFH-HAFL auch interdisziplinär genutzt werden: «Derzeit arbeiten wir an einem Horizon Europe-Projekt, bei dem es um neue Technologien in der Lebensmittelherstellung geht», berichtet Brunner. Das Team untersucht dabei die Meinung der Konsumentinnen und Konsumenten zu innovativen Herstellungsverfahren. «Wir wollen Wissen schaffen, das für die Industrie entscheidend sein wird», so Brunner.
Der Artikel stammt aus: focusHAFL 2/24