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Eine Fahrt ins Blaue
05.12.2024 Eigentlich ist der Anbau von Flachs wertvolles Schweizer Kulturerbe. Die Pflanze wurde aber immer seltener angebaut, viel Wissen geriet in Vergessenheit. Heute erwacht das Interesse an Leinen wieder – und die Forschung an der BFH-HAFL schliesst Wissenslücken.
Wer mehr über Flachs erfahren will, kommt an ihm nicht vorbei: Dominik Füglistaller von der BFH-HAFL zählt zu den Schweizer Experten, wenn es um die Pflanze geht. Für seine damalige Bachelorarbeit wählte Füglistaller das Thema auf Anraten seines Dozenten hin – zunächst mit etwas verhaltener Begeisterung. Das änderte sich jedoch: «Als ich das erste Mal blühenden Flachs sah, war es um mich geschehen», sagt der Agrarökologe.
Die Renaissance
Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde in der Schweiz auf rund 200 Hektaren Flachs angebaut. «Und dann hat man die Industrialisierung verpasst», schaut Füglistaller in der Geschichte zurück. Weil die Garnherstellung weiterhin Handarbeit erforderte, wurde sie immer seltener betrieben. Baumwolle und Kunstfasern kamen auf, Flachs verschwand von den Feldern und mit ihm das Wissen darüber. Das wollen Expertinnen und Experten wie Dominik Füglistaller ändern – denn das Interesse an Naturfasern ist zurück. Die Gründe dafür sind vielseitig: In der Textilproduktion wird vermehrt auf einheimische Rohstoffe und auf transparente Wertschöpfungsketten gesetzt. Dabei rücken auch soziale und ökologische Faktoren in den Fokus. «Viele Konsumentinnen und Konsumenten wollen wissen, woraus ihr Pullover besteht und wie er hergestellt wurde», sagt Füglistaller. «Und Flachs ist ein überzeugender, vielseitig einsetzbarer Rohstoff.»
Nachhaltige Vorteile
Flachs ist eine äusserst genügsame Pflanze. Er benötigt wenig Dünger, nur sparsamen Herbizideinsatz und keine zusätzliche Bewässerung. Gleichzeitig ist Flachs sehr ergiebig: Eine Hektare liefert fast 500 Kilogramm Garn – im Vergleich dazu bringt Baumwolle maximal 300 Kilogramm. Ein weiteres Plus ist die Koppelnutzung. «Wir verwenden nicht nur die Fasern, sondern auch die Leinsamen, die als Lebensmittel dienen », erklärt Füglistaller. Und: Flachs kann auch gezielt zur Gründüngung eingesetzt werden, um die Bodenbeschaffenheit zu verbessern.
Die Schweizer Textilindustrie profitiert gemäss Füglistaller von den regionalen Naturfasern, denn das Material überzeugt: Es trägt sich angenehm, ist reissfest, atmungsaktiv, antibakteriell und hat einen kühlenden Effekt. Auch anderen nützt es: Insekten schätzen die blühenden Kulturen, und da Flachs eine genügsame Pflanze ist, ist dies ein grosses Plus für die Umwelt. Die kurzen Produktionswege tragen zur Nachhaltigkeit bei, und die Bauern werden dabei fair bezahlt. Ein Wermutstropfen bleibt: «Wir können Flachs zwar anbauen und rösten, aber für die Weiterverarbeitung fehlen uns in der Schweiz die Maschinen.»
Vom Feld in den Kleiderschrank
Die Flachspflanzen werden mit einer Maschine samt Wurzel gezupft und abgelegt. Nach ein paar warmen, trockenen Tagen werden die Leinsamen geerntet. Die Pflanzen bleiben für die «Röste» auf dem Feld – ein natürlicher Prozess, bei dem die Verbindung zwischen den Faserbündeln und dem sie umgebenden Gewebe gelöst wird. Den Zeitpunkt der perfekten Röste zu bestimmen, ist eine Herausforderung. «Als Forscher wollten wir unbedingt eine messbare Methode finden», erzählt Füglistaller. Doch die Antwort der holländischen Expert*innen war überraschend einfach: «You have to feel it!» Also: Schuhe ausziehen, übers Feld laufen und dem Knistern lauschen. «Nicht alles lässt sich in Daten fassen.» Nach der Röste wird der Flachs zu Rundballen gepresst und in die Garnproduktion transportiert.
Forschung als Wegbereiter
In seiner Forschung untersuchte Dominik Füglistaller, welche Sorten sich am besten eignen, wie die Aussaatdichte optimiert und wie das schnelle Wachstum der Pflanze gesteuert werden kann. Der Experte entwickelte Wachstumsmodelle und ein Zahlungssystem für Flachsbauern und -bäuerinnen. Mit seinem Wissen und seiner Erfahrung unterstützt Füglistaller heute Landwirtinnen und Landwirte, die Flachs anbauen. Die SwissFlax GmbH, deren Geschäftsführer er ist, bildet dabei das zentrale Bindeglied zwischen Landwirtschaft, Forschung und Textilindustrie.
Ziel der Firma ist es, die Produktionskette für Schweizer Flachs wieder aufzubauen und industriell zu betreiben – also die Verarbeitung der Fasern in der Schweiz zu etablieren. Die Forschung hat für Füglistaller nicht nur den Anbau, sondern die gesamte Wertschöpfungskette ins Blickfeld gerückt. Als Dozent vermittelt er dieses Wissen auch in der Lehre: «Naturfasern sind ein ideales Beispiel, um aufzuzeigen, wie die Schritte vom Anbau bis zum fertigen Produkt ineinandergreifen und bei Nischenkulturen entwickelt werden können.»
Ausblick
Flachs erlebt eine Renaissance in der Schweiz. Gibt es weitere Naturfasern mit Potenzial? «Ja, Hanf zum Beispiel», sagt Füglistaller. Aktuell erforscht er verschiedene Sorten, Saatdichten und Aussaatzeiten von Winterhanf. «Die Fasern sind vielversprechend, aber wir suchen noch nach dem optimalen Erntezeitpunkt.» Interesse besteht: «Wir sind im Gespräch mit Landwirten, dem Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg sowie AgroMarketing Thurgau, um ein regionales Projekt zu starten.»
Nächsten Sommer wird ein anderes Projekt Wirklichkeit: Am Eidgenössischen Schwingfest 2025 treten die «Bösen» mit Zwilchhosen aus Schweizer Leinen im Sägemehl gegeneinander an. Flachs könnte zudem auch in anderen Industrien an Bedeutung gewinnen – etwa als Verbundwerkstoff in der Autoindustrie oder ummantelt mit Kunststoff, beispielsweise beim 3D-Druck; da arbeitet Füglistaller mit der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (EMPA) an einem Projekt. Die Zukunft von Flachs und Hanf könnte also nicht nur die Textilindustrie bereichern, sondern auch neue, nachhaltige Wege in anderen Sektoren eröffnen.
Der Artikel stammt aus: focusHAFL 2/24